Normen
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 19. September 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und 2 und § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 ein befristetes Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen und gemäß § 86 Abs. 3 FPG von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.
Die belangte Behörde zitierte wörtlich folgende Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides:
"Laut eigenen Angaben in ihrer Stellungnahme vom 30.12.2005 sind Sie in München geboren worden. Ihre Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, ihr Vater deutscher Staatsbürger. In Deutschland haben Sie den Kindergarten und die Volksschule besucht. Nach der Scheidung ihrer Eltern kehrten Sie mit ihrer Mutter und Ihrer älteren Schwester in ihren Heimatort T in Kärnten zurück. Dort besuchten Sie von 1990 bis 1994 die Hauptschule in S und absolvierten danach einen einjährigen polytechnischen Lehrgang in SD. 1995 begannen Sie eine Lehre als Fliesenleger in SD. Auch waren Sie in Graz als Schlosser und Schweißer tätig. Auch haben Sie in dieser Zeit im Gastronomiebetrieb ihrer Mutter in V ausgeholfen. Dieser Betrieb musste jedoch Konkurs anmelden und haben Sie die Jahre 1998 bis 2000 in München verbracht. Dort haben sie angeblich auch gearbeitet.
Nachweise über diesen Sachverhalt legen Sie jedoch der ha. Behörde nicht vor. Lediglich der Staatsbürgerschaftsnachweis ihrer Mutter und ihre eigene Geburtsurkunde wurden der ha. Behörde vorgelegt. Seit 21.04.2000 sind Sie in Österreich durchgehend aufrecht gemeldet. Dies jedoch abwechselnd an Kärntner und Wiener Adressen. Laut eigenen Angaben waren Sie seit ihrem Aufenthalt in Österreich an verschiedenen Arbeitsstellen im Bereich der Gastronomie und des Baugewerbes tätig. Dazu stellt die ha. Behörde fest, dass sie laut einem aktuellen Sozialversicherungsauszug seit dem Jahr 2000 fast durchgehend arbeitslos waren und Notstandshilfe bezogen. Ihre Beschäftigungen reduzieren sich auf einige höchstens einige Monate dauernde Anstellung. Vom 22.03.2005 bis 31.07.2005 bezogen Sie wieder Notstandshilfe und waren arbeitslos. Im Moment sind Sie seit 01.11.2005 als freier Dienstnehmer als Interviewer tätig und somit auch sozialversichert. Bei angeführten Sachverhalt kann jedenfalls nicht von einer beruflichen Bindung zu Österreich gesprochen werden.
Folgende Verurteilungen scheinen in einem aktuellen Strafregisterauszug für ihre Person auf:
BG Spittal an der Drau, GZ ... vom 06.04.2001 wegen § 27/1 SMG und §§ 15, 141/1 StGB, rechtskräftige Verurteilung zu einer unbedingten Geldstrafe von Euro 508,71 im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
BG Villach, GZ ... vom 08.08.2001 wegen § 83/2 StGB, rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von Euro 109,01 im NEF 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
BG Spittal an der Drau, GZ ... vom 27.02.2002 wegen § 27/1 SMG, rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von Euro 260,-
, im NEF 65 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von Euro 80,-, im NEF 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt auf drei Jahre Probezeit. Am 04.03.2002 wurde die Probezeit auf fünf Jahre verlängert und der bedingte Teil der Geldstrafe widerrufen.
BG Villach, GZ ... vom 18.12.2002 wegen § 83/1 StGB, rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von Euro 480,- im NEF 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
BG Spittal an der Drau, GZ ... vom 16.07.2003 wegen § 27/1 SMG, rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von Euro 150,-
, im NEF 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe als Zusatzstrafe gemäße § 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf BG Villach ...
BG St. Johann im Pongau, ... vom 18.10.2005 wegen § 27/1 SMG, rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe von Euro 210,- im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe.
Sie zeigen somit, dass Sie nicht gewillt sind österreichische Rechtsvorschriften zu beachten und somit mehrmals wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden. Auf Grund fehlender ausgeprägter beruflicher Bindungen zu Österreich und des erst relativ kurzen Aufenthaltes in Österreich (seit 2000) war auch in Hinblick auf ihre familiäre Bindung zu Österreich spruchgemäß zu entscheiden."
Unbestritten geblieben seien die bereits im erstinstanzlichen Verfahren der Entscheidung zu Grunde gelegten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers. Somit seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 FPG gegeben.
Dem Einwand, der Beschwerdeführer dürfte deshalb nicht mit einem Aufenthaltsverbot belegt werden, weil er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen wäre, sei zu entgegnen, dass für das Vorliegen der Unzulässigkeit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes entsprechend dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die kumulative Erfüllung beider Tatbestandselemente dieser Bestimmung erforderlich sei. Der Beschwerdeführer sei nach seiner Geburt bis zu seinem elften Lebensjahr in Deutschland und nicht in Österreich aufhältig gewesen. Von einem Aufwachsen von klein auf im Inland könne daher nicht gesprochen werden.
Zum weiteren Vorbringen, dem Beschwerdeführer hätte die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, sei auf § 10 Abs. 1 Z. 1 und 7 StbG 1985 verwiesen, wonach die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden dürfe, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten habe und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen gewesen und sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert sei. Maßgeblicher Zeitpunkt (i.S.d. § 61 Z. 3 FPG) sei jener vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände. Beim maßgeblichen Sachverhalt im Falle eines auf strafbare Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbotes handle es sich nicht um die Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern um das zu Grunde liegende Fehlverhalten des Fremden. Ausgehend davon fehle dem Beschwerdeführer sowohl hinsichtlich seines ersten wie auch seines zweiten Aufenthaltes das Erfordernis des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG 1985. In beiden Fällen sei auch davon auszugehen, dass von einem gesicherten Lebensunterhalt zu diesen Zeitpunkten nicht gesprochen werden könnte.
Die Suchtgiftkriminalität weise eine besondere Gefährlichkeit auf und lasse daher eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit begründet erscheinen. Im Zusammenhang mit der Suchtgiftkriminalität seien nicht nur die Tat an sich und die Gefährdung des Interesses an der Gesundheit zu berücksichtigen, sondern auch die Gefahr einer Begleit- und Beschaffungskriminalität. Zwar sei der Beschwerdeführer im Recht, wenn er darauf hinweise, dass im gegenständlichen Fall keine schwer wiegenden Verurteilungen wegen Verletzungen des SMG vorlägen, die besondere Gefährlichkeit sei jedoch schon deshalb anzunehmen, weil beim Beschwerdeführer offenbar überhaupt keine Einsicht wahrzunehmen sei. Obwohl er - beginnend mit dem Jahre 2001 - wegen Verstößen gegen das SMG verurteilt worden sei, sei es zu drei weiteren Verurteilungen wegen "dieser Bestimmung" gekommen. Wenn den Beschwerdeführer auch Verurteilungen von einer Fortsetzung seines strafbaren Verhaltens nicht abhalten könnten, so begründe dies die Annahme einer besonderen Gefährlichkeit im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG. Darüber hinaus habe er sich auch - wenn auch nur im Familienkreis und offenbar zur Verteidigung der Ehre oder der Interessen einer Familienangehörigen - gewaltbereit gezeigt, was sich aus den Verurteilungen gemäß § 83 Abs. 2 StGB sowie aus dem vom ihm selbst geschilderten Vorgängen, die dieser Verurteilung zu Grunde gelegen seien, ergebe.
Bei einer Gefährdung dieser Grundinteressen der Gesellschaft durch das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers und angesichts des Umstandes, dass diese Gefahr (wenn der Beschwerdeführer auch momentan kein Suchtverhalten mehr aufweise) nach wie vor als gegeben anzusehen sei, liege doch die letzte Verurteilung noch nicht einmal ein Jahr zurück, müssten auch die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG als gegeben angesehen werden; müsse doch angesichts des erst kurzen Zeitraums seit der letzten Verurteilung mit einer weiteren Wiederholung derartiger Handlungen durch den Beschwerdeführer gerechnet werden.
Unzweifelhaft habe der Beschwerdeführer massive familiäre Bindungen im Inland, seine Integration am österreichischen Arbeitsmarkt sei allerdings noch nicht als besonders gefestigt anzusehen.
Unter Berücksichtigung der Verurteilungen des Beschwerdeführers sowie der diesen Verurteilungen nach eigenen Angaben zu Grunde liegenden Handlungen führe die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG im Ergebnis dazu, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers als nicht schwerer wiegend zu veranschlagen seien als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Die für eine Integration wesentliche soziale Komponente - gekennzeichnet durch den langen Aufenthalt und die familiäre Integration - sei durch das Gewicht der gerichtlich strafbaren Handlung, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden sei, erheblich beeinträchtigt worden, handle es sich doch dabei um mehrere wiederholte strafbare Handlungen gegen die Gesundheit. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich überwiege daher die Auswirkungen dieser Maßnahme auf dessen Lebenssituation. Bei diesem Ergebnis käme auch bei Ausübung des der Behörde zustehenden Ermessens eine Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht in Betracht.
Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer zuletzt am 18. Oktober 2005 wegen einer Übertretung des SMG rechtskräftig verurteilt worden sei, erweise sich die von der Behörde erster Instanz vorgesehene Befristung als angemessen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gegen den Beschwerdeführer als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall lösgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275.)
2.1. Die Beschwerde bringt unter anderem vor, der angefochtene Bescheid habe sich nicht mit den konkreten Tathandlungen des Beschwerdeführers, die zu seinen gerichtlichen Verurteilungen geführt hätten, auseinander gesetzt.
2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Die belangte Behörde hat zwar die von der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommene Auflistung der bezirksgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers (jeweils zu Geldstrafen) wörtlich wiedergegeben, sie hat jedoch - wie die erste Instanz - keine Feststellungen über die den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen getroffen. Ohne konkrete Feststellungen zu den einzelnen Straftaten kann der Verwaltungsgerichtshof weder die Art bzw. die Schwere der den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers noch dessen Persönlichkeitsbild beurteilen und somit die Richtigkeit der von der belangten Behörde gemäß § 86 Abs. 1 FPG und § 66 Abs. 1 und 2 leg. cit. getroffenen Beurteilung nicht überprüfen. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmangel belastet.
3. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 28. Februar 2008
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