VwGH 2005/21/0374

VwGH2005/21/037427.2.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. P. Trefil, über die Beschwerde der E in G, geboren 1963, vertreten durch Dr. Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Burgring 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 15. Juni 2005, Zl. Fr 61/2001, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Armenien, ist am 5. Mai 1998 gemeinsam mit ihrem (früheren) Ehemann S., einem aus Aserbeidschan stammenden armenischen Staatsangehörigen, von dem sie im August 1987 in Armenien vor dem Standesamt geschieden worden war, in das Bundesgebiet eingereist. Die beiden Genannten haben am 5. Mai 1998 Asylanträge gestellt.

Der Asylantrag des S. wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juni 2000 gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die Behandlung einer dagegen von S. an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde wurde mit hg. Beschluss vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0414, abgelehnt.

Am 29. Mai 1998 änderte die Beschwerdeführerin ihren Asylantrag in Ermangelung eigener Fluchtgründe auf einen Asylerstreckungsantrag in Bezug auf ihren "Ehemann" S. ab. Dieser Antrag wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. März 2000 zurückgewiesen, weil die Beschwerdeführerin seit 1987 geschieden und mit S. mangels neuerlicher Eheschließung nicht verheiratet sei. Am 6. Juli 2000 stellte die Beschwerdeführerin daraufhin neuerlich einen Asylantrag, in dem sie sich auf die Verfolgung des S. berief. Dieser Antrag wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Dezember 2000 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Die Behandlung einer dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit hg. Beschluss vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0126, abgelehnt.

Die Beschwerdeführerin lebt seit mehreren Jahren gemeinsam mit S. in Graz. In einer vor der belangten Behörde am 17. November 2003 aufgenommenen Niederschrift machte sie u.a. geltend, legal unselbständig (bei einem Zeitungsverlag im Vertrieb) beschäftigt zu sein. Mittlerweile lebe mit ihr und S. auch die gemeinsame, am 13. November 1981 geborene Tochter M. im gleichen Haushalt.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 15. Juni 2005 wies die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark) die Beschwerdeführerin gemäß § 33 Abs. 1 und § 37 Abs. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie darauf, dass sich die Beschwerdeführerin im Sinn des § 33 Abs. 1 FrG unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, weil sie über keine Bewilligung nach dem Asyl- oder Fremdengesetz verfüge. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu, sodass der unrechtmäßige Aufenthalt die Ausweisung zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten erscheinen lasse.

Bei der Interessenabwägung nach § 37 Abs. 1 FrG ging die belangte Behörde davon aus, dass eine Integration der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht festgestellt werden könne, weil sie keiner legalen Beschäftigung nachgehe, mittellos sei und ihren Lebensunterhalt von der Sozialhilfe bestreite. Die Abschiebung des S. aus dem Bundesgebiet (mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom 27. August 2003 war über S. gemäß § 36 Abs. 1 Z 1 und 2 iVm Abs. 2 Z 1 und 7 FrG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden) sei nur derzeit unzulässig, weil seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei (Anmerkung:

vgl. mittlerweile das dieses Verfahren des S. betreffende aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 2006, Zl. 2003/21/0193).

Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin trotz mehrfacher Aufforderung durch die belangte Behörde (am 11. Oktober 2001, 5. November 2001 und 15. Februar 2005) keinen Nachweis für eine Wiederverehelichung mit S. (nach der Ehescheidung im August 1987) vorgelegt. Insgesamt wögen die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Verbleib in Österreich daher nicht so schwer wie die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an der Erlassung einer Ausweisung. Auch S., dem gegenüber die Beschwerdeführerin weder zur Pflege noch zur Obsorge verpflichtet und der von ihr auch nicht abhängig sei, könne nämlich "keinen legalen Aufenthalt vorweisen".

Eine Ermessensübung zu Gunsten der Beschwerdeführerin im Sinn des § 33 Abs. 1 FrG komme auf Grund des eminenten öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, insbesondere an einer wirksamen Bekämpfung des unrechtmäßigen Aufenthalts bzw. der illegalen Zuwanderung Fremder, "sowie zur möglichen Hintanhaltung der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf das Gemeinwohl" nicht in Betracht. Aus dem Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin sei nicht einmal ansatzweise zu erkennen, dass sie gewillt sei "und diesbezügliche Schritte unternommen habe", um sich der österreichischen Rechtsordnung "zu unterwerfen" und ihren allfälligen künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Ausland aus zu legalisieren.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht die einleitend wiedergegebenen Ausführungen der belangten Behörde betreffend die Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet. Von daher begegnet die Auffassung, dass der Tatbestand des § 33 Abs. 1 FrG verwirklicht sei, keinen Bedenken.

Im Rahmen der nach § 37 Abs. 1 FrG gebotenen Abwägung macht die Beschwerdeführerin (auf das Wesentlichste zusammengefasst) geltend, die belangte Behörde habe die für ihre Ermessensentscheidung notwendigen Ermittlungen über ihr Privat- und Familienleben unterlassen. Sie führe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit S., von dem sie sich nur gezwungenermaßen (infolge seiner aserbeidschanischen Abstammung) habe scheiden lassen müssen, um politischer Verfolgung zu entgehen. Für eine neuerliche Eheschließung in Österreich hätten ihr "die notwendigen Papiere" gefehlt. "Bereits zumindest seit 17.11.2003" halte sich die gemeinsame, am 13. November 1981 geborene Tochter M. in Österreich bei ihren Eltern auf. Diese hätte ihnen am 9. Oktober 2004 ein Enkelkind geschenkt. In ihrem Heimatland wäre die Beschwerdeführerin "ohne jegliche Existenz" und von extremer Not und Armut bedroht, während sie in Österreich einer geregelten Beschäftigung nachgehe und sich "über den Zeitraum von 7 Jahren eine Lebensgrundlage geschaffen" habe.

Bei der erstmals im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Geburt einer Enkeltochter am 9. Oktober 2004 handelt es sich um eine unzulässige Neuerung.

Jedoch verhilft der Hinweis auf die durch die belangte Behörde erfolgte Einvernahme der Beschwerdeführerin vom 17. November 2003 dieser zum Erfolg: Dabei hat sie nämlich - abweichend von früheren Darstellungen - ausgeführt, legal unselbständig beschäftigt zu sein und gemeinsam mit S. und ihrer Tochter M. in Graz zu wohnen. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit diesem Vorbringen nicht auseinander gesetzt, sondern ist - wie sich aus den oben wiedergegebenen Feststellungen ergibt - ohne Begründung (eine Beweiswürdigung ist im angefochtenen Bescheid nicht enthalten) von der Unrichtigkeit dieser Ausführungen und dem unveränderten Zutreffen der früheren Angaben der Beschwerdeführerin über ihre Mittellosigkeit, die Abdeckung ihrer Lebensbedürfnisse ausschließlich aus Sozialhilfe sowie den Aufenthalt ihrer (Mutter und) Tochter M. in Armenien (Niederschrift vom 19. Oktober 2001) ausgegangen.

Damit hat sie aber, zumal sich der ein Aufenthaltsverbot gegen S. aussprechende Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erwiesen hat und demnach aufgehoben wurde (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2006), ihre Beurteilung nach § 37 Abs. 1 FrG auf Grundlage mangelhaft erhobener Tatsachenfeststellungen vorgenommen. Dem kann Relevanz für den Ausgang des Verfahrens zukommen, weil im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet bei familiärer, sozialer und beruflicher Integration (vgl. zum letztgenannten Erfordernis etwa die hg. Erkenntnisse vom 5. April 2005, Zl. 2005/18/0080, und vom 5. Juli 2005, Zl. 2004/21/0124) die Ausweisung im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG unzulässig sein könnte. Im Besonderen werden Feststellungen über den aufenthaltsrechtlichen Status des S. und allenfalls der Tochter M. erforderlich sein.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. Februar 2007

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