VwGH 2002/06/0083

VwGH2002/06/008328.2.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Chlup, über die Beschwerde des Dr. WW in I, gegen den Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer (Plenum) vom 4. April 2002, Zl. VS 98-0510, betreffend Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1004;
ABGB §1152;
AHR;
RAO 1868 §16 Abs3;
RAO 1868 §16 Abs4;
RAO 1868 §17;
RAO 1868 §28 Abs1 litf;
RAO 1868 §45;
RAO 1868 §47 Abs1;
RAO 1868 §47 Abs3 Z3;
RAO 1868 §47 Abs5;
RAT;
StPO §41;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ABGB §1004;
ABGB §1152;
AHR;
RAO 1868 §16 Abs3;
RAO 1868 §16 Abs4;
RAO 1868 §17;
RAO 1868 §28 Abs1 litf;
RAO 1868 §45;
RAO 1868 §47 Abs1;
RAO 1868 §47 Abs3 Z3;
RAO 1868 §47 Abs5;
RAT;
StPO §41;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Tiroler Rechtsanwaltskammer hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 180,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 16. April 1998 war der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, gemäß § 45 RAO zum Verfahrenshilfeverteidiger des Hauptangeklagten in einem beim Landesgericht Innsbruck anhängigen Strafverfahren bestellt worden.

Mit Schreiben vom 20. November 2001 begehrte der Beschwerdeführer unter Anschluss einer Leistungsaufstellung den Ersatz von seiner Kanzlei anerlaufenen Kosten in der Höhe von S 1,869.094,35 und führte zusammengefasst aus, dass er auf Grund der Komplexität und des Umfanges des gegenständlichen Strafverfahrens zahlreiche Sprechtermine mit dem Beschuldigten wahrnehmen, an sieben Haftverhandlungen hätte teilnehmen müssen, viele tausend Seiten Aktenstudium durchführen und mit dem Gericht eine Reise in die Dominikanische Republik habe unternehmen müssen, wo er in der Zeit vom 17. Mai bis zum 20. Mai 1999 Leistungen (Behördengänge, Lokalaugenscheine und Vernehmungen) erbracht habe. Die Hauptverhandlung vor dem Schöffensenat habe allein 104 Stunden gedauert. Er habe die Ansprüche von fünf als Privatbeteiligte dem Verfahren beigetretenen Versicherungsunternehmen abwehren müssen, wofür er einen Zuschlag beantrage, und er beantrage auch die Zuerkennung eines 50-prozentigen Erfolgszuschlages im Hinblick darauf, dass der von ihm vertretene Angeklagte in mehreren Punkten des schweren gewerbsmäßigen Betruges sowie in einem weiteren Anklagepunkt der fahrlässigen Krida angeklagt worden gewesen und hinsichtlich des Vorwurfes des schweren gewerbsmäßigen Betruges in allen Anklagepunkten freigesprochen und nur hinsichtlich des Vorwurfs der fahrlässigen Krida verurteilt worden sei.

Mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer, Abteilung 1, vom 19. Dezember 2001 wurde über diesen Antrag des Beschwerdeführers als ihm zu leistende Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO mit einem Honorar von S 485.914,95 zuzüglich 20-prozentige Umsatzsteuer von S 97.182,99, sohin insgesamt mit S 583.097,94 festgesetzt. Das über den Zuspruch hinausgehende Mehrbegehren des Beschwerdeführers wurde abgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, § 16 Abs. 4 RAO sei durch das BGBl. I Nr. 71/1999 dahingehend geändert worden sei, dass jeweils "innerhalb eines Jahres" mehr als 50 Verhandlungsstunden geleistet werden müssten, um den Anspruch zu begründen.

Die ersten 100/2 Hauptverhandlungsstunden hätten im vorliegenden Fall im Zeitraum vom 15. Februar 2000 bis einschließlich dem 25. Februar 2000 gedauert. Die restlichen Hauptverhandlungsstunden hätten vom 25. Februar 2000 bis zum 14. April 2000 stattgefunden. Ab der 50. Stunde sei eine Hauptverhandlungszeit von 108/2 geleistet worden. Für die Verrichtung dieser Hauptverhandlungen vor einem Schöffengericht errechne sich eine Vergütung in der Höhe von S 211.140,-- ohne Zuschläge und Erfolgszuschlag, wobei von den Bestimmungen der autonomen Honorarrichtlinien (AHR) 1976 i.d.F. vom 23. März 1994 ausgegangen werde.

§ 16 Abs. 4 RAO sei jedenfalls so auszulegen, dass der Vergütungsanspruch nach der Verrichtung von Verhandlungstagen laufe, dies unabhängig davon, ob die Fassung vor dem BGBl. I Nr. 71/1999 oder nach dieser Novelle anzuwenden sei. Der Zuspruch des Einheitssatzes in Höhe von 50 Prozent sei auf Grund der tariflichen Bestimmungen angemessen. Gemäß § 4 AHR gebühre für Leistungen eines Rechtsanwaltes, die nach Art und Umfang den Durchschnitt erheblich überstiegen, ein angemessener Zuschlag zu den Honorarsätzen. Im vorliegenden Fall handle es sich um ein Großverfahren, um einen umfangreichen, vielbändigen Akt, und es seien zahlreiche Privatbeteiligtenanschlüsse erfolgt, auch habe die Hauptverhandlung einen immensen Vorbereitungsaufwand mit sich gebracht. § 12 AHR ermächtige den Rechtsanwalt, in offiziösen Strafsachen vor den Gerichten einen Erfolgszuschlag bis zu 50 Prozent des Honorarbetrages zu verrechnen, dies insbesondere dann, wenn das Urteil auf Freispruch laute. Im vorliegenden Fall werde, weil größtenteils Freisprüche erzielt worden seien, ein solcher 50-prozentiger Zuschlag zuerkannt, dies in Anbetracht des Umfanges der Anklage und des evidenten Verteidigungserfolges und - aufwandes ungeachtet des Umstandes, dass kein gänzlicher Freispruch erfolgt sei.

Von der Bemessung eines weiteren Zuschlages auf Grund der erfolgten Privatbeteiligungen sei Abstand genommen worden, weil auf Grund des weit gehenden Freispruchs mit der "Abwehr" der Privatbeteiligtenanschlüsse allein keine entsprechenden Mehraufwendungen verbunden gewesen seien. Leistungen vor der ersten Hauptverhandlung hätten nicht zugesprochen werden können, "da gemäß hier anzuwendendem Legalitätsprinzip (Art. 18 Abs. 1 B-VG)" das Gesetz keinen Raum lasse.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. April 2002 keine Folge gegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz zur Gänze bestätigt. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Leistungen, die ein gemäß § 45 RAO bestellter Rechtsanwalt vor der ersten Hauptverhandlung erbringe, ebenso wie die Leistungen bis zur Dauer von zehn Verhandlungstagen oder 50 Verhandlungsstunden durch die allgemeine Pauschalvergütung für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung berücksichtigt seien. Der Wortlaut des § 16 Abs. 4 RAO i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 könne nur so verstanden werden (arg.: "darüber hinausgehend"). Eine Zuerkennung von Kosten für solche Leistungen, mögen sie auch noch so umfangreich sein, verstoße gegen das Legalitätsprinzip.

Bei der Festsetzung der Angemessenheit der Vergütung könnten die AHR bzw. das Rechtsanwaltstarifsgesetz lediglich Richtschnur sein. Eine Festsetzung der Vergütung exakt in der Höhe des tariflich Verrechenbaren sei damit nicht gefordert.

Unter diesem Gesichtspunkt erscheine es der belangten Behörde auf Grund der Höhe des Gesamtvergütungsanspruches nicht sachgerecht, Streitgenossenzuschläge nach § 7 Abs. 2 AHR zuzuerkennen, diese Bestimmung finde nur in Zivil- und Verwaltungssachen Anwendung. Der mit der Vielzahl der Beteiligten u. a. verbundene Mehrwand werde ohnehin durch den zuerkannten 20- prozentigen Zuschlag nach § 4 AHR angemessen kompensiert. Eben diese Grundsätze gälten auch für die Vornahme einer Akteneinsicht vom 28. Februar 2000, von Kommissionen am 17. März und 3. April 2000 sowie die Stellung eines Beweisantrages vom 3. April 2000. Die Akteneinsicht am 28. Februar 2000 habe keine eigene Kommission erfordert, da sowohl am 28. Februar 2000 als auch am 29. Februar 2000 Hauptverhandlungen mit Unterbrechungen stattgefunden hätten, sodass der Beschwerdeführer ohnehin bei Gericht gewesen sei. Der Beweisantrag hätte mündlich in der Verhandlung gestellt werden können, ebenso seien kurze Besprechungen mit den Beschuldigten auch während der Verhandlungsunterbrechungen möglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Bestellung des Beschwerdeführers gemäß § 45 RAO erfolgte vor dem 1. Juni 1999; gemäß Art. V Z. 3 des Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetzes 1999, BGBl. I Nr. 71/1999, ist § 16 Abs. 4 RAO in der Fassung BGBl. Nr. 474/1990 (vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 71/1999) anzuwenden.

Die Vorschrift lautet:

"(4) In Verfahren, in denen der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, hat er unter den Voraussetzungen des Abs. 3 für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Auf diese Vergütung ist dem Rechtsanwalt auf sein Verlangen von der Rechtsanwaltskammer ein angemessener Vorschuss zu gewähren. Über die Höhe der Vergütung sowie über die Gewährung des Vorschusses und über dessen Höhe entscheidet der Ausschuss."

Mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift war § 47 RAO in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 71/1999 bereits in Ansehung der für das Jahr 1999 festzusetzenden Pauschalvergütung anzuwenden.

Die Vorschrift lautet auszugsweise:

"(1) Der Bund hat dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag für die Leistungen der nach § 45 bestellten Rechtsanwälte, für die diese zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, jährlich spätestens zum 30. September für das laufende Kalenderjahr eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen. Auf die für das laufende Kalenderjahr zu zahlende Pauschalvergütung sind Vorauszahlungen in angemessenen Raten zu leisten.

...

(5) Für nach § 16 Abs. 4 erster Satz erbrachte Leistungen ist eine angemessene Pauschalvergütung gesondert festzusetzen. Diese Leistungen bleiben bei der Neufestsetzung der Pauschalvergütung nach Abs. 3 außer Betracht. Abs. 3 erster Halbsatz ist anzuwenden. Auf die mit Verordnung gesondert festzusetzende Pauschalvergütung kann der Bundesminister für Justiz dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag auf dessen Antrag für bereits erbrachte Verfahrenshilfeleistungen im Rahmen der jeweils im Bundesfinanzgesetz für diese Zwecke verfügbaren Mittel einen angemessenen Vorschuss gewähren; ist die tatsächlich festgesetzte Pauschalvergütung geringer als der gewährte Vorschuss, so hat der Österreichische Rechtsanwaltskammertag dem Bundesminister für Justiz den betreffenden Betrag zurückzuerstatten.

..."

Die von der Rechtsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen werden grundsätzlich durch die vom Bund dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag gemäß § 47 Abs. 1 RAO zu leistende Vergütung abgegolten. Der einzelne Rechtsanwalt erwirbt im Allgemeinen durch seine Leistungen in einem Verfahren, in dem er gemäß § 45 RAO bestellt wurde, gegenüber der Rechtsanwaltskammer - abgesehen vom Anspruch auf anteilsmäßige Anrechnung auf die Beiträge gemäß § 16 Abs. 3 RAO - keinen individuellen Vergütungsanspruch. Von diesem Grundsatz normiert § 16 Abs. 4 RAO eine Ausnahme: Wird der Rechtsanwalt im besonderen Umfang in Anspruch genommen, so gebührt ihm eine individuelle Vergütung. Dabei wird in § 16 Abs. 4 erster Satz RAO daran angeknüpft, dass der betreffende Rechtsanwalt, dessen Vergütungsanspruch zu bemessen ist, mehr als zehn Verhandlungstage oder 50 Verhandlungsstunden in Anspruch genommen wurde, indem gesagt wird, "er" (der Rechtsanwalt) hat ... Anspruch auf eine Vergütung für "alle darüber hinausgehenden Leistungen" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 2001, Zl. 99/10/0206).

Die Regelung des § 16 Abs. 4 RAO geht auf die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 1991, Slg. 12.638, enthaltenen Erwägungen zurück, in denen dieser Gerichtshof ausgeführt hat, der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz mache es erforderlich, dass dem einzelnen Rechtsanwalt in Fällen besonders umfangreicher und arbeitsintensiver Vertretungen und Strafverteidigungen, die ihn als Verfahrenshelfer wochen- und auch monatelang in Anspruch nehmen, ausnahmsweise eine individuelle Vergütung zustehen soll.

Vor dem Hintergrund der im erwähnten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 1991 dargelegten Erwägungen (der auf § 16 Abs. 2 RAO aF bezogene Prüfungsbeschluss war im Zuge der parlamentarischen Beratungen der Novelle BGBl. Nr. 477/1990 bereits bekannt) ging der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass die Einführung einer individuellen Vergütung für gemäß § 45 RAO bestellte Rechtsanwälte, deren Inanspruchnahme einen bestimmten Umfang überschreitet, notwendig wäre, um die in den Gründen des Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes dargelegten existenzbedrohenden Situationen für Rechtsanwälte, die durch den Umfang ihrer Tätigkeit in solchen Verfahren am anderweitigen Erwerb gehindert werden, zu vermeiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im o.a. Erkenntnis vom 3. September 2001 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 16 Abs. 4 und § 47 Abs. 5 RAO idF BGBl. Nr. 474/1990 (1380 BlgNR XVII. GP) dargelegt, dass der individuelle Vergütungsanspruch an das Überschreiten des Schwellenwertes durch den Umfang der Leistungen des betreffenden Rechtsanwaltes anknüpft. Hingegen wird die Leistung eines Rechtsanwaltes in Verfahren, in denen er nicht mehr als zehn Verhandlungstage oder 50 Verhandlungsstunden tätig wird, durch die "allgemeine" Pauschalvergütung für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung berücksichtigt.

Die Überschreitung des erwähnten Schwellenwertes ist aber nicht allein als Voraussetzung für das Entstehen des Vergütungsanspruches zu sehen; es entspricht, wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls dargelegt hat, vielmehr dem Gesetz, dem Schwellenwert auch Bedeutung als Maßstab bei der Bemessung der Vergütung - insbesondere im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden anwaltlichen Leistungen, die nicht in der Verrichtung der Hauptverhandlung als Verteidiger bestehen - einzuräumen. Nach dem System des Gesetzes werden die Leistungen des Rechtsanwaltes, der gemäß § 45 RAO zur Vertretung oder Verteidigung bestellt wurde, grundsätzlich durch die Pauschalvergütung für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung nach § 47 Abs. 1 und § 16 Abs. 3 RAO berücksichtigt. Nur in den "überlangen" Verfahren im Sinne des § 16 Abs. 4 RAO besteht ein (individueller) Vergütungsanspruch nach der soeben zitierten Gesetzesstelle. Durch die Festsetzung des "Schwellenwertes" in § 16 Abs. 4 RAO kommt (u.a.) zum Ausdruck, dass mit der individuellen Vergütung nach dieser Gesetzesstelle nur jene Leistungen (angemessen) vergütet werden sollen, die über das - mit der Pauschalvergütung berücksichtigte - "Normalmaß" hinausgehen. Soweit es um die nicht in der Verrichtung der Hauptverhandlung bestehenden ("Neben"-)Leistungen des Verteidigers geht, ist zu bedenken, dass solche Leistungen typischerweise auch bei nicht "überlangen" Verfahren anfallen und in diesem Fall nicht individuell vergütet werden. Nach dem System des Gesetzes gibt es also - wie in § 16 Abs. 4 RAO zum Ausdruck kommt - einen "vergütungsfreien" Teil der in "überlangen" Verfahren erbrachten Leistungen. Es entspricht einer am Gleichheitssatz orientierten Auslegung, den vergütungsfreien Teil mit dem Ausmaß jener Leistungen in Beziehung zu setzen, der dem typischerweise mit Verfahren, bei denen der Leistungsumfang des Rechtsanwaltes den Schwellenwert nicht überschreitet, verbundenen Ausmaß entspricht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050).

Mit anderen Worten: In § 16 Abs. 4 RAO wurde nach dem Kriterium der Dauer der Hauptverhandlung jene Gruppe von Strafverfahren definiert, in denen eine sorgfältige Vertretung oder Verteidigung für den Verfahrenshelfer einen ungewöhnlich hohen Arbeitsaufwand erfordert, und in welchen daher den als Verfahrenshelfer beigegebenen Rechtsanwälten für ihren Aufwand ausnahmsweise eine besondere Vergütung zuerkannt werden soll. Wenn darin festgelegt ist, dass dem Rechtsanwalt "für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer (ein) Anspruch auf eine angemessene Vergütung" zusteht, so wurde damit zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Anspruch auf angemessene Vergütung in jenem Ausmaß gewährt werden soll, in welchem die Leistungen des Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer die Leistungen eines Verteidigers in einem typischen Strafverfahren unterhalb der Schwelle des § 16 Abs. 4 RAO übersteigen. Das Gesetz enthält insoferne keine Einschränkung darauf, dass mit § 16 Abs. 4 RAO eine Vergütung nur für zusätzliche Verhandlungsstunden in der Hauptverhandlung zuzuerkennen wären (eine gegenteilige Aussage enthält auch nicht das hg. Erkenntnis vom 30. März 2004, Zl. 2002/06/0159, in welchem es um von der Verfahrenshilfe nicht erfasste Leistungen zur Geltendmachung einer Haftentschädigung ging).

§ 16 Abs. 4 RAO spricht von "angemessener Vergütung". "Angemessen" ist jene Vergütung, die sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme darauf, was in gleich gelagerten Fällen geschieht, ergibt. Bei der Bemessung ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass die Vergütung nicht zuletzt der Abwendung der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Slg. 12.638 dargelegten Auswirkungen der Belastung der Rechtsanwälte durch überlange Verfahren, die bis zur Existenzbedrohung gehen können, dient.

Den von der ständigen Vertreterversammlung der österr. Rechtsanwaltskammern erstellten Honorarrichtlinien (AHR) kommt als kodifiziertem Gutachten über die Angemessenheit der im RATG nicht näher geregelten anwaltlichen Leistungen für die Honorarberechnung Bedeutung zu, sofern zwischen Rechtsanwalt und Mandanten keine Honorarvereinbarung geschlossen wurde und kein gesetzlicher Tarif besteht. In der Präambel zu den AHR wird ausgeführt, die Rechtsanwaltskammern Österreichs werden im Falle einer Begutachtung der Angemessenheit von Entlohnungen für rechtsanwaltliche Tätigkeiten gemäß § 28 Abs. 1 lit. f RAO die Bemessungsgrundlagen und Honoraransätze der AHR als angemessene Entlohnung (§ 17 RAO, §§ 1152, 1004 ABGB) betrachten (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050, und vom 30. März 2004, Zl. 2002/06/0159, m.w.N.).

Nach § 16 Abs. 4 RAO hat aber die Kammer nicht etwa die angemessene Entlohnung eines Wahlverteidigers, der auf Grund vertraglicher Vereinbarung mit seinem Klienten tätig wurde, zu bemessen, sondern eine angemessene Vergütung für einen gemäß § 41 StPO vom Gericht beigegebenen und gemäß § 45 RAO von der Rechtsanwaltskammer bestellten Rechtsanwalt, der somit auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Pflichtenverhältnisses im Rahmen der Mitwirkung der Rechtsanwaltschaft an der Rechtspflege tätig wird, festzusetzen.

Maßgeblich ist somit, in welcher Höhe die Vergütungen für gemäß § 45 RAO bestellte Rechtsanwälte in Fällen mit vergleichbarem Leistungsumfang bemessen werden. Die Materialien zu § 16 Abs. 4 RAO (1380 BlgNR XVII GP) sprechen davon, dass sich die Höhe der besonderen Vergütung nach der gemäß § 47 Abs. 5 RAO neue Fassung gesondert festzusetzenden Pauschalvergütung für solche überlangen Verfahren richten werde. Die Angemessenheit der gesondert festzusetzenden Pauschalvergütung werde nach den für die Festsetzung der Pauschalvergütung im Allgemeinen anzuwendenden Grundsätzen (siehe insbesondere § 47 Abs. 3 Z. 3) zu bestimmen sein. In der zuletzt zitierten Gesetzesstelle ist davon die Rede, "die Vergütung ... der Entlohnung anzunähern die nach den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte als angemessen angesehen wird" (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050, und vom 30. März 2004, Zl. 2002/06/0159).

Im Erkenntnis vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050, hat der Verwaltungsgerichtshof auch die Auffassung vertreten, dass es nicht rechtswidrig ist, im Sinne einer "Annäherung" an die nach den Standesrichtlinien als angemessen anzusehende Entlohnung und in Verweisung auf die allgemeine Übung, von den Ansätzen der AHR ausgehend einen Abschlag von 25 Prozent vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid zunächst deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass sie die Bestimmung des § 16 Abs. 4 RAO in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 anzuwenden gehabt hätte, also in einer Fassung, nach welcher dem Rechtsanwalt eine Vergütung auch dann zustehe, wenn mehr als 50 Verhandlungsstunden in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr geleistet worden sind.

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Hauptverhandlung im vorliegenden Fall nicht länger als ein Jahr gedauert hat, daher macht es insofern keinen Unterschied, ob § 16 Abs. 4 in der Fassung vor oder nach der Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 angewendet worden ist. Im Übrigen hat die Behörde sehr wohl Bestimmungen der Fassung vor der angeführten Novelle angewendet, dies geht aus dem angefochtenen Bescheid zweifelsfrei hervor (Seite 2, dritter Absatz).

Der Beschwerdeführer meint weiters, ihm seien die von ihm durchgeführten Verhandlungsvorbesprechungen bei insgesamt 17 Besuchen in der Justizanstalt V, sechs Haftverhandlungen sowie die Teilnahme an einer mit dem Gericht zur Verhandlungsvorbereitung vorgenommenen Reise in die Dominikanische Republik, auf Grund welcher er für eine ganze Woche die laufenden Kanzleigeschäfte nicht habe fortführen können, sowie seine ausschließliche Befassung mit der gegenständlichen Strafsache für unzählige Wochen, für die Akteneinsicht vom 28. Februar 2000, sowie die Kommissionen vom 17. März 2000 und vom 3. April 2000 sowie die Beweisanträge vom 3. April 2000 ebenso zu Unrecht nicht ausreichend entgolten worden wie Streitgenossenzuschläge.

Ob dieser Vorwurf zutrifft, ist, wie dargelegt, danach zu beurteilen, ob der im vorliegenden Fall vom Beschwerdeführer außerhalb der Hauptverhandlung erbrachte notwendige Aufwand als Verfahrenshelfer den typischen außerhalb der Hauptverhandlung erbrachten Leistungsumfang eines Verfahrenshelfers in einem vergütungsfreien, nicht "überlangen" Strafverfahren überstiegen hat, und ob bejahendenfalls die belangte Behörde diesem Umstand durch die Zuerkennung von Zuschlägen ausreichend Rechnung getragen hat.

Zwar hat die belangte Behörde grundsätzlich zutreffend erkannt, dass das Gesetz keine Einschränkung darauf enthält, dass mit § 16 Abs. 4 RAO bloß eine Vergütung für zusätzliche Verhandlungsstunden in der Hauptverhandlung zuzuerkennen wäre, indem sie dem Beschwerdeführer neben einer Vergütung für Verhandlungsstunden, die der Beschwerdeführer über die in § 16 Abs. 4 RAO umschriebene Schwelle geleistet hat, auch Zuschläge zuerkannt hat. Die belangte Behörde hat es allerdings unterlassen zu beurteilen, ob durch diese Zuschläge die vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Strafverfahren erbrachten, notwendigen Leistungen, die über die außerhalb einer Hauptverhandlung erbrachten notwendigen Leistungen eines Verteidigers in einem typischen, den Schwellenwert des § 16 Abs. 4 RAO nicht übersteigenden Strafverfahren hinausgingen, nach den dargelegten Kriterien ausreichend abgegolten werden.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil gemäß § 49 Abs. 1 zweiter Satz VwGG Schriftsatzaufwand nur dann gebührt, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich durch einen Rechtsanwalt vertreten war; damit gebührt Schriftsatzaufwand auch dann nicht, wenn ein Rechtsanwalt in eigener Sache einschreitet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Mai 2001, Zl. 97/02/0485, und vom 29. Oktober 2003, Zl. 2000/13/0217, m.w.N.).

Wien, am 28. Februar 2006

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte