Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe angehörender Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 5. Mai 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 8. Mai 2002 Asyl.
Mit Bescheid vom 8. Jänner 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest. Das Bundesasylamt stellte fest, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Gemeinderatswahlen im Jahr 1999 einen kurdischen Kandidaten unterstützt und daraufhin mit der türkisch-stämmigen Bevölkerung seines Heimatortes Y, Provinz T, immer wieder Probleme gehabt habe, wie etwa dass Lebensmittel in seinem Geschäft nicht bezahlt worden seien oder dass er in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt worden sei. Nach derartigen Vorfällen habe sich der Beschwerdeführer immer wieder für einige Zeit nach Istanbul begeben, wo er keinerlei Probleme gehabt habe, und sei erst nach Beruhigung der Lage wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er habe noch keinen Militärdienst geleistet und müsste nach Gewährung eines mehrfachen Aufschubes im Jänner 2003 den Dienst antreten. Er lehne die Ableistung des Militärdienstes ab, weil er befürchte, im Osten der Türkei eingesetzt zu werden und die "schmutzigsten Arbeiten" verrichten zu müssen. Das Bundesasylamt traf in der Folge Feststellungen zur allgemeinen Situation der Kurden in der Türkei. Die vom Beschwerdeführer empfundene Furcht vor türkischstämmigen Bewohnern seiner Heimatstadt stelle sich als Verfolgung von Seiten Privater dar. Der Beschwerdeführer habe nicht dartun können, dass ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet der Türkei eine Schutzgewährung vor solchen Übergriffen aus asylrelevantem Grund verwehrt würde. Dass die Sicherheitsbehörden der Türkei gänzlich schutzunfähig oder schutzunwillig wären bzw. der Beschwerdeführer aus diesem Grund auch nur mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet der Türkei mit Schutzverweigerung bzw. mangelnder Schutzgewährung aufgrund der Ineffizienz der staatlichen Sicherheitsbehörden zu rechnen hätte, habe der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen vermocht.
Zur Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei stellte das Bundesasylamt fest, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass "hinter der Verteilung der Militärdienstpflichtigen in Westen bzw. Osten der Türkei ein einheitliches Konzept steckt. Aus disziplinären oder sicherheitstechnischen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass Kurden aus der Osttürkei dort im Kampf gegen die PKK eingesetzt werden". Es leisteten zwar auch Soldaten kurdischer Herkunft in Ostanatolien ihren Wehrdienst ab, Personen, "die unter Bezugnahme auf ihre kurdische Volkszugehörigkeit um politisches Asyl angesucht haben", würden aber "kaum diese Anforderungen besonderer Loyalität erfüllen", um in den Kurdengebieten eingesetzt zu werden, sodass es "unwahrscheinlich" sei, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in die Türkei den Militärdienst im Osten des Landes leisten müsste. Die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst "indiziert ebensowenig die Flüchtlingseigenschaft wie die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung". Dass den Beschwerdeführer eine Bestrafung erwarte, weil er es ablehne, den Wehrdienst abzuleisten, könne daher nicht zur Asylgewährung führen. Der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass er ausschließlich wegen seiner Nationalität oder seiner politischen Gesinnung einberufen würde oder dass mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre. Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Refoulement des Beschwerdeführers in die Türkei begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen würde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung abgewiesen. Das Bundesasylamt habe ein ordnungsgemäßes, mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides den Sachverhalt, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfragen klar und übersichtlich dargestellt. Um Wiederholungen zu vermeiden, beziehe sich die belangte Behörde zustimmend auf diese Ausführungen und erhebe sie zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde ergänzte im angefochtenen Bescheid, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, aus welchem Grund dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative verwehrt bleiben sollte. Seine diesbezüglich unbegründet gebliebenen Berufungsausführungen, wonach eine Übersiedlung nach Istanbul weder mehr Sicherheit vor Verfolgung gebracht hätte, noch für ihn ohne Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich gewesen wäre, seien nicht nachvollziehbar, handle es sich doch beim Beschwerdeführer um einen jungen Mann - Krankheiten sowie allfällige Behinderungen seien nicht hervorgekommen -, dessen bisherige Berufsausübung als Händler einer Erwerbstätigkeit außerhalb seiner Heimatregion nicht im Wege stehe. Darüber hinaus sei er nach eigenen Angaben immer wieder für längere Zeit in Istanbul aufhältig gewesen, ohne Probleme gehabt zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr erheblichen Beeinträchtigungen seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit, seiner Freiheit und seines Lebens ausgesetzt wäre, hätten sich ebenfalls nicht ergeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die Annahme der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei im Zusammenhang mit seinen Problemen, die er als Kurde mit der türkisch-stämmigen Bevölkerung seines Heimatortes gehabt habe, eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative offen stehe, begegnet keinen Bedenken. Die belangte Behörde hat das diesbezügliche - nicht näher konkretisierte - Berufungsvorbringen im angefochtenen Bescheid berücksichtigt, diesem aber zutreffend entgegengehalten, dass der Beschwerdeführer seine bisherige Erwerbstätigkeit als Händler auch außerhalb seiner Heimatregion ausüben könne; auch habe er sich immer wieder längere Zeit ohne Probleme in Istanbul aufgehalten. Diesen Feststellungen ist die Beschwerde nicht entgegen getreten.
2. Hingegen führt das Vorbringen, der Beschwerdeführer lehne die Ableistung des Militärdienstes ab und hätte bei Eintritt in diesen damit zu rechnen, zu militärischen Einsätzen gegen Kurden im Südosten des Landes herangezogen zu werden und im Militärdienst misshandelt zu werden, im Ergebnis zum Erfolg:
Das Bundesasylamt, auf dessen Ausführungen sich die belangte Behörde zustimmend bezog, stellte zur Person des Beschwerdeführers unter anderem fest, er müsste im Jänner 2003 den Militärdienst antreten, lehne diesen aber ab. In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesasylamt aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass ihn eine Bestrafung erwarte, weil er es ablehne, den Wehrdienst abzuleisten, könne nicht zur Asylgewährung führen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seinem Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, (in Auseinandersetzung mit der zu früheren Asylgesetzen ergangenen Vorjudikatur) dargelegt, dass der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommt, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Weiters könne unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. daran anschließend auch die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0604, vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0475, sowie vom heutigen Tag, Zl. 2003/20/0111; zur Möglichkeit der Asylrelevanz des Zwanges zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe vgl. auch das Erkenntnis vom 8. April 2003, Zl. 2001/01/0435).
Insofern legte das Bundesasylamt, indem es ausführte, dass die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst ebenso wenig die Flüchtlingseigenschaft begründen könne, wie die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden unter Umständen auch "strengen Bestrafung", dem erstinstanzlichen Bescheid eine unrichtige Rechtsansicht zugrunde. Auf Grund der von der belangten Behörde gewählten "Verweistechnik" schlägt diese Fehlerhaftigkeit auf den angefochtenen Bescheid durch.
Die belangte Behörde hat auch nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer im Asylverfahren die Befürchtungen geäußert hat, im Osten der Türkei zum Militärdienst eingesetzt und dabei im Zuge der Bekämpfung von Partisanen an Militäraktionen gegen die kurdische Bevölkerung teilnehmen zu müssen, sowie im Militärdienst misshandelt zu werden. Die - von der belangten Behörde übernommenen - Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid im Zusammenhang mit einer allfälligen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen seiner Flucht "vor einem drohenden Militärdienst" lassen keine konkrete Auseinandersetzung mit dem dargestellten Vorbringen des Beschwerdeführers erkennen. Soweit das Bundesasylamt einen Einsatz des Beschwerdeführers in den Kurdengebieten deshalb als unwahrscheinlich angesehen hat, weil er als Person, die im Ausland um Asyl angesucht habe, "kaum diese Anforderungen besonderer Loyalität erfüllen" würde, um in den Kurdengebieten eingesetzt zu werden, hätte die belangte Behörde diese allgemeinen Überlegungen auch in Beziehung zu den über die Ableistung des Militärdienstes in der Türkei vorliegenden Länderberichten (die vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen sind) setzen müssen. Es kam daher im vorliegenden Fall eine Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht in Betracht.
3. Somit war der angefochtene Bescheid wegen der - vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 1. März 2007
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