VwGH 2005/17/0231

VwGH2005/17/023130.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerden 1. des FS in S (zur hg. Zl. 2005/17/0231), 2. der S GmbH in J (zur hg. Zl. 2005/17/0232) und 3. der G GmbH in K (zur hg. Zl. 2005/17/0233), alle vertreten durch Dr. Josef Hofer und Mag. Dr. Thomas Humer, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Ringstraße 4, gegen die Bescheide des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft jeweils vom 8. September 2005, ad 1. Zl. BMLFUW-LE.4.1.10/0846-I/7/2005, ad 2. Zl. BMLFUW-LE.4.1.10/0845-I/7/2005, und ad 3. Zl. BMLFUW-LE.4.1.10/0848-I/7/2005, alle betreffend u.a. Aussetzung von Entscheidungen über die Berufungen gegen die Vorschreibung von Agrarmarketingbeiträgen für die Schlachtung von Rindern, Kälbern, Schweinen, Lämmern und Schafen, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §281;
VwGG §36 Abs2;
BAO §281;
VwGG §36 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Den beschwerdeführenden Parteien wurden in den Jahren 1999 bis 2004 mit Bescheiden des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria für Beitragszeiträume beginnend ab November 1994 bis einschließlich Juni 2004 Agrarmarketingbeiträge für die Schlachtung von Rindern, Kälbern, Schweinen, Lämmern und Schafen vorgeschrieben.

Die beschwerdeführenden Parteien erhoben dagegen Berufungen.

Da diese Berufungen nicht erledigt wurden, erhoben die beschwerdeführenden Parteien im Jahr 2005 zu den hg. Zlen. 2005/17/0161 (ad 2005/17/0231), 2005/17/0155 bis 0158 (ad 2005/17/0232) und 2005/17/0151 bis 0154 (ad 2005/17/0233) protokollierte Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht.

Mit Verfügungen jeweils vom 9. Juni 2005 (zugestellt jeweils am 16. Juni 2005) leitete der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ein und forderte die belangte Behörde auf, binnen drei Monaten die versäumten Bescheide zu erlassen und eine Abschrift dieser Bescheide dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Mit Schreiben vom 4. August 2005 teilte die belangte Behörde den beschwerdeführenden Parteien mit, sie beabsichtige, die Entscheidung auszusetzen.

In ihren Stellungnahme vom 1. September 2005 sprachen sich die beschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen mit der Begründung gegen die Aussetzung der Verfahren gemäß § 281 BAO aus, dass sämtliche Verfahren entscheidungsreif im Sinne einer Stattgebung der Berufungen seien. Es würden aber überwiegende Interessen der Parteien einer Aussetzung nicht entgegenstehen, wenn alle Anträge auf Aussetzung der Einhebung - es seien auch Beitragszeiträume nach dem 30. Juni 2004 betroffen - bewilligt würden und wenn auch für die folgenden Zeiträume diesen Aussetzungsanträgen stattgegeben würde.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde u.a. die Aussetzung der Berufungen gemäß § 281 BAO ausgesprochen. Dabei führte die belangte Behörde u.a. aus, die beschwerdeführenden Parteien hätten in ihrer Stellungnahme angegeben, dass ihre überwiegenden Interessen einer Aussetzung nicht entgegen stünden, wenn alle Anträge auf Aussetzung der Einhebung bewilligt würden. Soweit es sich um noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren handle, sei die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO noch zu bewilligen, wenn es sich um Beitragszeiträume bis einschließlich Juni 2004 handle. Die diesbezüglichen noch nicht erledigten Entscheidungen würden in Kürze erfolgen. Beitragszeiträume nach dem 30. Juni 2004 seien jedoch nicht verfahrensgegenständlich, sodass keine Veranlassung vorliege, die Aussetzung der Einhebung zu bewilligen. Somit stünden der Aussetzung auch keine überwiegenden Interessen der Parteien entgegen.

In der Folge legte die belangte Behörde Abschriften ihrer nunmehr angefochtenen Bescheide jeweils vom 8. September 2005 (samt Zustellnachweis vom 9. September 2005) vor. Daraufhin wurden mit hg. Beschlüssen vom 7. Oktober 2005 die Säumnisbeschwerdeverfahren wegen Nachholung der Bescheide eingestellt.

Gegen diese Bescheide, die zur Einstellung der Säumnisbeschwerdeverfahren geführt haben, richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit denen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend gemacht wird. Die beschwerdeführenden Parteien fechten diese Bescheide ausdrücklich in dem Umfange an, als die Entscheidungen über die Berufungen gegen Bescheide des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria betreffend Vorschreibung von Agrarmarketingbeiträgen für Beitragszeiträume November 1994 bis einschließlich April 2002 ausgesetzt wurden.

Die beschwerdeführenden Parteien erachten sich im Wesentlichen in ihrem "Recht auf behördliche Entscheidung", insbesondere in ihrem Recht, dass innerhalb gesetzlicher Höchstfristen über ihre Berufungen entschieden werde, "Recht auf Sachentscheidung" sowie in ihrem "Recht auf Übergang der Entscheidungspflicht und Zuständigkeit auf den Verwaltungsgerichtshof" bzw. "Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof" verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften.

Wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges hat der Verwaltungsgerichtshof die gegen die Bescheide vom 8. September 2005 erhobenen Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

Die vorliegenden Beschwerden rügen, die belangte Behörde hätte die Aussetzungsbescheide nicht mehr erlassen dürfen, weil sie durch die in den Säumnisbeschwerdeverfahren erfolgten Fristsetzungen nach § 36 Abs. 2 VwGG dazu nicht mehr zuständig gewesen sei.

§ 36 Abs. 2 VwGG idF BGBl. I Nr. 88/1997 lautet:

"(2) Bei Säumnisbeschwerden nach Art. 132 B-VG ist der belangten Behörde aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu drei Monaten den Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die Verwaltungsbehörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Bescheides unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Vorverfahrens erlassen, so ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen."

Von entscheidender Bedeutung für die Auslegung des § 36 Abs. 2 VwGG in der genannten Novellenfassung ist die Frage, was der Gesetzgeber unter dem Begriff "den Bescheid" bzw. "der Bescheid" verstanden wissen möchte. Während in der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung vor der Novellenfassung darunter nur eine Sachentscheidung, nicht hingegen eine verfahrensrechtliche Entscheidung verstanden hat (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. März 1977, Slg. Nr. 9274/A, bzw. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1981, Slg. Nr. 5564/F), hat der Verwaltungsgerichtshof zu § 36 Abs. 2 VwGG in der Novellenfassung ein umfassenderes Verständnis dieses Begriffes vertreten.

Unter dem Begriff "den Bescheid" in § 36 Abs. 2 erster Satz VwGG bzw. "der Bescheid" in § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG ist nunmehr jeder Bescheid zu verstehen, der die geltend gemachte Säumnis der belangten Behörde beendet, ohne dass es nach der Novellenfassung darauf ankommt, ob der Bescheid vor oder nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erlassen wurde. Nach der Rechtsprechung beendet auch ein Aussetzungsbescheid im Sinne des § 281 BAO die Entscheidungspflicht der Behörde. Werden Aussetzungsbescheide nach § 281 BAO wie hier während des Säumnisbeschwerdeverfahrens erlassen, dann bedeutet dies nach der Novellenfassung des § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG einen Einstellungsfall nach dieser Gesetzesstelle (vgl. zum Ganzen die hg. Beschlüsse vom 7. Oktober 2005, Zl. 2005/17/0094, mwN, und vom 15. Dezember 2005, Zlen. 2005/16/0155, 0156). Die belangte Behörde hat damit auch nicht, wie die Beschwerdeführer meinen, "§ 36 Abs. 2 VwGG verletzt".

Daraus folgt aber auch, dass die zu § 36 Abs. 2 VwGG vor der Novellenfassung ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die säumige Behörde nach der im Zuge der Einleitung des Vorverfahrens erfolgten Fristensetzung nach § 36 Abs. 2 VwGG nicht mehr zur Erlassung eines verfahrensrechtlichen Bescheides (beispielsweise Aussetzungsbescheides oder Zurückweisungsbescheides) zuständig sei, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Durch die hier vertretene Interpretation des § 36 Abs. 2 VwGG ist auch eine Beschneidung des Rechtsschutzinteresses der Parteien nicht zu befürchten, weil es diesen weiterhin freisteht, zur Bekämpfung eines verfahrensrechtlichen Bescheides entsprechende rechtliche Schritte beispielsweise in Form eines Rechtsmittel oder einer Bescheidbeschwerde zu setzen.

In den vorliegenden Beschwerdefällen wurden die angefochtenen Aussetzungsbescheide auch jeweils nach Setzung der Frist nach § 36 Abs. 2 VwGG und vor deren Ablauf erlassen. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die belangte Behörde mit der Erlassung der Aussetzungsbescheide ihre Zuständigkeit nicht überschritten hat.

Die beschwerdeführenden Parteien machen überdies lediglich Aktenwidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend, weil die belangte Behörde ihre Stellungnahmen vom 1. September 2005 nicht richtig wiedergegeben habe. Entgegen den Beschwerdevorbringen ist aber aus der Wiedergabe der Stellungnahmen in den angefochtenen Bescheiden nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde von einem anderen Sachverhalt ausgegangen wäre, als sich aus den Akten ergibt.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung hatte mangels eines Antrages der belangten Behörde zu unterbleiben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 30. Jänner 2006

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