VwGH 2004/20/0181

VwGH2004/20/018125.1.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der X in W, geboren 1965, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den am 3. September 2003 verkündeten und am 15. September 2003 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 239.832/5-II/04/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §7;
AsylG 1968 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2;
AsylG 1968 §7;
AsylG 1968 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste am 9. Dezember 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 21. März 2002 Asyl. In ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. Juli 2003 gab sie zu ihren Fluchtgründen an, sie habe durch die Geburt ihrer zweiten Tochter gegen das Familienplanungsgesetz verstoßen. Sie habe sich geweigert, einer deswegen an sie ergangenen behördlichen Vorladung und der Anordnung eines "Kaders" (Beamten), sich sterilisieren zu lassen, Folge zu leisten. Infolge dessen sei im Juni 2000 - zwei Monate nach der Geburt ihrer zweiten Tochter - "als Strafe" ihr Wohnhaus (ein kleines Holzhaus) abgerissen worden. Die Beschwerdeführerin habe dabei einen Beamten mit einem Holzstock auf den Rücken geschlagen; dieser habe Verletzungen erlitten und sei von der Rettung abtransportiert worden. Im April 2001 habe die Beschwerdeführerin sich scheiden lassen; nachdem sie geflüchtet sei, habe ihr Mann in ihrer Abwesenheit die Scheidung eingereicht. Im Falle ihrer Rückkehr würde sie wegen Verstoßes gegen das Familienplanungsgesetz und wegen Widerstandes gegen einen Beamten verhaftet werden. In Österreich habe sie erfahren, dass nach ihr gefahndet werde. Zu ihrem Fluchtweg gab die Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt zunächst an, sie sei "am 9. April 2001 in umliegende Gebiete gezogen", wo sie sich bis zum 24. September 2001 aufgehalten und dann über Peking und Budapest nach Österreich gelangt sei. Auf die Frage, wo sie sich in der Zeit zwischen der Zerstörung ihres Hauses und dem 9. April 2001 aufgehalten habe, antwortete die Beschwerdeführerin, sie habe sich "bei Bekannten in umliegenden Dörfern versteckt".

Mit Bescheid vom 16. Juli 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Volksrepublik China fest.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung wies die belangte Behörde die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Die Begründung der schriftlichen Ausfertigung besteht - nach Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides und der Erwähnung, dass die Beschwerdeführerin dagegen Berufung erhoben habe und am Ende der hierüber am 3. September 2003 durchgeführten Verhandlung der Berufungsbescheid verkündet worden sei - zunächst aus einer "mangels weiter reichender Kapazitäten" vorgenommenen bloßen Verweisung, und zwar "hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens" auf die im erstinstanzlichen Bescheid gegebene Darstellung und "hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung" auf die Verhandlungsschrift. Die weitere Begründung hat folgenden Inhalt:

"Lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit wird im Folgenden die gleichfalls bereits in der Verhandlungsschrift aufscheinende Begründung (im engeren Sinne) dieses Bescheides - welche sich in ihrem letzten Absatz in gleicher Weise auch auf die beiden anderen Berufungswerber der verbundenen Verhandlung bezieht - im Wortlaut wiedergegeben:

'Selbst wenn man hinsichtlich dieser Berufungswerberin auf Grund ihres Vorbringens als für die Zwecke dieses Verfahrens genügend bescheinigt annehmen wollte, dass diese Berufungswerberin tatsächlich, so wie vor dem Bundesasylamt angegeben, in China insgesamt zwei Töchter (die jüngere davon im April 2000) geboren habe, sie daraufhin im Juni 2000 Opfer des geschilderten Übergriffes geworden sei und sie - in auffälligem zeitlichen Zusammenhang mit dem Verlassen ihres Heimatdorfes - im April 2001 von ihrem Gatten geschieden worden sei, wären aus den dieser Berufungswerberin vom hier entscheidenden Mitglied bereits in der Verhandlung vorgehaltenen ebenso wie aus den vom Sachverständigen angeführten Gründen gerade in Würdigung der konkreten Situation dieser Berufungswerberin (Alter, Scheidung und noch mehrmonatiges Verbleiben im Heimatdorf nach Geburt der zweiten Tochter ohne Festnahme oder Zwangssterilisierung) die von der Berufungswerberin befürchteten Gefährdungen nicht als genügend wahrscheinlich zu beurteilen.

Das Verhalten der Berufungswerberin auf den Vorhalt des hier entscheidenden Mitgliedes legt freilich sogar Zweifel nahe, ob selbst die dieser Entscheidung zu Grunde gelegten erstinstanzlichen Angaben der Wahrheit entsprechen; jedenfalls erachtet es das hier entscheidende Mitglied für ausgeschlossen, dass die erst in einem späten Verfahrensstadium erstmals vorgetragene, der erstinstanzlichen Aussage eklatant widersprechende Aussage der Berufungswerberin, sie habe bereits weit vor dem April 2001 ihr Heimatdorf verlassen, in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zutreffe, hat doch die Berufungswerberin dafür, warum sie diesfalls vor dem Bundesasylamt unrichtig ausgesagt habe, keine plausible Erklärung vorgetragen.

...

Da auch von Amts wegen keine Gefährdung der Berufungswerber, im Falle ihrer Rückkehr in die VR China, in Zusammenhang mit der jeweils erfolgten Asylantragstellung im Ausland bzw. einer allfälligen seinerzeitigen Übertretung der chinesischen Ausreisevorschriften hervorgekommen ist, ebenso wenig wie eine Gefahr, nach ihrer Rückkehr dort in eine existenzielle Notlage zu geraten, waren die Berufungen spruchgemäß abzuweisen.'"

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß §§ 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grund gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und weshalb sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Dieser Grundsatz gilt auch für einen mündlich verkündeten Bescheid und dessen schriftliche Ausfertigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 2006, Zl. 2004/20/0237, mwH).

Der tragende Begründungsteil der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides beschränkt sich auf eine - "lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit" vorgenommene - wörtliche Wiederholung der bei der Bescheidverkündung gegebenen Begründung (vgl. zur Problematik dieses Vorgehens das Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0349, und das zitierte Erkenntnis vom 5. September 2006, jeweils mwH).

Davon, dass die Angaben der Beschwerdeführerin, die sich auf den von ihr geltend gemachten Verfolgungsgrund ihrer im Zusammenhang mit der chinesischen "Ein-Kind-Politik" drohenden Zwangssterilisierung beziehen (zur Asylrelevanz solcher Maßnahmen im Allgemeinen siehe das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2004, Zl. 2001/20/0692), zur Gänze unglaubwürdig wären, ist die belangte Behörde nicht ausgegangen. Obwohl sie auch ausgeführt hat, das Verhalten der Beschwerdeführerin lege "Zweifel" nahe, ob ihre Angaben "der Wahrheit entsprechen", hat sie aus diesen Zweifeln keine weiteren beweiswürdigenden Schlüsse gezogen, sondern dem angefochtenen Bescheid vielmehr von ihr angeführte "erstinstanzliche Angaben" der Beschwerdeführerin zu Grunde gelegt. Sie hat daraus aber, dem Sachverständigen folgend, geschlossen, dass "gerade in Würdigung der konkreten Situation der (Beschwerdeführerin) (Alter, Scheidung und noch mehrmonatiges Verbleiben im Heimatdorf nach Geburt der zweiten Tochter ohne Festnahme oder Zwangssterilisierung) die von (ihr) befürchteten Gefährdungen nicht als genügend wahrscheinlich zu beurteilen" seien. Dieser Schluss ist im angefochtenen Bescheid jedoch nicht in einer den oben genannten Anforderungen entsprechenden Weise begründet.

Aus den von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten "erstinstanzlichen Angaben" hat die belangte Behörde offenbar geschlossen, dass die Beschwerdeführerin bis zum April 2001 in ihrem Heimatdorf gelebt habe - wobei die oben geschilderten Vorfälle nach der Geburt des zweiten Kindes sich schon im Juni 2000 ereignet hätten -, und die Gefahr der Vornahme einer Zwangssterilisierung bei der Beschwerdeführerin unter anderem wegen dieses längeren Aufenthaltes im Heimatdorf bis zur Flucht nicht genügend wahrscheinlich sei. Diesen Sachverhaltsannahmen liegt nach der Begründung des Bescheides die Folgerung zu Grunde, es sei "ausgeschlossen, dass die erst in einem späten Verfahrensstadium (nämlich in der Berufungsverhandlung) erstmals vorgetragene, der erstinstanzlichen Aussage eklatant widersprechende Aussage der (Beschwerdeführerin), sie habe bereits weit vor dem April 2001 ihr Heimatdorf verlassen, in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zutreffe, hat doch die (Beschwerdeführerin) dafür, warum sie diesfalls vor dem Bundesasylamt unrichtig ausgesagt habe, keine plausible Erklärung vorgetragen".

Die belangte Behörde hat dabei außer Acht gelassen, dass die Beschwerdeführerin in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. Juli 2003 auf die Frage, wann Sie ihre "Heimatadresse" in China verlassen habe, zwar zunächst angegeben hat, am 9. April 2001 "in umliegende Gebiete gezogen" zu sein, dass sie aber in derselben Vernehmung auf die Frage, wo sie sich während des Zeitraums zwischen dem Abriss ihres Wohnhauses im Juni 2000 und dem 9. April 2001 aufgehalten habe, antwortete, sie habe sich "bei Bekannten in umliegenden Dörfern versteckt". Auch die auf die Scheidung von ihrem Ehemann bezogene Zeitangabe, wonach dieser die Scheidung nach ihrer Flucht eingereicht habe, wobei die Scheidung "im April 2001" erfolgt sei, erlaubt keine eindeutige zeitliche Einordnung des Zeitpunktes des Verlassens des Heimatortes durch die Beschwerdeführerin, die in ihrer Berufung darauf hingewiesen hat, dass ihr Wohnhaus zerstört worden sei - sie also keine Unterkunft mehr gehabt habe -, und das Verlassen ihrer Heimatadresse "nicht punktuell" gesehen werden dürfe, sei sie doch gezwungen gewesen, sich bei verschiedenen Bekannten aufzuhalten, ehe sie endgültig ihren Heimatort verlassen habe. Da die erstinstanzlichen Angaben der Beschwerdeführerin - welche die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt haben will - in Bezug auf das Verlassen des Heimatortes somit nicht eindeutig sind und eine die erstinstanzlichen Angaben in ihrer Gesamtheit einbeziehende beweiswürdigende Auseinandersetzung fehlt, kann von einem "eklatanten" Widerspruch zwischen diesen und den späteren Aussagen in der Berufungsverhandlung nicht gesprochen werden, sodass die davon ausgehende Beweiswürdigung nicht schlüssig ist.

Darüber hinaus hat die belangte Behörde sich nicht damit auseinander gesetzt, dass der Sachverständige in seinem in der Berufungsverhandlung am 3. September 2003 erstatteten Gutachten eingeräumt hat, dass es unmöglich sei, die Vornahme von Zwangssterilisierungen "mit der erforderlichen Sicherheit" für ganz China allgemein auszuschließen.

Inwieweit aus dem Alter der (1965 geborenen) Beschwerdeführerin und dem Umstand, dass sie geschieden ist, die Verneinung der von ihr behaupteten Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit der "chinesischen Ein-Kind-Politik" zu schließen ist, hat der Sachverständige schließlich nicht näher begründet. Er erachtete diese Umstände jedoch im Zusammenhang mit der - nicht schlüssig begründeten - Annahme, die Beschwerdeführerin habe sich noch längere Zeit unbehelligt in ihrem Heimatdorf aufgehalten, für ausreichend, um eine Gefährdung der Beschwerdeführerin zu verneinen, obwohl er die Vornahme von Zwangssterilisierungen - wie erwähnt - nicht "mit der erforderlichen Sicherheit für ganz China allgemein" ausschloss.

Da die belangte Behörde auch keine Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in der Heimatregion der Beschwerdeführerin und allfälligen Ausweichmöglichkeiten innerhalb Chinas getroffen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid somit insgesamt als unzureichend begründet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Jänner 2007

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