VwGH 2005/18/0599

VwGH2005/18/059913.6.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des K, geboren 1946, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Pilgramgasse 22/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Mai 2005, Zl. SD 846/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

11992E177 EGV Art177;
61986CJ0012 Demirel VORAB;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0340 Ömer Nazli VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
11992E177 EGV Art177;
61986CJ0012 Demirel VORAB;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61997CJ0340 Ömer Nazli VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. Mai 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei seit 29. März 1989 im Besitz von Sichtvermerken bzw. Niederlassungsbewilligungen, zuletzt einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung. Seit dem Jahr 1995 habe der Beschwerdeführer 50 % der Geschäftsanteile einer GesmbH inne gehabt. Die weiteren 50 % seien pro forma von seinen Söhnen gehalten worden. Ab Sommer 1997 sei er mit seinem Unternehmen in immer größere Zahlungsschwierigkeiten geraten. Trotzdem habe er immer mehr Waren bei einer Vielzahl von Unternehmen, insbesondere Hubwagen, Gabelstapler, Lebensmittel und Bürogeräte in einem Wert von insgesamt mehr als EUR 520.000,-- bestellt. Diese Waren, die fast ausschließlich unter Eigentumsvorbehalt geliefert worden seien, habe der Beschwerdeführer ins Ausland verbracht, ohne die aus diesen Bestellungen resultierenden Verbindlichkeiten zu bezahlen. Ab 1997 sei er in der Türkei verblieben. Erst am 11. Oktober 2002 sei er in Bulgarien auf Grund eines internationalen Haftbefehls festgenommen und schließlich nach Österreich ausgeliefert worden. Mit Urteil vom 21. Jänner 2004 sei er wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 3 und 148 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 leg. cit. seien ebenfalls gegeben.

Der Beschwerdeführer sei geschieden, familiäre Bindungen bestünden zu zwei in Österreich lebenden Söhnen, von denen einer mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Eine weitere Tochter studiere nach der Aktenlage in der Türkei. Das Aufenthaltsverbot sei daher mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz des Eigentums und des Vermögens Dritter) dringend geboten. Wer durch eine derartige Vielzahl von einzelnen Betrugshandlungen andere in ganz erheblichem Ausmaß schädige, um sich unrechtmäßig zu bereichern, lasse seine außerordentliche Geringschätzung maßgeblicher österreichischer Rechtsvorschriften erkennen. Der Umstand, dass die Straftaten bereits länger zurücklägen könne die davon ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen nicht entscheidend relativieren, sei der Beschwerdeführer doch zufolge seiner Ausreise für die Justiz nicht greifbar gewesen und erst nach seiner Verhaftung auf Grund eines internationalen Haftbefehls nach Österreich gebracht worden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei auf die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer den Großteil der Zeit seit seiner Wiedereinreise nach der Verhaftung in Strafhaft verbracht habe. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seit 24. Jänner 2005 einer Erwerbstätigkeit nachgehe, könne seine persönlichen Interessen nicht derart verstärken, dass demgegenüber die das Aufenthaltsverbot stützenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten hätten. Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen daher keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

Entgegen dem Berufungsvorbringen seien auf den Beschwerdeführer die Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nicht anwendbar. Der Beschwerdeführer sei während seines Aufenthaltes in der Türkei nicht unverschuldet arbeitslos gewesen und habe daher allfällige Rechte nach Art. 6 des zitierten Beschlusses jedenfalls verloren.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, sich ab 1997 in der Türkei aufgehalten zu haben und erst nach seiner Festnahme am 11. Oktober 2002 in Bulgarien auf Grund eines internationalen Haftbefehls nach Österreich gebracht worden zu sein.

Eine allenfalls bis zur Ausreise im Jahr 1997 erworbene Rechtsstellung nach dem auf Grundlage des Assoziierungsabkommen EWG-Türkei aus dem Jahr 1963 gefassten Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 vom 19. September 1980 (ARB) hätte der Beschwerdeführer durch diesen langjährigen Auslandsaufenthalt jedenfalls verloren, kann doch bei einer so langen - freiwilligen - Abwesenheit keinesfalls mehr von einem für die Begründung eines weiteren Beschäftigungsverhältnisses "angemessenen" Zeitraum im Sinn der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gesprochen werden (vgl. etwa das Urteil vom 10. Februar 2000, C- 340/97, in der Rechtssache Nazli Rz 40 und Rz 49).

Seit seiner Wiedereinreise ist der Beschwerdeführer unstrittig erst seit 24. Jänner 2005, somit noch nicht einmal ein Jahr beschäftigt, weshalb daraus keine Rechte nach Art. 6 ARB abgeleitet werden können.

Soweit sich der Beschwerdeführer darauf beruft, auf Grund des gemeinsamen Wohnsitzes mit seinem Sohn, einem langjährig niedergelassenen türkischen Staatsangehörigen, Rechte aus Art. 7 ARB ableiten zu können, ist ihm zu entgegnen, dass nach der Judikatur des EuGH (vgl. etwa das Urteil vom 17. April 1997, C- 351/95, in der Rechtssache Selma Kadiman) durch diese Bestimmung die Befugnis der Mitgliedstaaten nicht berührt wird, den Familienangehörigen die Genehmigung zu erteilen, zu dem ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. Die hier unstrittig vorliegende Auslieferung nach Österreich auf Grund eines internationalen Haftbefehls stellt aber keinesfalls eine Genehmigung dar, zu dem in Österreich lebenden Sohn zu ziehen.

Da es sich beim Beschwerdeführer somit nicht um einen türkischen Staatsangehörigen, dem die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, handelt, ist das Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, C-136/03, in der Rechtssache Dörr et Ünal für den vorliegenden Fall - anders als der Beschwerdeführer meint - nicht von Bedeutung.

2. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren begegnet die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, keinen Bedenken.

3. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 1997 unstrittig bei vielen Unternehmen Waren bestellt und diese Waren in die Türkei verbracht, ohne sie zu bezahlen. Dabei hat er einen Schaden in der Höhe von mehr als EUR 520.000,-- verursacht. Auf Grund der Verurteilung auch gemäß § 148 zweiter Fall StGB steht fest, dass er dabei in der Absicht vorging, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Auf Grund der sich aus diesem Verhalten ergebenden überaus gewichtigen Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Der in der Beschwerde vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführer nach eineinhalb Jahren aus der Strafhaft bedingt entlassen worden sei, steht dieser Annahme nicht entgegen, hat doch die Fremdenpolizeibehörde die Frage des Gerechtfertigtseins des Aufenthaltsverbots unabhängig von den die bedingte Entlassung begründenden Erwägungen des Vollzugsgerichts und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2002/18/0022).

4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG fällt zu Gunsten des Beschwerdeführers dessen inländischer Aufenthalt von 1989 bis 1997 sowie ab seiner Auslieferung nach Österreich infolge der Verhaftung am 11. Oktober 2002 in Bulgarien, in welchem Zeitraum allerdings seine Inhaftierung in der vorgebrachten Dauer von eineinhalb Jahren fällt, ins Gewicht; weiters der Umstand, dass sich zwei Söhne im Bundesgebiet aufhalten. Die aus der Aufenthaltsdauer resultierende Integration des Beschwerdeführers wird in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die schwerwiegenden Straftaten erheblich relativiert. Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers seit Jänner 2005 zu keiner wesentlichen Verstärkung der persönlichen Interessen führt.

Diesen persönlichen Interessen steht die oben 3. dargestellte überaus große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Von daher kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig angesehen werden.

5. Da sich die Beschwerde aus den dargestellten Gründen als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 13. Juni 2006

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