VwGH 2006/21/0391

VwGH2006/21/039127.3.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. November 2006, Zl. Fr 1256/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §30 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §30 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus:

Der Beschwerdeführer habe am 26. November 2005 Katharina M geheiratet. Am 2. Dezember 2005 habe er den Antrag auf Erteilung einer quotenfreien Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger-Österreich, § 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997" eingebracht. Auf Grund einer anonymen Anzeige hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe seien in der Folge diesbezügliche Erhebungen eingeleitet worden. Katharina M sei am 16. Dezember 2005 vernommen worden. Sie habe ausgesagt, dass es derzeit keinen gemeinsamen Haushalt gäbe und sie eine Woche vor der Hochzeit Karl B kennen und lieben gelernt hätte. Sie hätte mit dem Beschwerdeführer derzeit keine wirkliche Verbindung.

Am 20. Jänner 2006 sei Katharina M von der Polizeiinspektion Y. wieder vernommen worden. Demnach wäre der Beschwerdeführer zwei Tage vor der Hochzeit aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen; sie hätte den Beschwerdeführer dennoch geheiratet, um ihm zu helfen. Sie hätte - so ihre Angaben vom selben Tag vor der Bezirkshauptmannschaft A. - vor der Heirat ca. drei Monate mit dem Beschwerdeführer zusammen gewohnt und eine Beziehung gehabt. Nach der Heirat hätten sich jedoch die Wege von Katharina M und dem Beschwerdeführer getrennt. Katharina M hätte ihn geheiratet, um ihm zu helfen bzw. um ihm einen weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Sie hätte keine Absicht, mit dem Beschwerdeführer tatsächlich eine Ehe zu führen.

Der Beschwerdeführer habe angegeben - so die weitere Bescheidbegründung unter Bedachtnahme auf die Vernehmung des Beschwerdeführers am 23. Jänner 2006 -, dass beide nach der Hochzeit nicht mehr gemeinsam gewohnt hätten und es keinen gemeinsamen Haushalt gegeben hätte.

Nach dem Inhalt der Stellungnahme vom 28. März 2006 hätte der Beschwerdeführer die Absicht gehabt, eine "echte Ehe" zu schließen. Er wäre davon ausgegangen, eine echte Ehe zu schließen und eine eheliche Gemeinschaft zu begründen. Er hätte vor der Heirat mit seiner Ehefrau für ca. drei Monate zusammen gewohnt und eine Lebens-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft gehabt.

Die belangte Behörde nehme es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer mit Katharina M vor der Heirat für die Dauer von ca. drei Monaten ein gemeinsames Familienleben geführt habe. Dies ergebe sich aus den übereinstimmenden Aussagen. Gleichfalls ergebe sich jedoch aus diesen Aussagen, dass nach der Heirat kein gemeinsamer Haushalt und keine Lebensgemeinschaft bestanden habe, weil Katharina M noch vor der Hochzeit ausgezogen und zu ihrem Freund übersiedelt sei. Die Aussage des Beschwerdeführers, dass er noch in der Hochzeitsnacht Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau gehabt hätte, werde aus diesem Grund als unglaubwürdig bewertet. Es sei als erwiesen zu betrachten, dass nach der Hochzeit keine Lebensgemeinschaft mit Katharina M bestanden habe. Gleichwohl habe sich der Beschwerdeführer am 2. Dezember 2005 auf die Ehe mit Katharina M berufen. Wenn sich ein Fremder anlässlich der Beantragung einer Niederlassungsbewilligung auf eine Ehe berufe, obwohl er kein gemeinsames Familienleben führt, so rechtfertige dies die Annahme, dass die Ehe nur deshalb geschlossen worden sei, um sich fremdenrechtlich bedeutsame Berechtigungen zu verschaffen. Für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe spreche auch der Umstand, dass Katharina M schwierige persönliche Lebensumstände gehabt habe und für eine Aufenthaltsehe vom Fremden üblicherweise ein österreichischer Ehepartner ausgewählt werde, der sich in finanziellen Schwierigkeiten bzw. in einer persönlichen Krise befinde. "Auf Grund dieser Umstände nimmt die erkennende Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung als erwiesen an, dass Sie mit der österreichischen Staatsangehörigen Katharina M am 26.11.2005 vor dem Standesamt ... die Ehe eingegangen sind, um in den Genuss einer längerfristigen Aufenthaltsberechtigung zu kommen, wobei von vorn herein nicht geplant war, ein gemeinsames Familienleben im Sinn von Art. 8 Abs. 2 EMRK zu führen."

In der weiteren Begründung legte die belangte Behörde dar, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertige, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde und es könne die belangte Behörde keine "günstigen Parameter" erblicken, wonach die in § 60 Abs. 1 FPG vorgesehene "Kann-Bestimmung" zu seinen Gunsten anzuwenden wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten samt Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2).

Nach § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

Gemäß § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf diese Ehe berufen.

Gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gegen Angehörige von - ihre Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmenden - Österreichern zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist; das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dabei kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungsmaßstab zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0165).

Für die Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG kommt es - wie schon im Blick auf § 36 Abs. 2 Z 9 Fremdengesetz 1997 (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 8. November 2001, Zl. 2000/21/0030) - darauf an, dass eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. So führen auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) aus, dass dieses Aufenthaltsverbot Fremde betrifft, "die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen".

In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass ein Familienleben die Eheschließung nicht voraussetzt (vgl. Wiederin in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art. 8 EMRK Rz. 73) und der Beschwerdeführer unbestritten vor der Heirat ein solches mit seiner späteren Ehefrau geführt hat. Zum anderen hindert dies aber nicht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG. Diese Norm verwendet zwar die Formulierung "ein gemeinsames Familienleben … nie geführt hat". Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (aaO) führen dazu (im nun vollständig zitierten Absatz) jedoch aus:

"Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen Fremde, die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen (Abs. 2 Z 9) wird dahingehend geändert, dass dies nun auch ohne Leistung des zumindest nur schwer nachweisbaren Vermögensvorteils durch den Fremden möglich ist."

Dem Gesetz liegt somit nicht die Intention zu Grunde, dass ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden dürfte, wenn der Fremde zu irgend einem (früheren) Zeitpunkt mit dem (späteren) Partner ein Familienleben geführt hat. Auch § 30 Abs. 1 NAG stellt bloß auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Nichtführen eines Familienlebens und dem Berufen auf ein nicht geführtes Familienleben ab. Ein vor der Eheschließung geführtes Familienleben hindert somit nicht die Erfüllung des genannten Tatbestandes.

Im vorliegenden Fall stellte die belangte Behörde eine - oben umschriebene - Missbrauchsabsicht fest, die jedoch von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht in schlüssiger Weise getragen werden kann. Die belangte Behörde ging anhand der Aussagen des Beschwerdeführers und der Katharina M davon aus, dass vor der Eheschließung für die Dauer von ca. drei Monaten ein gemeinsames Familienleben geführt worden sei, hingegen nach der Heirat kein gemeinsamer Haushalt und keine Lebensgemeinschaft bestanden hätten. Diese Feststellung begegnet ebenso wenig Schlüssigkeitsbedenken wie die weitere Feststellung, dass Katharina M keine Absicht gehabt habe, mit dem Beschwerdeführer tatsächlich eine Ehe zu führen. Die belangte Behörde berücksichtigt aber nicht ausreichend, dass es für die Erfüllung des genannten Tatbestandes nicht auf die Absicht des anderen Ehepartners, sondern auf die des Fremden ankommt, dem die Schließung einer Aufenthaltsehe vorgeworfen wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 2005, Zl. 2004/21/0135). Die belangte Behörde zitiert die Aussage des Beschwerdeführers, dass er die Absicht gehabt habe, eine "echte Ehe" zu schließen, es sich jedoch seine Ehefrau anders überlegt habe und mit ihm nicht mehr zusammenleben wollte. Mit dieser Aussage setzt sich die belangte Behörde nicht auseinander. Ihre Überlegung, dass aus einer späteren Beantragung einer Niederlassungsbewilligung bei gleichzeitigem Fehlen eines Familienlebens abzuleiten sei, dass die Ehe (schon vorher) mit Missbrauchsabsicht geschlossen worden sei, ist unschlüssig, weil sie außer Acht lässt, dass nach einer frei von Missbrauchsabsicht geschlossenen Ehe das Familienleben aufgegeben werden kann. Auch der Hinweis auf das "Aussuchen" von Partnern mit schwierigen Lebensumständen ist nicht tragfähig, weil die belangte Behörde damit den Besonderheiten des vorliegenden Falls nicht gerecht wird.

Ein Fremder darf sich zwar gemäß § 30 Abs. 1 NAG für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen, wenn ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt wird. Dies könnte dem Beschwerdeführer zu Recht vorgeworfen werden; für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG ist jedoch (darüber hinaus) erforderlich, dass eine Missbrauchsabsicht bereits bei Eheschließung bestanden hat. Eine solche Absicht hat die belangte Behörde - wie dargelegt - nicht schlüssig begründet.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. März 2007

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