Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Notstandshilfe abgewiesen, weil gemäß § 36c Abs. 6 AlVG Notlage nicht anzunehmen, da der Ehemann der Beschwerdeführerin keine Nachweise über sein Einkommen vorgelegt habe. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass ihr Ehemann als Hausangestellter bei einem Diplomaten arbeite, der keine Lohnbestätigung ausstelle. Auch habe er keinen Arbeitsvertrag oder irgendwelche sonstigen schriftlichen Unterlagen. Den Lohn von ca. EUR 800,-- monatlich erhalte er immer bar auf die Hand. Der Ehemann der Beschwerdeführerin arbeite dort ca. 40 Stunden in der Woche.
Nach Hinweisen auf die Vorgangsweise bei der Beurteilung des Vorliegens von Notlage verweist die belangte Behörde darauf, dass bei Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit eine aktuelle Lohnbestätigung vorzulegen sei. Eine solche Lohnbestätigung habe die Beschwerdeführerin weder der regionalen Geschäftsstelle, noch der Berufungsbehörde vorgelegt. Es sei daher gemäß § 36c Abs. 6 AlVG kein Anspruch auf Notstandshilfe gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der Aktenlage (Niederschriften mit der Beschwerdeführerin vom 30. Juni 2004, vom 4. November 2004 und vom 9. Dezember 2004) ist der Ehemann der Beschwerdeführerin als Hausangestellter eines Diplomaten der Japanischen Botschaft beschäftigt, der ihm keine Lohnbestätigung ausstellt und das monatliche Entgelt bar auf die Hand leistet. Die Höhe des monatlichen Entgelts wurde von der Beschwerdeführerin mit etwa EUR 800,-- im Monat angegeben.
Gemäß § 36a Abs. 5 Z. 2 AlVG ist das Einkommen für die Anrechnung auf die Notstandshilfe bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit durch die Vorlage einer aktuellen Lohnbestätigung nachzuweisen.
§ 36c AlVG lautet:
"Mitwirkungspflicht
§ 36c. (1) Personen, deren Einkommen oder Umsatz zur Feststellung des Anspruches auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz heranzuziehen ist, haben die erforderlichen Erklärungen und Nachweise auf Verlangen der regionalen Geschäftsstelle abzugeben bzw. vorzulegen.
(2) Arbeitgeber, bezugsliquidierende und sonstige Stellen, die Beträge im Sinne des § 36a Abs. 2 und 3 anweisen, haben alle Angaben, die zur Feststellung des Einkommens notwendig sind, binnen vier Wochen ab Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle mitzuteilen.
(3) Die gemäß Abs. 1 und 2 bescheidmäßig festgestellten Verpflichtungen können von den Vollstreckungsbehörden nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG), BGBl. Nr. 53, erzwungen werden.
(4) Die Abgabenbehörden haben für Personen, deren Einkommen bzw. Umsatz zur Feststellung des Anspruches auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz heranzuziehen ist, im Rahmen ihres Wirkungsbereiches im Ermittlungsverfahren festgestellte und für die Abgabenfestsetzung bedeutsame Daten über Anfrage den regionalen Geschäftsstellen bekanntzugeben, wenn die obgenannten Personen ihrer Mitwirkungspflicht im Verfahren nicht oder nicht ausreichend nachgekommen sind oder begründete Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen. Die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht des § 48a der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, gilt sinngemäß.
(5) Personen, deren Einkommen oder Umsatz aus selbständiger Erwerbstätigkeit für die Beurteilung des Anspruches auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz herangezogen wurde, sind verpflichtet, den Einkommen- bzw. den Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem die Leistung bezogen wurde, binnen zwei Wochen nach dessen Erlassung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle vorzulegen.
(6) Wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger (Lebensgefährte) keine Nachweise nach § 36a Abs. 5 und § 36b Abs. 2 vorlegt bzw. keine Erklärung nach § 36a Abs. 6 und § 36b Abs. 2 abgibt, so ist für den Leistungsbezieher kein geringfügiges Einkommen anzunehmen bzw. kein Anspruch des Leistungsbeziehers auf Familienzuschlag und auf Notstandshilfe gegeben."
§ 36c Abs. 6 AlVG enthält - wie die belangte Behörde im Kern richtig erkennt - eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, nämlich dass ein Anspruch auf Familienzuschlag und auf Notstandshilfe nicht gegeben (bzw. kein geringfügiges Einkommen anzunehmen) ist, wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger keine Nachweise nach § 36a Abs. 5 AlVG vorgelegt hat. (Nachweise nach § 36b Abs. 2 bzw. Erklärungen nach § 36 Abs. 6 und § 36b Abs. 2 AlVG kommen hier der Sache nach nicht in Betracht). Die belangte Behörde geht davon aus, dass es für den Eintritt dieser gesetzlichen Vermutung, welche den Leistungsanspruch ausschließt, nur darauf ankommt, dass ein erforderlicher Nachweis nicht vorgelegt wird, nicht aber auch darauf, aus welchen Gründen diese Vorlage unterbleibt, insbesondere ob dies der Leistungswerberin oder ihrem Ehemann zuzurechnen ist.
In der letztgenannten Rechtsauffassung kann aber der belangten Behörde nicht gefolgt werden:
Zunächst geht § 36c AlVG in den Abs. 1 bis 3 davon aus, dass es arbeitslosen Personen mitunter aus Eigenem nicht gelingt, die erforderlichen Nachweise vorzulegen: Aus § 36c Abs. 3 geht nämlich hervor, dass die Verpflichtung zur Vorlage der "erforderlichen Erklärungen und Nachweise" von der regionalen Geschäftsstelle mit Bescheid geltend zu machen und gegebenenfalls nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz zu erzwingen ist, und zwar nach § 36c Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 AlVG auch gegenüber Arbeitgebern, welche ihrer Verpflichtung zur Mitteilung aller Angaben, "die zur Feststellung des Einkommens notwendig sind", nicht nachkommen.
§ 36c Abs. 6 AlVG kann daher nicht von vornherein der Inhalt beigemessen werden, dass Unterlagen, welche die Behörde auch im Vollstreckungswege vom Arbeitgeber nicht erlangen könnte, bei sonstigem Ausschluss vom Anspruch auf Leistungen von der Leistungswerberin (oder ihrem Ehemann) selbst verlangt werden können, weil damit Leistungsansprüche nach dem AlVG von Voraussetzungen abhängig gemacht würden, deren Erbringung rechtlich unmöglich ist. Dies würde aber gegen den Gleichheitssatz verstoßen: So hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass der Gesetzgeber gegen den auch ihn bindenden Gleichheitssatz zB dann verstößt, wenn er Kreditinstituten die Verpflichtung zur Steuerabfuhr auch in Fällen auferlegt, in denen ihnen die für die ordnungsmäßige Steuerabfuhr erforderlichen Daten und/oder die für die Steuerentrichtung erforderlichen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen und von ihnen auch nicht ohne weiteres beschafft bzw. zurückerlangt werden können (VfSlg. 15773/2000).
Eine rechtliche Unmöglichkeit der Beschaffung einer Lohnbestätigung ist jedenfalls für jene Fälle anzunehmen, in denen weder die regionale Geschäftsstelle mit den ihr zu Gebote stehenden Zwangsmitteln noch die arbeitslose Person (oder deren Angehöriger) selbst im Wege der Gerichte die Ausstellung einer Lohnbescheinigung beim Dienstgeber erzwingen können, weil diesem die diplomatische Immunität nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, BGBl. Nr. 66/1966, nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, BGBl. Nr. 318/1969, oder nach einem bilateralen Übereinkommen mit einer internationalen Organisation zukommt. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat, eine solche verfassungswidrige Regelung zu normieren, sondern es ist anzunehmen, dass er diesen Fall nicht bedacht hat. Liegt aber bloß eine vom Gesetzgeber gar nicht beabsichtigte überschießende Formulierung vor, so spricht nichts dagegen, die Norm zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Ergebnisses hinsichtlich ihres Wortlautes teleologisch zu reduzieren und in verfassungskonformer Interpretation des § 36c Abs. 6 AlVG davon auszugehen, dass die darin ausgesprochene gesetzliche Vermutung jedenfalls dann nicht zum Tragen kommt, wenn die Beschaffung gesetzlich vorgesehener schriftlicher Nachweise rechtlich nicht erzwungen werden kann.
Gegen dieses Interpretationsergebnis vermag das Argument der belangten Behörde, sie wäre "künftig ohne irgendeinen Nachweis von dritter Seite Angaben von Eheleuten/Partnern hinsichtlich deren Einkommen" gleichsam ausgeliefert und könne "die Richtigkeit der
angeführten Höhe des Einkommens ... nur mit dem anzuwendenden
Kollektivvertrag ... vergleichen", von vornherein nicht
durchzudringen, da Schwierigkeiten der Behörde bei der Erlangung von anderen Kontrollbeweisen keinen Leistungsausschluss rechtfertigen können. Die belangte Behörde ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass eine Bestätigung "von dritter Seite" keine öffentliche Urkunde ist und auch durchaus unrichtig sein kann, insbesondere dann, wenn es ein gemeinsames Interesse des Dienstgebers und des Dienstnehmers gibt, das tatsächlich bezahlte Entgelt nicht gegenüber dem Arbeitsmarktservice offen zu legen. Insoweit kann der Lohnbestätigung auch nicht diese überragende Bedeutung für das Beweisverfahren beigemessen werden, welche ihr die belangte Behörde beilegen möchte. Im Übrigen steht der Gesetzgeber auch in anderen Zusammenhängen vor vergleichbaren Problemen und hat dafür sachadäquate Lösungen gefunden (vgl. zB § 53 Abs. 3 lit. a ASVG).
Soweit also der Ehemann der Beschwerdeführerin eine Bestätigung seines Arbeitgebers nicht erlangen kann, hätte die belangte Behörde alle übrigen Beweismittel zur Feststellung der Höhe des Einkommens des Ehemannes der Beschwerdeführerin auszuschöpfen gehabt, wozu insbesondere die Einvernahme der Beschwerdeführerin als Partei und ihres Ehemannes als Zeugen zählt. Für die Überprüfung der Plausibilität dieser Angaben könnten - soweit dies die Behörde für erforderlich hält - durchaus auch Einkünfte von in vergleichbarer Weise in einem Haushalt Beschäftigten (zB solchen im Sinne des § 53 Abs. 3 lit. a ASVG) herangezogen werden, die - soweit vorhanden - gemäß § 69 AlVG im Amtshilfeweg von der Wiener Gebietskrankenkasse erlangt werden könnten.
Schließlich stünde es der belangten Behörde auch offen, beim Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten anzufragen, ob es den diplomatischen Gepflogenheiten entspricht, in einem solchen Fall ein Ersuchen oder eine Anfrage an die zuständige diplomatische Vertretung zu richten, ob die Bereitschaft zur freiwilligen Ausstellung der gewünschten Bescheinigung bestünde und - bejahendenfalls - eine solche Anfrage anzuregen.
Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, jedoch begrenzt durch das ziffernmäßig konkretisierte Begehren.
Wien, am 29. Juni 2005
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