VwGH 2004/11/0200

VwGH2004/11/020027.1.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Thomas Fried, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 11/2/22, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. September 2004, Zl. MA65-2377/2004, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z1;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
AVG §38;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z1;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Straferkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. September 2001 wurde der Beschwerdeführer (soweit hier relevant, zu Spruchpunkt 3) schuldig erkannt, er habe sich, indem er sich vor der Untersuchung entfernt habe, am 26. April 2000 um 23.50 Uhr im Lorenz-Böhler Krankenhaus in Wien 20 gegenüber einem dazu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht geweigert, sich zwecks Feststellung des Grades der Beeinträchtigung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden oder bei der Bundespolizeidirektion Wien tätigen Arzt bringen zu lassen, obwohl er im Verdacht gestanden sei, am 26. April 2000 um

21.50 Uhr an einem näher umschriebenen Ort einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben, und obwohl eine Untersuchung mittels Alkomaten aus in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Gründen nicht möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 5 Z. 2 StVO 1960 begangen; es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Die Bundespolizeidirektion Wien erließ an den Beschwerdeführer folgenden Bescheid vom 8. Juli 2004:

"Die Bundespolizeidirektion Wien - Verkehrsamt - hat Ihnen mit Bescheid vom 9. Mai 2000, Zahl ..., die Lenkberechtigung , Zahl ..., erteilt am 3. April 1986 von der Bundespolizeidirektion Wien - Verkehrsamt für die Klasse B, gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 Führerscheingesetz 1997 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 für die Zeit von fünfzehn (15) Monaten, entzogen.

Der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Vorstellung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Entziehungszeit mit 16. Mai 2000 begann und am 16. August 2001 endet.

Einer eventuellen Berufung wird die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 aberkannt."

Mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 21. September 2004 gab der Landeshauptmann von Wien der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. Juli 2004 insofern Folge, als die Entziehungszeit von 15 Monaten auf 12 Monate, gerechnet ab Zustellung des Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 9. Mai 2000 (somit auf den Zeitraum vom 16. Mai 2000 bis 16. Mai 2001) herabgesetzt wurde.

In der Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, auf Grund der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers stehe bindend fest, dass er die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung begangen habe. Mit dem Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. September 2001 sei das erstinstanzliche Straferkenntnis inhaltlich in allen Punkten bestätigt und lediglich die verhängte Geldstrafe herabgesetzt worden. Das Straferkenntnis sei somit hinsichtlich der zur Last gelegten Delikte in Rechtskraft erwachsen und als Grundlage für dieses Verfahren heranzuziehen. Soweit der Beschwerdeführer bestreite, zum Tatzeitpunkt alkoholbeeinträchtigt gewesen zu sein, sei zu erwidern, dass die zitierte rechtskräftige Bestrafung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 5 Z. 2 StVO 1960 (die auch mit der im Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 17.3.2003 zur Zahl ... gemäß § 90c Abs. 1 StPO i.V.m. § 90b StPO verfügten Einstellung des Verfahrens nicht in Widerspruch stehe) Bindungswirkung im gegenständlichen Verwaltungsverfahren entfalte. Daher seien die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen zum Verschulden nicht neuerlich aufzurollen und von weiteren diesbezüglichen Ermittlungen und Beweisaufnahmen habe daher Abstand genommen werden können. Somit sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die der Bestrafung zugrundeliegenden Tathandlungen tatsächlich begangen hat. Diese Tathandlungen, insbesondere die Verweigerung der Alkoholkontrolluntersuchung, seien bestimmte Tatsachen im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG, weshalb die Erstbehörde zu Recht von einem Mangel der Verkehrszuverlässigkeit des Berufungswerbers ausgegangen sei. Bei der Wertung gemäß § 7 Abs. 4 FSG seien einerseits die Verwerflichkeit des Alkoholdeliktes und der Umstand zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bereits eine "einschlägige" Übertretung begangen habe und ihm deshalb im März 1999 die Lenkberechtigung entzogen worden sei, andererseits das gezeigte längere Wohlverhalten seit dem zu Grunde liegenden Vorfall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG von Bedeutung:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird,

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. (1) ...

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen.

..."

Die belangte Behörde hat im Kern ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt, der Beschwerdeführer habe ein Alkoholdelikt begangen (was im Hinblick auf das rechtskräftige Straferkenntnis bindend feststehe, weshalb sie keine weiteren Ermittlungen zu pflegen habe), welches eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 FSG darstelle. Der belangten Behörde ist zunächst zuzugestehen, dass eine rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen einer am 26. April 2000 begangenen Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 Bindungswirkung dahin entfalten würde, dass feststünde, der Beschwerdeführer habe diese Übertretung begangen. Auch die Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Straferkenntnis des unabhängigen Verwaltungssenates hätte an der Rechtskraft dieses Bescheides und damit an seiner Bindungswirkung nichts geändert.

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der hier maßgebliche Spruchpunkt 3 des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. September 2001 mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. September 2004, Zl. 2001/02/0216, aufgehoben wurde. Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer und dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am 4. Oktober 2004 zugestellt. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 5. Oktober 2004 lag somit kein rechtskräftiges, die belangte Behörde bindendes Straferkenntnis über die Begehung der von der belangten Behörde als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung durch den Beschwerdeführer vor. Da im angefochtenen Bescheid die Frage, ob das in Rede stehende Verweigerungsdelikt begangen wurde, nicht als Vorfrage gemäß § 38 AVG selbständig geprüft und rechtlich beurteilt wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2000/11/0025) war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. Jänner 2005

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