VwGH 2004/06/0109

VwGH2004/06/010929.11.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. des H R, 2. des J T, 3. des W Z, alle in M, 4. des Dr. E W, Rechtsanwalt in M, (die Erst- bis Drittbeschwerdeführer vertreten durch den Viertbeschwerdeführer), gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 5. Dezember 2003, Zl. Ve1-8-1/80-1, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde M, vertreten durch Dr. Gernot Gasser und Dr. Sonja Schneeberger, Rechtsanwälte in Lienz, Beda-Weber-Gasse 1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1;
AVG §73 Abs2;
BauO Tir 2001 §37;
BauO Tir 2001 §51 Abs1;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO Tir 2001 §120;
GdO Tir 2001 §29 Abs7;
GdO Tir 2001 §30 Abs5;
GdO Tir 2001 §31 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §63 Abs1;
AVG §73 Abs2;
BauO Tir 2001 §37;
BauO Tir 2001 §51 Abs1;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO Tir 2001 §120;
GdO Tir 2001 §29 Abs7;
GdO Tir 2001 §30 Abs5;
GdO Tir 2001 §31 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern zusammen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem an den Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde als Baubehörde gerichteten Schriftsatz vom 26. November 2002 brachten die Beschwerdeführer, die Eigentümer von Grundstücken an der O-Gasse im Gemeindegebiet sind, vor, sie hätten davon Kenntnis erlangt, dass eine (gemäß einem beiliegenden Plan) näher beschriebene Begrenzungsmauer eines bestimmten Grundstückes an der O-Gasse beträchtlich auf das öffentliche Gut der O-Gasse hineinrage, wodurch die Zufahrt mit Einsatzfahrzeugen wie Feuerwehr oder Rettung im Einsatz- und Katastrophenfall deutlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht werde. Diese Mauer sei nie baubehördlich bewilligt worden. Um die Zufahrtsmöglichkeit von Einsatzfahrzeugen im Rettungs- oder Katastrophenfall zu den im Zuge der O-Gasse gelegenen Wohnobjekten der Beschwerdeführer zu verbessern bzw. wieder herzustellen, werde beantragt, die Baubehörde erster Instanz wolle unverzüglich einen Abbruchbescheid hinsichtlich jenes Teils der fraglichen Begrenzungsmauer samt Treppe erlassen, der in das öffentliche Gut gemäß dem beigelegten Lageplan hineinreiche.

In einem Schriftsatz vom 18. März 2003 brachte eine näher bezeichnete Genossenschaft namens einer Reihe von Personen, die Miteigentümer der vom angestrebten Beseitigungsauftrag betroffenen Liegenschaft seien, eine umfangreiche Stellungnahme zum Abbruchbegehren ein. Sie beantragte zunächst die Abweisung bzw. die Einstellung des Verfahrens gemäß § 37 der Tiroler Bauordnung 2001 (Anm.: § 37 TBO 2001 regelt die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, darunter auch den Abbruchauftrag mangels Baukonsenses), stellte weiters den Antrag auf Bestätigung des vermuteten Konsenses betreffend diese Einfriedungsmauer, sodann hilfsweise "auf Einleitung des Verfahrens nach § 22 TBO 2001" (diese Bestimmung regelt die Bauanzeige), hilfsweise auf "Einleitung des Verfahrens nach § 21 TBO 2001" (diese Bestimmung regelt das Bauansuchen).

Mit Schriftsatz vom 4. April 2003 erstatteten die Beschwerdeführer eine ablehnende Stellungnahme zu diesem Schriftsatz vom 18. März 2003 und beantragten, die Baubehörde erster Instanz wolle

1. den Schriftsatz vom 18. März 2003 ohne weiteres Verfahren a limine zurückweisen, hilfsweise abweisen und unverzüglich den angestrebten Abbruchbescheid erlassen,

2. das Begehren vom 18. März 2003 auf Abweisung bzw. Einstellung des Verfahrens gemäß § 37 TBO 2001 ohne weiteres Verfahren zurückweisen, hilfsweise abweisen und unverzüglich den angestrebten Abbruchbescheid erlassen,

3. das Begehren auf Bestätigung des vermuteten Konsenses für die Einfriedungsmauer ohne weiteres Verfahren zurückweisen, hilfsweise abweisen und unverzüglich den angestrebten Abbruchbescheid erlassen,

4. den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens nach § 22 TBO 2001 ohne weiteres Verfahren zurückweisen, hilfsweise abweisen und unverzüglich den angestrebten Abbruchbescheid erlassen,

5. den Antrag auf Einleitung des Verfahrens nach § 21 TBO 2001 ohne weiteres Verfahren zurückweisen, hilfsweise abweisen und unverzüglich den angestrebten Abbruchbescheid erlassen.

Mit dem an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde gerichteten Devolutionsantrag vom 3. Juni 2003 (der am selben Tag beim Gemeindeamt einlangte) machten die Beschwerdeführer geltend, dass der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde als Baubehörde erster Instanz nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 73 AVG über das Begehren vom 26. November 2002 auf Erlassung des Abbruchauftrages entschieden habe.

In einer weiteren Stellungnahme vom 28. Juli 2003 an den Gemeindevorstand (bei der Gemeinde am 30. Juli 2003 eingelangt) erstatteten die Beschwerdeführer ein Vorbringen zur Frage der Rechtmäßigkeit dieser Mauer und brachten unter anderem vor, es "dürfte der geschätzten Aufmerksamkeit der Baubehörde I. Instanz entgangen sein", dass die Beschwerdeführer bereits am 3. Juni 2003 einen Devolutionsantrag an den Gemeindevorstand eingebracht hätten und daher die Zuständigkeit "zur Entscheidung in dieser Rechtssache" bereits mit 3. Juni 2003 auf den Gemeindevorstand übergegangen sei.

Sodann wiederholten sie (es wird in der Stellungnahme das Wort "wiederholen" gebraucht) ihre fünf Anträge in der Stellungnahme vom 4. April 2003.

Hierauf wies der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 25. August 2003 die Anträge der Beschwerdeführer vom 3. Juni und 28. Juli 2003 als unzulässig zurück. Begründend heißt es nach zusammengefasster Wiedergabe der verschiedenen Stellungnahmen und Anträge der Beschwerdeführer (vom 26. November 2003, vom 4. April, 3. Juni und 28. Juli 2003), die Baubehörde erster Instanz habe über den Antrag vom 26. November 2002 nicht binnen sechs Monaten nach Einlangen bescheidmäßig entschieden. Das verfolgte Ziel der Beschwerdeführer auf Durchführung eines baupolizeilichen Auftragsverfahrens (Erlassung eines Abbruchauftrages) falle nicht in den Rahmen der den Nachbarn eingeräumten Parteirechte. Sie hätten insbesondere keinen Rechtsanspruch auf Erlassung eines Abbruchauftrages. Ihnen komme daher in dem baupolizeilichen Auftragsverfahren Parteistellung nicht zu und somit auch nicht das Recht auf Geltendmachung der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG (Hinweis auf den hg. Beschluss vom 28. April 1983, Zl. 83/06/0069).

Mangels Parteistellung der Beschwerdeführer sei die Entscheidungspflicht der Behörde nicht gegeben. Somit fehle es an der gesetzlichen Voraussetzung für den Übergang der Entscheidungspflicht. Hierüber habe nun die Oberbehörde (der Gemeindevorstand) bescheidmäßig mittels Zurückweisung zu entscheiden gehabt. Die Zuständigkeit der Baubehörde erster Instanz hinsichtlich der Anträge vom 26. November 2002 und 4. April 2003 sei nach wie vor gegeben. Die Baubehörde erster Instanz werde diese Anträge mangels Parteistellung der Beschwerdeführer zurückzuweisen haben. Nebenbei sei angeführt, dass der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde als Straßenbehörde erster Instanz mit rechtskräftigem Bescheid vom 10. Juli 2003 festgestellt habe, dass die fraglichen Teile der Begrenzungsmauer samt Treppe Bestandteil der Gemeindestraße O-Gasse seien. Damit mangle es aber auch an der Zuständigkeit der Baubehörde, einen baupolizeilichen Auftrag zu erlassen.

Dieser Bescheid enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass dagegen Berufung erhoben werden könne.

Die Beschwerdeführer erhoben Berufung, die mit Berufungsbescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde als unbegründet abgewiesen wurde. Zusammenfassend teilte die Berufungsbehörde die Auffassung des Gemeindevorstandes, dass dem Nachbarn kein Anspruch auf Erlassung eines Abbruchauftrages zukomme, sodass mangels Parteistellung die Anträge vom Gemeindevorstand zurückzuweisen gewesen seien. Den Beschwerdeführern "kam nämlich nicht die Kompetenz zu, sich auf die Entscheidungspflicht gem. § 73 AVG zu berufen". Darüber hinaus sei die Baubehörde im Beschwerdefall auch nicht zuständig, weil gemäß § 3 Abs. 2 des Tiroler Straßengesetzes rechtskräftig festgestellt worden sei, dass die Mauer einen Bestandteil der Straße bilde. Somit sei auch deshalb die angefochtene Entscheidung "auf Zurückweisung mangels Zuständigkeit begründet".

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass dem Nachbarn (und damit auch den Beschwerdeführern) nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung 2001 in einem Verfahren betreffend die Erledigung einer Bauanzeige ebenso wenig wie in einem Verfahren zur Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages Parteistellung zukomme. Um die Rechtsposition der Beschwerdeführer "von Beginn an klarer abzustecken", hätte die "Erstbehörde" daher bereits die im Zuge des Abbruchantrages vom 26. November 2002 geltend gemachten "materiell- und verfahrensrechtlichen Dispositionen im Abbruchs- bzw. Auftragsverfahren als unzulässig zurückweisen sollen".

Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführer habe demnach bereits deshalb unterbleiben können.

Die Beschwerdeführer erhoben gegen diesen Vorstellungsbescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 8. Juni 2004, B 147/04-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Mit Eingabe vom 9. Juni 2004 legten die Beschwerdeführer dem Verfassungsgerichtshof einen Bescheid der belangten Behörde vom 3. Juni 2004 vor, mit welchem ein Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde aufgehoben wurde, mit dem die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Feststellungsbescheid im straßenrechtlichen Verfahren vom 10. Juli 2003 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die Aufhebung durch die belangte Behörde wurde damit begründet, dass die Feststellung von einer unzuständigen Behörde getroffen worden sei. Zuständig wäre vielmehr die belangte Behörde gewesen.

In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gemeinde hat ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag eingebracht, die Beschwerde kostenpflichtig zurück- oder auch abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift ins Treffen führt, die belangte Behörde sei unzutreffend bezeichnet, der Beschwerdepunkt sei nicht gehörig genannt, das Beschwerdebegehren sei unklar, sowie auch, dass unzutreffend die belangte Behörde (und nicht deren Rechtsträger) zum Kostenersatz verpflichtet werden solle, mag dies auf die ursprüngliche, an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde zutreffen, diese behaupteten Mängel haften aber dem Verbesserungsschriftsatz nicht an. Aus dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführer tritt jedenfalls zutage, dass sie (weiterhin) eine (positive) Sachentscheidung über ihr Begehren auf Erlassung eines Abbruchauftrages anstreben.

Nach § 51 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung 2001, LGBl. Nr. 94 (Wiederverlautbarung), ist außerhalb der Stadt Innsbruck Behörde im Sinne dieses Gesetzes (mit hier nicht zutreffenden Ausnahmen) der Bürgermeister. Über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters entscheidet der Gemeindevorstand. Gegen dessen Entscheidungen ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

Nach § 30 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 (TGO), LGBl. Nr. 36, ist der Gemeinderat in den hoheitlichen Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde die höchste in Betracht kommende sachliche Oberbehörde.

Nach § 31 Abs. 2 TGO ist der Gemeindevorstand in den hoheitlichen Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde Berufungsbehörde.

Die Behörden des Verwaltungsverfahrens wie auch die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind offensichtlich (der Gemeindevorstand angesichts der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich, ansonsten implizit) davon ausgegangen, dass gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 25. August 2003 die Berufung an den Gemeinderat offen stand. Nun ist zwar in § 51 Abs. 1 TBO 2001 (das ist im Verhältnis zu § 30 Abs. 5 TGO die speziellere Norm) der Fall nicht eigens geregelt, ob gegen eine erstinstanzliche Entscheidung des im Devolutionsweg zuständig gewordenen Gemeindevorstandes eine Berufung zulässig ist und welche Behörde darüber zu entscheiden hätte. Aus § 31 Abs. 2 TGO ergibt sich aber, dass Berufungsbehörde (mangels abweichender Regelung in § 51 Abs. 1 TBO 2001) vom Grundsatz her nur der Gemeindevorstand sein kann, mag auch der Gemeinderat höchste Oberbehörde sein. Entscheidet daher der Gemeindevorstand als Behörde erster Instanz, ist dagegen keine Berufung zulässig, sondern nur die Vorstellung (siehe zu einer vergleichbaren Rechtslage in Kärnten die hg. Erkenntnisse vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0071, und vom 27. Mai 1997, Zl. 96/05/0274). Eine Zuständigkeit des Gemeinderates als Berufungsbehörde ist zwar denkbar (etwa im Fall der Devolution oder der Befangenheit des Gemeindevorstandes iS des § 29 Abs. 7 TGO), ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Dadurch, dass die belangte Behörde die Unzuständigkeit des Gemeinderates als Berufungsbehörde verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Aus verfahrensökonomischen Gründen ist auf Folgendes zu verweisen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach hervorgehoben, dass auf die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages grundsätzlich kein Rechtsanspruch bestehe, es sei denn, der Gesetzgeber habe einen solchen Anspruch vorgesehen (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 1984, Zl. 84/06/0079, BauSlg 255, und auch die Ausführungen in Hauer, der Nachbar im Baurecht5, 225ff, auch 64f; vgl. auch die Übersicht über die Judikatur in Hauer, Tiroler Baurecht2, E 1ff zu § 44 TBO 1989).

Weder dem § 37 TBO 2001 noch sonst der TBO 2001 ist zu entnehmen, dass den Beschwerdeführern ein Anspruch auf Erlassung des angestrebten Bauauftrages zukäme. Es trifft daher zu, dass dieses Begehren von der Baubehörde zurückzuweisen gewesen wäre.

Wien, am 29. November 2005

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