VwGH 2007/08/0255

VwGH2007/08/025523.1.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des Mag. Dr. KA in W, vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 4. Oktober 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV, betreffend Einstellung des Bezugs der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Beschwerdeführer, der Notstandshilfe bezog, wurde am 28. Februar 2007 in der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz eine Niederschrift aufgenommen. Darin wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer unterrichtet worden sei, dass sich Zweifel über seine Arbeitsfähigkeit ergeben hätten, weil er im Bewachungsdienst auf Grund seiner gesundheitlichen Probleme nicht arbeiten könne. Der Beschwerdeführer wurde über einen Untersuchungstermin am 15. Mai 2007 im beruflichen Diagnosezentrum der Berufsdiagnostik Austria/BBRZ Wien (im Folgenden: BBRZ) informiert und gebeten, "zur ärztlichen Untersuchung alle relevanten Vorbefunde (Röntgenbefunde, Operationsberichte usw.) mitzubringen". Mit dieser Niederschrift wurde der Beschwerdeführer auch darauf aufmerksam gemacht, dass ein Arbeitsloser, wenn sich Zweifel über seine Arbeitsfähigkeit ergeben, gemäß § 8 Abs. 2 AlVG verpflichtet ist, sich auf Anordnung des Arbeitsmarktservice ärztlich untersuchen zu lassen.

In der Zuweisung an den ärztlichen Dienst des BBRZ vom selben Tag ist folgende Fragestellung angeführt:

"Ist der Kunde arbeitsfähig? Wenn ja, im Bewachungsbereich? Kunde wird bei den Beratungen verbal aggressiv, provoziert und hält sich an keine Richtlinien. Bei den Terminen musste jedesmal der Abteilungsleiter einschreiten, da er auch die Leute im Warteraum aufgewiegelt hat!"

Unter den Angaben zum Klienten enthält dieses Zuweisungsformular unter anderem den Vermerk: "Es werden massive psychische Probleme vermutet! Bitte Abklärung."

Mit Schreiben vom 25. Juli 2007 übermittelte das BBRZ Berichte betreffend den Beschwerdeführer. Im "berufsbezogenen Leistungs- und Persönlichkeitsprofil" wird im Abschnitt "Empfehlungen" unter der Rubrik "Gesundheit" angegeben, dass ein fachärztlicher Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie erforderlich sei. Die Beantwortung der vom AMS gegebenen Fragestellung sei "derzeit nicht möglich, da der Kunde keine aussagekräftigen Befunde nachgebracht hat".

In der Rubrik "Soziale Kompetenzen" enthält der Bericht folgende Anmerkung:

"Der Kunde nahm zwar Termine pünktlich wahr, erklärte sich allerdings nicht dazu bereit, alle angeforderten fachärztlichen Befunde einzuholen, weshalb das Case Management schließlich abgebrochen werden musste."

Im Abschnitt "Einschränkungen/Risikofaktoren" ist Folgendes vermerkt:

"Da seitens des Kunden keine zusätzlichen aussagekräftigen Befunde vorgelegt wurden, ist eine arbeitsmedizinische Begutachtung und Beantwortung der Fragestellung derzeit nicht möglich."

In einem beiliegenden Dokument, welches als "arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten" bezeichnet und mit 23. Juli 2007 datiert ist, wird Folgendes ausgeführt:

"Da seitens des Kunden keine zusätzlichen aussagekräftigen Befunde vorgelegt wurden, ist eine arbeitsmedizinische Begutachtung und Beantwortung der Fragestellung derzeit nicht möglich."

In ähnlicher Weise wird in diesem Dokument abschließend nochmals ausgeführt, dass die Beantwortung der Fragestellung derzeit nicht möglich sei, da der Kunde keine aussagekräftigen Befunde nachgebracht habe.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse vom 30. Juli 2007 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer ab dem 28. Juli 2007 wegen seiner Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, keine Notstandshilfe erhalte. Neben der Anführung der gesetzlichen Bestimmungen ist dieser Bescheid lediglich damit begründet, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass die notwendigen Unterlagen zur Klärung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht erbracht worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seit 29. Mai 2002 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehe, zuletzt in Form von Notstandshilfe in der Höhe von EUR 25,90 täglich. Auf Grund häufiger gesundheitlicher Einwände (Allergien, Beine, Bluthochdruck) bei Stellenvorschlägen seinerseits und da er in Gesprächen regelmäßig sehr laut, aggressiv und auch ausfallend geworden sei und darüber hinaus sein Redefluss seitens der Mitarbeiterinnen des Arbeitsmarktservice nicht mehr habe gestoppt werden können, sei dem Beschwerdeführer der Untersuchungstermin beim arbeitsmedizinischen Zentrum am 15. Mai 2007 zur Kenntnis gebracht worden. Die Untersuchung habe zur Abklärung seiner Arbeitsfähigkeit dienen sollen, da sich auf Grund seiner Angaben diesbezüglich Zweifel ergeben hätten. Der Beschwerdeführer habe den Termin eingehalten und in der Folge die verlangten Befunde eines Internisten, eines HNO-Arztes und eines Hautarztes erbracht. Ebenfalls sei dem Beschwerdeführer aufgetragen worden, einen Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie zu erbringen. Dies habe der Beschwerdeführer trotz erfolgter Nachfristsetzung nicht getan. Es habe daher das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit nicht geklärt werden können.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Arbeitslose, wenn sich Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet sei, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigere er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhalte er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld. Auf Grund dieser Gesetzesbestimmung erhalte jemand, der die ärztliche Untersuchung verweigere, für die Dauer der Weigerung keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung. Im arbeitsmedizinischen Bericht vom 23. Juli 2007 sei ausgeführt worden, dass auf Grund des fehlenden Befundes die Beantwortung der Fragestellung hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit nicht geklärt werden könne. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 8 Abs. 2 AlVG ist der Arbeitslose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld. Gemäß § 38 AlVG ist diese Bestimmung auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

2. Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst im Wesentlichen geltend, dass die Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung durch Bedienstete des Arbeitsmarktservice im Sinn des § 8 Abs. 2 AlVG gegen den Willen der Partei nur unter bestimmten - in der in der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes näher ausgeführten - Umständen, zulässig sei. Solche Gründe seien im vorliegenden Fall nicht gegeben gewesen. Die belangte Behörde habe zudem den Sachverhalt nicht ausreichend erhoben, da sie jede Ermittlungstätigkeit im Bezug darauf, wer die psychiatrische Untersuchung angeordnet habe und ob der Beschwerdeführer über die Gründe für diese Zuweisung unterrichtet oder gehört worden sei bzw. durch wen und in welcher Form dem Beschwerdeführer eine Nachfrist gesetzt worden sei, unterlassen habe.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob die an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bestehenden Zweifel diesem gegenüber in der Niederschrift vom 28. Februar 2007 ausreichend konkretisiert wurden (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2003/08/0271), da von einer Weigerung des Beschwerdeführers, sich entsprechend der Anordnung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (festgehalten in der Niederschrift vom 28. Februar 2007) ärztlich untersuchen zu lassen, weder nach den vorgelegten Verwaltungsakten, noch nach den Ausführungen im Bescheid selbst die Rede sein kann.

Wie sich auch aus den im Verwaltungsakt erliegenden Unterlagen ergibt, ist der Beschwerdeführer der Verpflichtung, sich zu dem näher bezeichneten "Diagnostikzentrum" zu begeben, um sich dort ärztlich untersuchen zu lassen, nachgekommen und hat damit die ihn nach § 8 Abs. 2 AlVG treffende Verpflichtung erfüllt. Dieses "Diagnostikzentrum" war aber offenbar nicht in der Lage, die erforderliche ärztliche Untersuchung durchzuführen.

Nach dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 2 AlVG ist die mangelnde Bereitschaft eines Arbeitslosen, einen vom Arbeitsmarktservice oder von einem von diesem beigezogenen arbeitsmedizinischen Dienst geforderten Befund selbst einzuholen und beizubringen, nicht mit der Sanktion des Verlustes des Anspruchs auf die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung verbunden.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 23. Jänner 2008

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