VwGH 2006/04/0011

VwGH2006/04/001129.2.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der KPMG Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/VII, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungsenates für Kärnten vom 30. Mai 2005, Zl. KUVS- 2360/16/2004, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: L-Gesellschaft in K, vertreten durch Quendler, Klaus & Partner Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Villacher Ring 19), zu Recht erkannt:

Normen

BVergG 2002 §105 Abs2 Z3;
BVergG 2002 §105 Abs2;
BVergG 2002 §163 Abs1;
BVergG 2002 §174 Abs2;
BVergG 2002 §20 Z42;
BVergG 2002 §91 Abs1;
BVergG 2002 §99;
BVergG 2002 §105 Abs2 Z3;
BVergG 2002 §105 Abs2;
BVergG 2002 §163 Abs1;
BVergG 2002 §174 Abs2;
BVergG 2002 §20 Z42;
BVergG 2002 §91 Abs1;
BVergG 2002 §99;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 30. Mai 2005 wurde

der Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung, dass der Widerruf des Vergabeverfahrens "Abschlussprüfung der Jahresabschlüsse der mitbeteiligten Partei und der Landeskrankenanstalten in Hermagor, Klagenfurt, Laas, Villach und Wolfsberg sowie des sich aus der Konsolidierung ergebenden konsolidierten Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2004" durch die mitbeteiligte Partei rechtswidrig war, gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 AVG iVm § 6 Abs. 4 Kärntner Vergaberechtsschutzgesetz, LGBl. 17/2003, (K-VergRG) als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.),

der (Eventual)Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung, "dass wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt wurde, weil die Zuschlagskriterien unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt so unbestimmt und so unsachlich ausgeschrieben worden sind, dass der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung in objektiv handhabbarer Weise dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot/Bestbieter erteilt werden konnte" als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) und

der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ersatz der Pauschalgebühren durch die mitbeteiligte Partei mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zurückgewiesen (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Partei habe zum Zwecke der Durchführung einer Abschlussprüfung für das Geschäftsjahr 2004 ein offenes Verfahren im Unterschwellenbereich gemäß den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002 (BVergG 2002) durchgeführt. In diesem Verfahren sei das Bestbieterprinzip mit folgenden drei Zuschlagskriterien angewendet worden:

"Die Vergabe des Auftrages erfolgt nach dem Bestbieterprinzip, wobei die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes anhand der Kriterien Preis (40 %), Qualität der angebotenen Leistung (30 %) und Wirtschaftlichkeit des Angebotes (30 %) erfolgt.

Die Qualität der angebotenen Leistung wird durch die Verhältnismäßigkeit der vorzulegenden Stundenkalkulationen zu den auf aus vorausgegangenen diesbezüglichen Ausschreibungen gewonnenen Erfahrungswerten beruhenden Stundenannahmen ermittelt.

Die Wirtschaftlichkeit des Angebotes wird durch das jeweilige Preis - Leistungsverhältnis ermittelt, wobei der Beurteilungsbasis die einschlägigen Honorarrichtlinien der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zugrunde gelegt werden."

Bei der Angebotsbewertung sei allerdings bei der Bewertung der Qualität der "Angebotsbewertung" (gemeint: Angebote) von diesen Ausschreibungskriterien abgegangen worden. So sei die Qualität anhand der Verhältnismäßigkeit der von den einzelnen Bietern angegebenen Stunden zu einem Referenzwert, der sich aus dem Mittelwert der in den eingelangten Angeboten angegebenen Stundenkalkulation errechnet worden sei (1.347 Gesamtprüfstunden), bewertet worden. In der Bewertung sei demjenigen Angebot die höchste Punkteanzahl zuerkannt worden, das den Wert von 1.300 Gesamtprüfstunden am nächsten gekommen sei. Die übrigen Angebote hätten entsprechende Punkteabschläge im Verhältnis der Abweichung zu diesem Wert erfahren.

Nach Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung der mitbeteiligten Partei durch die Beschwerdeführerin und Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung durch die belangte Behörde habe die mitbeteiligte Partei den Bietern des Vergabeverfahrens mitgeteilt, dass das gegenständliche Vergabeverfahren auf Grundlage des § 105 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3 BVergG 2002 widerrufen werde. Diesen Schritt habe die mitbeteiligte Partei im bezughabenden Schreiben damit begründet, dass

"im Hinblick auf die auch in den gestellten Nachprüfungsanträgen von Bieterseite gehegten Bedenken gegen die Bewertung der Angebote und gegen das Bewertungssystem eine Zuschlagsentscheidung und Vergabe im Einklang mit den Bestimmungen des BVergG nicht gewährleistet ist und daher ein zwingender Grund zum Widerruf der Ausschreibung im Sinne des § 105 Abs.1 BVergG bzw. ein wichtiger Grund im Sinne des § 105 Abs. 2 BVergG, der den Widerruf sachlich rechtfertigt, vorliegt."

Das Beweisverfahren habe klar ergeben, dass die mitbeteiligte Partei in einem wesentlichen Punkt bei der Angebotsbewertung von den in der Ausschreibung normierten Bewertungskriterien abgegangen sei. Dieses Abgehen stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen des BVergG 2002 und sei mit dem Transparenzgebot und dem Gebot der Gleichbehandlung aller Bieter nicht vereinbar. Somit seien für die mitbeteiligte Partei als öffentlicher Auftraggeber schwerwiegende Gründe hervorgetreten, die den Widerruf sachlich rechtfertigten bzw. sogar, um weitergehenden Schaden zu vermeiden, erforderlich machten. Dass die mitbeteiligte Partei die Widerrufsgründe selbst herbeigeführt habe, schließe die Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht aus. Das Abgehen von den Ausschreibungskriterien in einer für den Ausgang des Vergabeverfahrens relevanten Weise stelle einen schwerwiegenden Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften dar. Diese Vorgangsweise habe zweifelsfrei einen Widerruf der Ausschreibung gerechtfertigt, sodass auf das weitergehende Vorbringen der mitbeteiligten Partei, dass die Zuschlagskriterien mit den Bestimmungen des BVergG 2002 nicht "vereinbart" (gemeint: vereinbar) seien und somit bereits aus diesen Erwägungen ein Widerruf erforderlich gewesen wäre, nicht einzugehen sei.

Der Einwand der Beschwerdeführerin, der Widerruf sei zu dem alleinigen Zweck erfolgt, eine neuerliche Ausschreibung zu ermöglichen, um den Angebotspreis zu reduzieren, sei entgegen zu halten, dass es zwar zutreffend sei, dass das zweite Vergabeverfahren nach dem Billigstbieterprinzip durchgeführt worden sei, und auch zutreffend sei, dass der Bestbieter in diesem zweiten Vergabeverfahren einen günstigeren Preis angeboten habe. Dennoch liege der Tatbestand des § 105 Abs. 2 letzter Satz BVergG 2002 nicht vor, zumal die Ausschreibung zwingend zu widerrufen gewesen sei.

Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der von der Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 14. April 2005 gestellte Eventualantrag sei verfristet, weil die gemäß § 14 Abs. 2 K-VergRG normierte Rechtsmittelfrist bei Beendigung des Vergabeverfahrens durch Widerruf (Zustellung des Schreibens der mitbeteiligten Partei) am 28. Oktober 2004 begonnen und demzufolge mit Ablauf des 9. Dezember 2004 geendet habe.

Zu Spruchpunkt III. führte die belangte Behörde aus, der Antrag auf Pauschalgebührenersatz sei mangels Obsiegens der Beschwerdeführerin zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 28. November 2005, B 3233/05, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab. In dem zitierten Beschluss führte der VfGH unter anderem aus, es sei vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zu § 115 Abs. 4 BVergG 1997) nicht erkennbar, warum die in § 14 Abs. 2 K-VergRG normierte Frist von sechs Wochen für die Einbringung eines Feststellungsantrages die Antragstellung übermäßig erschweren und Art. 6 EMRK widersprechen sollte.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Rechtslage:

Die im vorliegenden Fall (noch) maßgeblichen Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I Nr. 99 (BVergG 2002), lauten:

"Vorgehen bei der Prüfung

§ 91. (1) Die Prüfung der Angebote hat in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nach den in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen festgelegten Kriterien zu erfolgen.

...

Wahl des Angebotes für den Zuschlag

§ 99. (1) Von den Angeboten, die nach dem Ausscheiden übrig bleiben, ist der Zuschlag gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot oder dem Angebot mit dem niedrigsten Preis zu erteilen.

...

Widerruf der Ausschreibung nach Ablauf der Angebotsfrist

§ 105. (1) Nach Ablauf der Angebotsfrist ist die Ausschreibung zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten.

(2) Die Ausschreibung kann widerrufen werden, wenn

  1. 1. nur ein Angebot eingelangt ist,
  2. 2. nach dem Ausscheiden von Angeboten gemäß § 98 nur ein Angebot bleibt, oder

    3. andere für den Auftraggeber schwerwiegende Gründe bestehen, die den Widerruf sachlich rechtfertigen. Ein Widerruf der Ausschreibung zu dem alleinigen Zweck, eine neuerliche Ausschreibung zu ermöglichen, um einen Angebotspreis zu reduzieren, ist sachlich nicht gerechtfertigt.

(3) Die Ausschreibung gilt als widerrufen, wenn kein Angebot eingelangt ist, oder nach dem Ausscheiden von Angeboten kein Angebot im Vergabeverfahren verbleibt.

(4) Vom Widerruf der Ausschreibung sind die Bieter unverzüglich unter Bekanntgabe des Grundes zu verständigen.

(5) Ein Widerruf der Ausschreibung gemäß Abs. 1 bis 3 ist in derselben Art bekannt zu machen wie die Ausschreibung.

(6) Mit der ordnungsgemäßen Durchführung der Verständigung gemäß Abs. 4 gewinnen Auftraggeber und Bieter ihre Handlungsfreiheit wieder."

2. Zu Spruchpunkt I. (Rechtmäßigkeit des Widerrufs):

Die Beschwerdeführerin bringt gegen diesen Spruchpunkt im Wesentlichen vor, die mitbeteiligte Partei hätte im vorliegenden Fall richtigerweise lediglich ihre Zuschlagsentscheidung überdenken und eine Bewertung nach den in der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien vornehmen müssen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtene Bescheides auf:

Der Begründung des angefochtenen Bescheides ist nicht zu entnehmen, ob die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vom Vorliegen eines zwingenden Widerrufsgrundes (§ 105 Abs. 1 BVergG 2002) oder eines im Ermessen des Auftraggebers stehenden Widerrufgrundes (§ 105 Abs. 2 BVergG 2002: arg. "kann") ausgeht. Einerseits spricht sie von "schwerwiegenden Gründen", was auf § 105 Abs. 2 BVergG 2002 hindeutet, andererseits aber davon, dass die Ausschreibung "zwingend zu widerrufen" gewesen sei, was § 105 Abs. 1 BVergG 2002 entspräche. Inhaltlich stützt die belangte Behörde ihre Auffassung, der Widerruf des gegenständlichen Vergabeverfahrens sei rechtmäßig gewesen, alleine auf den Umstand, dass die mitbeteiligte Partei (nachträglich, d.h. nach der Ausschreibung) bei der Bewertung der Angebote von den in der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien abgewichen sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst § 105 Abs. 2 BVergG 2002 jene Gegebenheiten, in denen nachträglich - d.h. nach der Ausschreibung - sonstige wesentliche Änderungen von für das Vergabeverfahren relevanten Umständen eintreten. Dabei ist zu fragen, ob der Grund für einen allfälligen Widerruf in der konkreten Situation von einem solchen Gewicht ist, dass ein besonnener Auftraggeber versucht wäre, von der Fortführung des Vergabeverfahrens abzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2006, Zl. 2006/04/0019). Die belangte Behörde ist offenbar davon ausgegangen, dass das Abgehen der mitbeteiligten Partei von den in der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien bei der Bewertung der Angebote für sich allein genommen einen Widerruf sachlich rechtfertigt.

Dabei verkennt die belangte Behörde jedoch, dass der Auftraggeber die von ihm getroffene Zuschlagsentscheidung - bis zur Zuschlagserteilung - jederzeit ändern oder zurücknehmen kann, etwa wenn er erkennt, dass er den falschen Bieter als Bestbieter ermittelt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2007, Zl. 2005/04/0222, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2006, Zl. 2005/04/0202). Durch die spätere Zuschlagsentscheidung bringt der Auftraggeber nämlich zum Ausdruck, an der früheren Zuschlagsentscheidung nicht mehr festzuhalten (vgl. den hg. Beschluss vom 27. Juni 2007, Zl. 2005/04/0111, mit Verweis auf das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. April 2007). Der Umstand alleine, dass bereits eine interne Prüfung der Angebote entgegen den in der Ausschreibung getroffenen Festlegungen vorgenommen und eine darauf basierende Zuschlagsentscheidung getroffen wurde, hindert einen besonnenen Auftraggeber daher nicht daran, das Vergabeverfahren fortzusetzen und in der Folge eine den Ausschreibungsbedingungen entsprechende Bewertung der Angebote (§ 91 Abs. 1 BVergG 2002) und Zuschlagsentscheidung (§ 99 BVergG 2002) vorzunehmen. Dieser Umstand kann daher für sich genommen nicht als schwerwiegender Grund nach § 105 Abs. 2 BVergG 2002 angesehen werden, der einen Widerruf sachlich rechtfertigt.

Aus diesen Überlegungen erweist sich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als inhaltlich rechtswidrig.

3. Zu Spruchpunkt II. (Eventualantrag) und III (Pauschalgebührenersatz):

Da diese Spruchpunkte in untrennbarem Zusammenhang mit Spruchpunkt I: des angefochtenen Bescheides stehen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 333.

Wien, am 29. Februar 2008

Stichworte