VwGH 2005/18/0555

VwGH2005/18/055520.4.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des I, (geboren 1974), in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Helga Wagner, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lange-Gasse 12/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Juli 2005, Zl. SD 990/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art7;
EheG §23;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art7;
EheG §23;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. Juli 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 und § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Den vorliegenden Verwaltungsakten zufolge sei der Beschwerdeführer am 5. Februar 2002 in das Bundesgebiet eingereist. Er sei im Besitz eines bis 4. Juni 2002 gültigen Touristenvisums gewesen, sei aber nach Ablauf der Gültigkeit unerlaubt weiterhin in Österreich geblieben. Am 24. Juni 2002 habe der Beschwerdeführer eine namentlich genannte österreichische Staatsbürgerin geheiratet und bereits eine Woche danach einen Antrag auf Erteilung einer entsprechenden Niederlassungsbewilligung gestellt, die in weiterer Folge bis 16. September 2004 verlängert worden sei.

Die besagte österreichische Staatsbürgerin habe zwar bei ihrer Einvernahme vor der Erstbehörde am 27. September 2002 bestätigt, dass es sich bei der Ehe mit dem Beschwerdeführer um eine Liebesheirat gehandelt hätte, sie habe aber bei der neuerlichen Vernehmung am 17. Februar 2005 eingestanden, dass es sich um eine Scheinehe gehandelt hätte. Tatsächlich sei die Ehe mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 2. September 2004 gemäß § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt worden. Der dagegen erhobenen Berufung sei vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien am 12. Jänner 2005 keine Folge gegeben worden, das Urteil sei am 4. März 2005 in Rechtskraft erwachsen.

Wie sich aus den Entscheidungsgründen der Urteile ergebe, sei die Ehe überwiegend deshalb geschlossen worden, um einerseits dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, und andererseits dem "Ehepartner" einen Vermögensvorteil in der Höhe von ca. S 80.000,-- zu verschaffen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei nie beabsichtigt gewesen und auch nie erfolgt. Diesbezüglich - auch der Erstbescheid habe dies begründend dargelegt - seien in der Berufung keinerlei Einwendungen erfolgt.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FRG sei vorliegend zur Gänze erfüllt. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers liege noch nicht so lange zurück, dass wegen des seither verstrichenen Zeitraums die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme nicht mehr gerechtfertigt sein könnte.

Der Beschwerdeführer sei etwas mehr als drei Jahre in Österreich aufhältig. Nach der Aktenlage sei er geschieden und für drei - nicht in Österreich lebende - Kinder sorgepflichtig. Inwieweit er tatsächlich für seine Kinder sorge, bleibe allerdings (auch in Ansehung der Berufungsausführungen) offen. Intensiver habe sich die Berufungsschrift hingegen mit seinen drei Brüdern befasst, die in Österreich wohnten und bereits österreichische Staatsbürger wären. So würde der Beschwerdeführer zur Zeit mit einem Bruder zusammenwohnen, hätte auch mit den Nichten und Neffen Kontakt, würde seine Deutschkenntnisse zu verbessern versuchen und wäre nach wie vor bei einem näher genannten Personaldienstunternehmen beschäftigt. Im Hinblick auf die dargestellte soziale Integration des Beschwerdeführers und seine Bindungen zu Österreich wäre seiner Meinung nach im Sinn des Art. 8 EMRK das Überwiegen der privaten vor den öffentlichen Interessen gegeben.

Wenngleich der Beschwerdeführer überhaupt erst auf Grund des Eingehens der Scheinehe im Bundesgebiet aufenthaltsrechtlich und beruflich habe Fuß fassen können, sei im Hinblick darauf, dass in Österreich Verwandte lebten und der Beschwerdeführer aufrecht beschäftigt sei, sowie auf Grund der bisherigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet durchaus von einem Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei aber im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, dringend geboten. Wer nämlich, wie der Beschwerdeführer, grob missbräuchlich, nur zu dem Zweck vorgehe, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig erscheinen ließen.

Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf die aus der Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers und den verwandtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet sowie seiner Beschäftigung ableitbare Integration Bedacht zu nehmen. Diese sei jedoch in ihrem Gewicht dadurch wesentlich gemindert, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt nur auf das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zurückzuführen sei. Selbst bei Annahme des Zusammenwohnens mit einem seiner (nicht näher bezeichneten) Brüder - Mittel zur Glaubhaftmachung seien entgegen dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen nicht vorgelegt worden - und daraus ableitbaren, nicht unbeachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet stehe diesen gegenüber, dass er durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens erheblich beeinträchtigt habe. Der seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung verstrichene Zeitraum sei - wie erwähnt - noch keineswegs solange, um von einem Wegfall oder einer entscheidenden Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr sprechen zu können. Von daher begegne die Auffassung der Erstbehörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), keinen Bedenken.

Der vorliegenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme stünden die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des FrG nicht entgegen. Auf Grund des geschilderten Sachverhalts habe die belangte Behörde mangels Vorliegens besonders berücksichtigungswürdiger Umstände auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen können.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Auffassung der belangten Behörde gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne - auch unter Berücksichtigung seiner privaten und beruflichen Situation - ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet nicht die auf die im angefochtenen Bescheid genannten - die belangte Behörde bindenden -

gerichtlichen Urteile gestützte Feststellung, dass die Ehe des Beschwerdeführers gemäß § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt worden sei und der Beschwerdeführer diese Scheinehe nur geschlossen habe, um problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Ferner ergibt sich - wie im angefochtenen Bescheid festgehalten - aus dem besagten Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt, dass die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers die Ehe "wegen des Geldes" geschlossen und sie insgesamt etwa S 80.000,-- erhalten habe, und dass der Beschwerdeführer und seine frühere Ehefrau nie beabsichtigt hätten, eine "richtige Ehe" zu führen und eine Wirtschafts-, Wohn- oder Geschlechtsgemeinschaft aufzunehmen (vgl. Blatt 143 der Verwaltungsakten). Die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers hat weiters gegenüber der Erstbehörde am 17. Februar 2005 angegeben, vom Beschwerdeführer für die Eheschließung insgesamt die versprochene Summe von S 80.000,-- erhalten zu haben (vgl. Blatt 104f der Verwaltungsakten). In seiner Berufung gegen den Erstbescheid ließ der Beschwerdeführer (wie im angefochtenen Bescheid festgehalten) die Feststellung der Erstbehörde, dass er für die Eheschließung insgesamt S 80.000,-- an seine frühere Ehefrau bezahlt habe, unbestritten. Das Vorbringen, es sei mit den Beweisergebnissen nicht in Einklang zu bringen, dass der Beschwerdeführer für die Eheschließung S 80.000,-- gezahlt hätte und er auf Grund seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner früheren Ehefrau immer wieder Leistungen erbracht hätte, erstattet der Beschwerdeführer erstmals in der Beschwerde, weshalb es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung handelt (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).

Auf dem Boden des Gesagten besteht gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass im Beschwerdefall der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG verwirklicht worden sei, kein Einwand. Durch sein Fehlverhalten hat der Beschwerdeführer gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften verstoßen, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Es kann daher nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde vorliegend auch die Annahme gemäß § 36 Abs. 1 FrG für gerechtfertigt erachtet hat.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid mit Blick auf § 37 FrG. Der Beschwerdeführer habe in Österreich drei Brüder, die alle österreichische Staatsbürger seien. Auch zahlreiche hier aufhältige Cousins seien österreichische Staatsbürger. In der Türkei habe er zwar drei minderjährige Kinder, die ihm jedoch nach der Scheidung von seiner früheren Frau vorenthalten würden. Er hätte keinen Bezug mehr zu seinem Heimatland, weil alle ihm nahestehenden Verwandten in Österreich seien. Er halte sich nunmehr seit mehr als drei Jahren in Österreich auf und habe in dieser Zeit Deutschkurse besucht. Er habe am 28. April 2004 um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung angesucht. Über diesen Antrag sei noch nicht rechtskräftig entschieden worden. Im Hinblick auf seine bereits erfolgte Integration, auf die familiären Bindungen zu seinen Brüdern und den Umstand, dass sich der Beschwerdeführer abgesehen von der im Jahr 2002 abgeschlossenen Ehe wohlverhalten habe, sei der angefochtene Bescheid zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbots seine persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde hat angesichts der Dauer des inländischen Aufenthalts und seiner im angefochtenen Bescheid festgestellten persönlichen Interessen zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in die durch § 37 Abs. 1 FrG geschützte Interessensphäre des Beschwerdeführers angenommen. Sie hat aber - unter Bedachtnahme auf diese Interessenslage - ebenso zutreffend die Auffassung vertreten, dass die vorliegende fremdenpolizeiliche Maßnahme iSd § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei, hat doch der Beschwerdeführer durch sein Fehlverhalten gravierend gegen das maßgebliche öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, verstoßen.

Vor diesem Hintergrund kann auch das Ergebnis der von der belangten Behörde im Grund des § 37 Abs. 2 FrG getroffenen Beurteilung nicht als rechtswidrig erkannt werden. Da auf dem Boden der unstrittigen Feststellungen dem inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers mit Ausnahme von etwa zweieinhalb Monaten nach seiner Einreise im Jahr 2002 - mit fast zur Gänze - die besagte Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin zugrunde liegt, die gemäß § 23 des Ehegesetzes für nichtig erklärt wurde, erscheinen sowohl die aus dem inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren privaten (einschließlich der beruflichen) Interessen als auch die durch diesen Aufenthalt gegebenen familiären Bindungen zu seinen Brüdern in ihrem Gewicht maßgeblich relativiert. Den solcherart nicht stark ausgeprägten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich kommt kein größeres Gewicht zu als den gegenläufigen maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme. Dem Vorbringen, der Beschwerdeführer habe keinen Bezug mehr zu seinem Heimatland, ist entgegen zu halten, dass von § 37 FrG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs nicht gewährleistet wird, und ferner mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. April 2005, Zl. 2004/18/0401, mwH).

3. Bemerkt wird schließlich, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf eine Begünstigung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) berufen kann, weil in Anbetracht der durch das Nichtigkeitsurteil feststehenden Scheinehe das Erfordernis eines "ordnungsgemäßen Wohnsitzes" nicht erfüllt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2005, Zl. 2005/18/0539, mwH).

4. Demzufolge war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich (im Rahmen des gestellten Begehrens) auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. April 2006

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