VwGH 2004/18/0407

VwGH2004/18/040718.1.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der SS in W, geboren 1951, vertreten durch Dr. Lennart Binder LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Oktober 2004, Zl. 141.917/2-III/4/04, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §10 Abs1 Z2 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §14 Abs2 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs3;
EMRK Art8;
VwRallg;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §14 Abs2 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs3;
EMRK Art8;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 25. Oktober 2004 wurde der am 17. September 2003 von der Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsvertreter beim Landeshauptmann von Wien (bei der Erstbehörde) gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 14 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe in der am 2. Juli 2004 gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 20. April 2004 erhobenen Berufung im Wesentlichen vorgebracht, dass ihr Ehegatte seit ca. 20 Jahren im österreichischen Arbeitsmarkt integriert wäre und daher das zwischen der EU und der Türkei abgeschlossene Assoziationsabkommen anzuwenden wäre. Insbesondere wäre auf das Diskriminierungsverbot hinzuweisen.

Nach Wiedergabe der obzitierten Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde weiter aus, dass die Beschwerdeführerin am 17. August 2003 mit einem von der österreichischen Botschaft in Ankara ausgestellten, vom 15. August 2003 bis 15. September 2003 gültigen Visum C in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Sie sei vom 19. August 2003 bis 10. Februar 2004 mit Nebenwohnsitz an einer näher bezeichneten Anschrift in Wien gemeldet gewesen und seit 10. Februar 2004 dort mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Da die Beschwerdeführerin noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für Österreich verfügt habe, sei ihr Antrag vom 17. September 2003 als Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten. Ein solcher Antrag sei jedoch vom Ausland aus zu stellen.

Die Beschwerdeführerin habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten und erfülle keine der in § 14 Abs. 2 FrG für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen. Ihre Vorgangsweise widerspreche auch dem in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, dass Fremde die Entscheidung über ihren Antrag im Ausland abzuwarten hätten.

Die Beschwerdeführerin halte sich unbestritten seit ihrer Einreise mit dem genannten Visum im Bundesgebiet auf. § 10 Abs. 1 Z 2 FrG schließe die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels aus, wenn der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden solle.

In derart gelagerten Fällen könnten Angehörige eines türkischen Arbeitnehmers keine Rechte aus dem Beschluss Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation geltend machen.

Gemäß § 14 Abs. 2 FrG habe die Behörde einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung abzuweisen, wenn kein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" aus humanitären Gründen vorliege. Die Berufung der Beschwerdeführerin enthalte weder eine Behauptung humanitärer Gründe im Sinn des § 10 Abs. 4 leg. cit, noch liege eine Anregung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach dieser Gesetzesbestimmung vor. Eine Überprüfung im Sinn dieser Bestimmung sei von Amts wegen durchgeführt worden. Im vorliegenden Fall sei festgestellt worden, dass kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Es lägen daher die materiellen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 4 leg. cit. nicht vor, und es werde daher gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz leg. cit. eine Inlandsantragstellung nicht zugelassen. Die Entscheidung der belangten Behörde gründe sich aus formeller Sicht auf § 90 Abs. 1 leg. cit. Eine Antragstellung vor der Einreise sei von wesentlicher Bedeutung, und eine nicht im Gesetz entsprechende Antragstellung führe zur Abweisung des Antrages. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung dieser Bestimmung auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Im Hinblick darauf erübrige sich das Eingehen auf eventuelle private und familiäre Interessen der Beschwerdeführerin, weil eine auf § 14 Abs. 2 leg. cit. gestützte abweisende Entscheidung einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht darstelle.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im angefochtenen Bescheid zitierten Bestimmungen des § 10 Abs. 1 Z 2 FrG und des § 14 Abs. 2 leg. cit. idF der FrG-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 126, haben folgenden Wortlaut:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

...

2. der Aufenthaltstitel zeitlich an den durch ein Reise- oder Durchreisevisum ermöglichten Aufenthalt anschließen und nach der Einreise erteilt werden soll;

...

§ 14. ...

(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist, und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; dies gilt nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels dann nicht, wenn der weitere Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit zulassen soll, für die der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel nicht erteilt hätte werden können (§ 13 Abs. 3). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für kurzfristig beschäftigte Fremde (§ 5 AuslBG) kann nach der Einreise gestellt werden, wenn der Fremde an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt ist. Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 vor, kann der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt werden.

..."

Die in § 14 Abs. 2 leg. cit. genannte Bestimmung des § 10 Abs. 4 leg. cit. lautet:

"§ 10. ...

(4) Die Behörde kann Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z 2, 3 und 4 sowie gemäß Abs. 2 Z 1, 2 und 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Fälle liegen insbesondere vor, wenn die Fremden einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 ausgesetzt sind. Fremden, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konfliktes verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltserlaubnis nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens für drei Monate erteilt werden. Im Falle strafbarer Handlungen gemäß § 217 StGB darf Zeugen zur Gewährleistung der Strafverfolgung sowie Opfern von Menschenhandel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen die Täter eine solche Aufenthaltserlaubnis für die erforderliche Dauer erteilt werden."

Bei der Regelung des § 14 Abs. 2 erster Satz FrG handelt es sich um eine Anordnung an die Behörde, die beantragte Rechtsgestaltung durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nur dann vorzunehmen, wenn der Antrag vor der Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet vom Ausland aus gestellt wurde, wobei die Erledigung grundsätzlich auch vom Ausland aus abzuwarten ist. Bei einem entgegen dieser Bestimmung gestellten Antrag kommt eine Ermessensentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. unter Bedachtnahme auf die im § 8 Abs. 3 leg. cit. genannten Kriterien nicht in Betracht. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 2003/18/0148, mwN.)

2. Die Beschwerde bringt vor, dass die Beschwerdeführerin als Angehörige eines - wenngleich verstorbenen - türkischen Staatsangehörigen gemäß dem zwischen der EU und der Türkei abgeschlossenen Assoziierungsabkommen das Recht zum Familiennachzug habe. Durch die Vorschrift, dass die Antragstellung (um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung) im Ausland zu erfolgen habe, würden die Bestimmungen des Assoziationsabkommens und dessen Sinn, nämlich türkische Staatsangehörige und deren Angehörige EU-Bürgern gleichzustellen, unterlaufen. Auch werde Art. 8 EMRK "letztlich außer Kraft gesetzt".

3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

3.1. Wenn die Beschwerdeführerin von der Prämisse ausgeht, dass sie auf Grund des zwischen der EWG und der Türkei geschlossenen Assoziierungsabkommens aus 1963 das Recht gehabt habe, ihrem Ehegatten nach Österreich nachzuziehen, und im Hinblick darauf überdies das Recht habe, sich hier weiterhin aufzuhalten, so ist dem Folgendes entgegen zu halten:

Nach Art. 7 erster Gedankenstrich des auf der Grundlage des genannten Assoziationsabkommens gefassten Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 (ARB) haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass der ARB nicht den Familiennachzug regelt, sondern nur die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen, die auf Grund anderer Rechtsgrundlagen der Mitgliedstaaten die Genehmigung erhalten haben, zu einem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. Der EuGH hat in seiner Judikatur wiederholt darauf hingewiesen, dass durch Art. 7 ARB die Befugnis des betreffenden Mitgliedstaates nicht berührt wird, den Familienangehörigen die Genehmigung zu erteilen, zu dem in diesem Staat ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Arbeitnehmer zu ziehen. Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, dass das der Beschwerdeführerin mit einer Gültigkeitsdauer vom 15. August 2003 bis 15. September 2003 erteilte Visum C keine Genehmigung des Zuzuges im Sinn des Art. 7 ARB darstellt. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2003, Zl. 2003/18/0139, mit weiteren Hinweisen auf die hg. Vorjudikatur und die Judikatur des EuGH.)

Der Beschwerdehinweis auf das Assoziationsabkommen ist daher nicht zielführend.

3.2. Auf die im angefochtenen Bescheid angesprochene Frage, ob die Beschwerdeführerin zufolge der Regelung des § 14 Abs. 2 letzter Satz iVm § 10 Abs. 4 FrG den Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Inland stellen durfte, kommt die Beschwerdeführerin im Rahmen der Ausführung der Beschwerdegründe nicht zurück.

Bemerkt sei hiezu, dass § 10 Abs. 4 leg. cit. auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden abstellt, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilten (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2004, Zl. 2003/18/0320, mit Hinweis auf Gesetzesmaterialien). Weiters liegen "besonders berücksichtigungswürdige Fälle" auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zlen. 2004/21/0195 bis 0197). Die in der Beschwerde im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung behaupteten Umstände, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin seit dem 25. April 1984 durchgehend in Österreich beschäftigt gewesen sei, im Juni 2003 um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht habe, für deren Verleihung er alle Voraussetzungen erfüllt habe, er aber am 25. Februar 2004 verstorben sei und eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an ihn und damit auch eine Erstreckung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf seine Familienangehörigen nur deshalb nicht mehr möglich gewesen seien, stellen keine berücksichtigungswürdigen Gründe im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG dar (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2003/18/0304, mwN). Wenn die Beschwerde im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung überdies vorbringt, es sei eine Rückkehr der Beschwerdeführerin in die Türkei faktisch ausgeschlossen, weil dort keine Existenzmöglichkeit mehr bestehe, so lässt ihr übriges Vorbringen nicht erkennen, aus welchen konkreten Gründen das Leben dort für die Beschwerdeführerin (und ihre Kinder) nicht mehr möglich sei, zumal die Beschwerde vorbringt, dass die Beschwerdeführerin eine Witwenpension und ihre Kinder eine entsprechende Waisenpension erhielten.

4. Im Übrigen bestreitet die Beschwerde nicht, dass die Beschwerdeführerin noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für Österreich verfügt hat, sich seit ihrer Einreise am 17. August 2003 hier aufhält und durch ihren Rechtsvertreter am 17. September 2003 bei der Erstbehörde den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt hat.

Demzufolge hat die belangte Behörde diesen Antrag zutreffend (u.a.) gemäß § 14 Abs. 2 FrG abgewiesen.

5. Im Hinblick darauf erübrigte es sich, noch darauf einzugehen, ob die belangte Behörde (auch) § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. für die Abweisung dieses Antrages heranziehen durfte.

6. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

7. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 18. Jänner 2005

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