VwGH 2005/01/0104

VwGH2005/01/010423.2.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des BM in P, geboren 1976, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. April 2005, Zl. 258.906/0-IV/13/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er reiste gemäß seinen Angaben am 9. Februar 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund machte er geltend, dass sein Vater "illegale Geschäfte mit serbischen Grundstücken" gemacht habe. Der Vater sei mit dem erwirtschafteten Geld (EUR 20.000,--) im Herbst 2004 "verschwunden", nun würden vier oder fünf Personen das Geld vom Beschwerdeführer zurückfordern, obwohl er mit der "ganzen Sache" überhaupt nichts zu tun gehabt habe. "Die Leute" wollten entweder EUR 20.000,-- oder - so der Beschwerdeführer wörtlich - "ansonsten mein Leben". Dem Vater würde unter anderem auch vorgeworfen, dass er in der Zeit zwischen 1995 und 2000 mit den Serben zusammengearbeitet hätte. Zur Polizei habe sich der Beschwerdeführer nicht getraut, da "diese Leute" sehr gefährlich seien und er seine Mutter nicht habe in Gefahr bringen wollen.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro in die Provinz Kosovo gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt folgte den Angaben des Beschwerdeführers und stellte fest, dass er wegen der Geschäfte seines Vaters von unbekannten Personen mit dem Umbringen bedroht worden sei. Es stellte weiter fest, dass für die Verfolgung von derartigen Drohungen im Kosovo die UNMIK, die KFOR oder die KPS (Kosovo Police Service) zuständig seien; der Beschwerdeführer habe sich jedoch aus Angst vor den unbekannten Personen an keine dieser Stellen gewandt.

Das Bundesasylamt traf außerdem umfangreiche Feststellungen zur Situation im Kosovo. Unter dem Aspekt "Allgemeine Sicherheitslage" führte es insbesondere aus:

"Im Kosovo herrschte für gewisse Zeit eine Atmosphäre der (teilweisen) Gesetzlosigkeit und Gewaltbereitschaft, aber keine systematische Gewalt. Die Straftaten sind stark zurückgegangen. So wurden im Zeitraum Juni 1999 bis Dezember 1999 454 Morde und 190 Entführungen verübt, waren es im Jahr 2000 246 Morde und 189 Entführungen (UNMIK Police, Crime Statistics 1999; UNMIK Police, Crime Statistics 2000). Im Jahr 2001 wurden 118 Morde verzeichnet (UNMIK Police, Comparison of crimes reported between 2000 and 2001 ...).

Die Statistik für das Jahr 2002 zeigt eine weitere deutliche Reduktion der Straftaten: 65 Morde, 75 Entführungen. (UN Security Council, Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, 29.01.2003).

Die Sicherheitslage stellt sich im Allgemeinen, abgesehen von ethnischen Spannungen und politisch motivierten Taten, als nunmehr stabil dar (UN Security Council, Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, 29.01.2003; UN Security Council, Monthly report to the United Nations on Kosovo Force (KFOR) operations, Reporting period 1 to 28 February 2003).

Schon am 26. April 2002 hob die KFOR die allgemeine, seit Sommer 1999 bestehende, nächtliche Ausgangssperre auf, da sich die Sicherheitslage kontinuierlich verbessert hat. Auch die Zahl der Straftaten, bei denen Schusswaffen oder Sprengstoff eingesetzt werden, hat deutlich abgenommen. (APA 23.04.2002;

UN Security Council, Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, 22.04.2002).

..."

Die Darstellung des Bundesasylamts über die Situation im Kosovo schließt mit nachstehenden Ausführungen "Zur jüngsten Entwicklung im Kosovo":

"Schwere Sicherheitsvorfälle führten Mitte März 2004 zu einer Eskalation der ethnisch motivierten Gewalt im gesamten Kosovo und brachten die Regionen an den Rand eines bewaffneten Konflikts. Diese ging von den ethnischen Albanern aus und war gegen die Minderheiten - hier vor allem die Serben - gerichtet. Die Folge waren 20 Tote, mehr als 1.000 Verletzte, die systematische Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum, der auch Kirchen und Klöster zum Opfer fielen, und die Vertreibung von mehr als 4.000 Kosovo-Serben, Ashkali, Roma sowie Angehörigen anderer Minderheiten. Diese Vorfälle waren die schlimmsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen seit 1999. Die Lage konnte dank der raschen Entsendung von zusätzlichen NATO-Streitkräften rasch unter Kontrolle gebracht werden und sind seither keine Fälle ethnisch motivierter Gewaltanwendungen mehr bekannt geworden.

UNHCR hat sich in seinem Positionspapier vom 31.8.2004 derzeit gegen eine zwangsweise Rückkehr gefährdeter Personen ausgesprochen. ...

Von den Kosovo-Albanern kann die überwiegende Mehrheit ohne individuelle Schutzprobleme in den Kosovo zurückkehren. Eine besondere Beurteilung ist laut UNHCR hinsichtlich jener Personen erforderlich, die aus Gebieten stammen, in denen die Kosovo-Albaner eine ethnische Minderheit ... darstellen, die in biethnischen Ehen leben sowie Personen gemischt ethnischer Herkunft und Kosovo-Albanern, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht wurden ..."

Im Rahmen von Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung resümierte das Bundesasylamt, dass sich der Beschwerdeführer jederzeit an die UNMIK, die KFOR oder die KPS hätte wenden können. Dass die internationalen Kräfte im Kosovo zu einer Schutzgewährung fähig und bereit seien, habe sich - trotz Kritik humanitärer Organisationen - bei den Vorfällen im März 2004 gezeigt, weil die Sicherheitskräfte noch größere Übergriffe hätten verhindern können und sich die Lage nach drei Tagen grundsätzlich wieder beruhigt habe. UNMIK und KFOR hätten diese Unruhen auch zum Anlass genommen, das Schutzsystem noch zu verbessern. Auch UNHCR stehe in seiner Position zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo weiterhin auf dem Standpunkt, dass die überwiegende Mehrheit der Kosovo-Albaner ohne individuelle Schutzprobleme in den Kosovo zurückkehren könne. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer zu jenen "Angehörigen" zähle, die nach aktueller Ansicht des UNHCR nicht zwangsweise zurückgeschickt werden sollten.

Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei daher abzuweisen. Auch Refoulement-Schutz sei nicht zu gewähren, der verfügten Ausweisung stehe schließlich kein Hindernis entgegen.

Die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde - ohne Durchführung der beantragten Berufungsverhandlung - mit Bescheid vom 1. April 2005 "gemäß §§ 7, 8 Abs. 1, 8 Abs. 2 AsylG" ab. Sie folgte gleichfalls den Angaben des Beschwerdeführers, erhob die Feststellungen des Bundesasylamtes zur Lageentwickung und Sicherheitssituation im Kosovo zum Inhalt ihres Bescheides und führte aus, den im Erstbescheid getroffenen umfangreichen Feststellungen zur Sicherheitslage sei entnehmbar, dass "für die öffentliche Sicherheit durch Errichtung effizient arbeitender Sicherheitseinrichtungen" Vorsorge getroffen bzw. ein funktionierendes Justizsystem errichtet worden sei. Auf Grund des Vorhandenseins allgemein etablierter Sicherheitsstrukturen im Kosovo forciert durch die UNO-Verwaltung und den nunmehrigen Aufbau kosovo-eigener Polizeitruppen sei davon auszugehen, dass jeder Bürger und insbesondere Angehörige der albanischen Volksgruppe sich um Schutzgewährung an die eingerichteten Sicherheitsorgane wenden könnten und dort effizienten Schutz erhielten. Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer solchen effektiven Schutz nicht erhalten könne, seien nicht zutage getreten, weshalb der Berufung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages der Erfolg zu versagen gewesen sei. Auch hinsichtlich der anderen beiden Spruchpunkte sei der erstinstanzliche Bescheid zu bestätigen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat den Asylantrag des Beschwerdeführers wie schon das Bundesasylamt allein deshalb abgewiesen, weil er vor der geltend gemachten Privatverfolgung ausreichenden Schutz bei den kosovarischen Behörden finden könne. Diese Beurteilung ist indes aus den getroffenen Feststellungen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ableitbar.

Die belangte Behörde spricht davon, dass durch Errichtung effizient arbeitender Sicherheitseinrichtungen für die öffentliche Sicherheit Vorsorge getroffen worden sei und beruft sich diesbezüglich auf die eingangs wörtlich wiedergegebenen Feststellungen des Bundesasylamtes zur Sicherheitslage im Kosovo. Diesen Feststellungen ist freilich entgegenzuhalten, dass sie keine Darstellung der aktuellen Situation bieten, sondern sich durchgehend auf eine Beschreibung der Lage bis 2002 beschränken. Als ausschließliche Grundlage für eine nicht zu beanstandende rechtliche Schlussfolgerung kommen sie daher von vornherein nicht in Betracht (zur Verpflichtung der Asylbehörden, die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel heranzuziehen, vgl. schon das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348; aus letzter Zeit vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2004/01/0245). Dem Aktualitätsgebot wurde lediglich insoweit Rechnung getragen, als der Verweis der belangten Behörde auf die Feststellungen des Bundesasylamtes auch dessen Ausführungen "Zur jüngsten Entwicklung im Kosovo" (siehe oben) erfasst. Diese Ausführungen sind allerdings mit der Darstellung zur "Allgemeinen Sicherheitslage" nur schwer harmonisierbar und lassen jedenfalls nicht ohne Weiteres die von der belangten Behörde gezogene Schlussfolgerung zu, es existierten "effizient arbeitende Sicherheitseinrichtungen" bzw. es sei - wie die belangte Behörde weiter festhielt - davon auszugehen, dass jeder Bürger sich um Schutzgewährung an die eingerichteten Sicherheitsorgane wenden könne und dort effizienten Schutz erhalte. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass gemäß der behördlichen Darstellung "Zur jüngsten Entwicklung im Kosovo" - nach wie vor - Personengruppen existieren (auch solcher albanischer Herkunft), die im Kosovo mit Schutzproblemen konfrontiert sind. Davon ausgehend ist es zunächst jedenfalls unzutreffend, dass "jeder Bürger" effizienten Schutz erhalten könne, es stellt sich aber auch die Frage, inwiefern gerade im Fall des Beschwerdeführers von ausreichender Schutzgewährung ausgegangen werden kann. Dass in diesem Zusammenhang vor dem Hintergrund der im erstinstanzlichen Bescheid genannten UNHCR-Position vom August 2004 auch die von den Asylbehörden nicht in Abrede gestellte Zusammenarbeit des Vaters des Beschwerdeführers "mit den Serben" zwischen 1995 und 2000 besonders in den Blick zu nehmen gewesen wäre, zeigt die Beschwerde zutreffend auf.

Zusammenfassend erweist sich damit die behördliche Annahme, der Beschwerdeführer könne in seinem Herkunftsstaat vor den Angriffen unbekannter Personen ausreichend Schutz finden, als nicht ausreichend begründet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b) und c) VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. Februar 2006

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