VwGH 2006/13/0070

VwGH2006/13/007011.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der S-Aktiengesellschaft in K, vertreten durch die Arnold Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstrasse 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 9. März 2006, Zl. RV/2342-W/05, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2003 und 2004 sowie für die Monate März und April 2005, zu Recht erkannt:

Normen

31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs2;
61995CJ0037 Ghent Coal Terminal VORAB;
61998CJ0110 Gabalfrisa VORAB;
UStG 1994 §12 Abs1 Z1;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs2;
61995CJ0037 Ghent Coal Terminal VORAB;
61998CJ0110 Gabalfrisa VORAB;
UStG 1994 §12 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Aktiengesellschaft (im Folgenden Beschwerdeführerin) ist eine gemeinnützige Bauaktiengesellschaft und begann im Jahr 2002 mit der Errichtung einer Wohnhausanlage. Ursprünglich war geplant, in dieser Wohnhausanlage zu errichtende Eigentumswohnungen - unter unechter Umsatzsteuerbefreiung - zu verkaufen. Deshalb machte die Beschwerdeführerin für das Jahr 2002 die im Zusammenhang damit angefallenen Vorsteuern nicht geltend.

Im Streitjahr 2003 beschloss die Beschwerdeführerin "wegen grundlegender Änderung der Marktsituation infolge des gesunkenen Interesses für Wohnungseigentumsobjekte", die Wohnungen nach Fertigstellung zu vermieten. Bereits im Jahr 2003 begann sie, diesbezügliche Nutzungsverträge abzuschließen, in denen vereinbart wurde, dass die Hälfte des Grundkostenbeitrags einen Monat nach Unterfertigung des Vertrages, der Restbetrag vier Wochen vor Wohnungsübergabe und das Nutzungsentgelt ab Fertigstellung zu leisten sei. Im Jahr 2004 und in den Streitmonaten des Jahres 2005 folgten weitere Abschlüsse solcher Nutzungsverträge.

Die Beschwerdeführerin berichtigte ihren Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Errichtung der Wohnhausanlage dergestalt, dass sie die auf die jeweiligen Wohnungen, über welche sie Nutzungsverträge abgeschlossen hatte, anteilig entfallenden Vorsteuern mit Abschluss der jeweiligen Nutzungsverträge geltend machte.

Mit dem angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde die Umsatzsteuer für die Streitjahre 2003 und 2004 sowie die Streitmonate März und April 2005 im Instanzenzug fest und erkannte die durch die erwähnte Berichtigung geltend gemachten Vorsteuern nicht an. Die belangte Behörde stellte außer Streit, dass im ersten Jahr der Bauabwicklung und Bauplanung (2002) die Absicht der Beschwerdeführerin bestanden habe, Eigentumswohnungen zu errichten und diese (unecht) steuerfrei zu verkaufen. Richtigerweise sei daher im Jahr 2002 ein Vorsteuerabzug unterblieben. Ab dem Jahr 2003 seien betreffend einige Wohnungen bereits in der Herstellungsphase Mietverträge abgeschlossen worden und die entsprechenden Objekte in den Bilanzen wegen "Widmungsänderung" vom Umlauf - ins Anlagevermögen umgebucht worden. Die Beschwerdeführerin habe einen "Mustermietvertrag" vorgelegt, wonach dem Mieter "ab Fertigstellungsmeldung" die im Bauvorhaben gelegene Wohnung überlassen werde. Unstrittig sei im Streitzeitraum dieses Bauvorhaben aber noch nicht fertiggestellt worden, weshalb die Mieter auch noch keinen (umsatzsteuerpflichtigen) Mietzins zu entrichten gehabt hätten. Die Mieter hätten allerdings die Hälfte des vereinbarten Grundkostenbeitrages einen Monat nach Vertragsfertigung einzuzahlen gehabt.

Für den Vorsteuerabzug seien nach Ansicht der belangten Behörde grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Empfanges der Leistung maßgebend. Dabei gelte etwa, dass noch bevor aus der Vermietung eines Gebäudes Entgelte erzielt würden, Vorsteuern berücksichtigt werden könnten. Die Absicht der Vermietung eines Gebäudes müsse aber in bindenden Vereinbarungen ihren Niederschlag finden oder aus sonstigen, über die Absichtserklärung hinausgehenden Umständen mit ziemlicher Sicherheit feststehen. Die im Beschwerdefall maßgebende Bestimmung des § 12 Abs. 11 UStG 1994 sehe eine Berichtigung - und zwar unbefristet und ohne Aliquotierung - für jenen Veranlagungszeitraum vor, in dem eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine solche Änderung der Verhältnisse liege aber nicht schon dann vor, wenn der Unternehmer in einem späteren Veranlagungszeitraum seine ursprüngliche Absicht ändere und nunmehr das Wirtschaftsgut zur Ausführung steuerpflichtiger oder steuerfreier Umsätze verwenden wolle. Auch wenn in diesem späteren Veranlagungszeitraum diese Absichtsänderung nach außen hin eindeutig in Erscheinung trete, indem etwa wie im Beschwerdefall Mietverträge abgeschlossen worden seien, sei eine Änderung der Verhältnisse erst in dem Zeitpunkt gegeben, in welchem es zur tatsächlichen Ausführung des steuerpflichtigen oder steuerfreien Umsatzes komme. Damit solle vor der tatsächlichen Verwendung oder Nutzung eine bei bestimmten Sachverhaltskonstellationen denkbare mehrfache Absichtsänderung noch nicht zu entsprechenden Vorsteuerberichtigungen führen. Da im Beschwerdefall der Abschluss der Mietverträge allein noch nicht als eine Änderung der Verhältnisse angesehen werden könne, sondern diesbezüglich auf die erstmalige Erzielung von umsatzsteuerpflichtigen Mieteinkünften abzustellen sei, sei die Berichtigung der aus dem Jahr 2002 stammenden Vorsteuern für den Streitzeitraum zu Recht abgelehnt worden. Im Bezug auf die Hälfte des von den Mietern vereinbarungsgemäß schon in der Herstellungsphase einzuzahlenden Grundkostenbeitrages sehe die belangte Behörde noch keine umsatzsteuerpflichtige Leistung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a der im Beschwerdefall noch maßgebenden Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABlEG Nr. L 145 vom 13. Juni 1977, (im Folgenden: Sechste MwSt-RL) ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden oder erbracht wurden oder erbracht werden, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden.

Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht nach Art. 17 Abs. 1 der Sechsten MwSt-RL, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach Art. 20 Abs. 1 der Sechsten MwSt-RL nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, u.a. nach Art. 20 Abs. 1 Buchstabe b, wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.

Die Berichtigung nach Art. 20 der Sechsten MwSt-RL ist auch auf einen Sachverhalt anwendbar, bei dem ein Gegenstand zunächst einer steuerbefreiten Tätigkeit zugeordnet wird, die kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet, und dann während des Berichtigungszeitraumes für die Zwecke einer der Mehrwertsteuer unterliegenden Tätigkeit verwendet wird (vgl. das Urteil des EuGH vom 30. März 2006 in der Rs. C-184/04 (Uudenkaupungin kaupunki)).

Nach § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 kann der Unternehmer die von anderen Unternehmern in einer Rechnung an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Nach § 12 Abs. 3 leg. cit. sind vom Vorsteuerabzug u.a. die Steuer für die Lieferungen und die Einfuhr von Gegenständen, soweit der Unternehmer diese Gegenstände zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, und die Steuer für sonstige Leistungen, soweit der Unternehmer diese sonstigen Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze in Anspruch nimmt, ausgeschlossen.

§ 12 Abs. 11 UStG 1994 lautet:

"(11) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer für sein Unternehmen hergestellt oder erworben hat oder bei sonstigen Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, die Voraussetzungen, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist, sofern nicht Abs. 10 zur Anwendung gelangt, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung eingetreten ist."

Im Beschwerdefall ist allein die Frage zu beantworten, ob eine Änderung der Faktoren im Sinn des Art. 20 der Sechsten MwSt-RL und eine Änderung der Voraussetzungen im Sinn des § 12 Abs. 11 UStG 1994 bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des jeweiligen Nutzungsvertrages, wodurch die Aufgabe der Verkaufsabsicht jedenfalls nach außen in Erscheinung getretenen ist, anzunehmen ist oder ob eine solche Änderung der Faktoren oder der Voraussetzungen erst mit der tatsächlichen Überlassung der später fertig gestellten Wohnungen an die Mieter erfolgt wäre.

Ein Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 der Sechsten MwSt-RL ist für einen einem Unternehmer gelieferten Gegenstand oder eine einem Unternehmer erbrachte Dienstleistung im Regelfall bereits zulässig, wenn die Ausführung eines steuerpflichtigen Umsatzes erst beabsichtigt ist, und setzt nicht voraus, dass der Unternehmer damit einen Umsatz bereits ausgeführt hat oder ausführt (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 21. März 2000 in der Rs. C-110/98 (Gabalfrisa SL ua), Rn 45, unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung). Es genügt, wenn die Gegenstände oder Dienstleistungen zur Verwendung im Rahmen steuerpflichtiger Umstände bestimmt sind (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 15. Jänner 1998 in der Rs. C-37/95 (Ghent Coal Terminal NV), Rn 17, und das hg. Erkenntnis vom 19. März 2008, 2007/15/0134).

Zutreffend hat die belangte Behörde festgehalten, es komme für die Frage der Berechtigung zum Vorsteuerabzug auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung an, auf welche die als Vorsteuer geltend gemachte Umsatzsteuer entfällt.

Im Beschwerdefall bestanden diese Verhältnisse (Faktoren iSd Art. 20 der Sechsten MwSt-RL oder Voraussetzungen iSd § 12 Abs. 11 UStG 1994) ursprünglich in der Absicht der Beschwerdeführerin, die zu errichtenden Eigentumswohnungen zu verkaufen. Die an die Beschwerdeführerin erbrachten Leistungen mit darauf entfallender Umsatzsteuer, welche die im Beschwerdefall in Rede stehende Vorsteuer bildet, waren zur Erzielung steuerfreier Umsätze durch die Beschwerdeführerin bestimmt. Konkrete Umsätze erzielte - unbeschadet der Bezahlung der Hälfte des vereinbarten Grundkostenanteiles - die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang noch nicht.

Mit der nach außen hin durch Abschluss der Nutzungsverträge jedenfalls erkennbaren Änderung der Absicht dahingehend, die zu errichtenden Wohnungen nunmehr (steuerpflichtig) vermieten zu wollen, und mit der zufolge des Abschlusses der Nutzungsverträge eingetretenen Bindung daran, waren die in Rede stehenden Leistungen insoweit zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze bestimmt und trat damit eine Änderung der Faktoren iSd Art. 20 der Sechsten MwSt-RL und der Voraussetzungen iSd § 12 Abs. 11 UStG 1994 ein. Indem die belangte Behörde für die Erfüllung dieser Tatbestandsmerkmale auf das tatsächliche Erzielen eines Umsatzes (durch Vermietung) abgestellt hat, hat sie die Rechtslage verkannt.

Auf das in der Gegenschrift angeführte hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, 2006/15/0020, kann sich die belangte Behörde nicht mit Erfolg berufen, weil im damaligen Beschwerdefall die Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Voraussetzungen vor dem Hintergrund der Erfolglosigkeit unternehmerischer Tätigkeit zu beurteilen war.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den in § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG angeführten Gründen abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 11. November 2008

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