Normen
GewO 1994 §357;
GewO 1994 §74 Abs2 Z1;
GewO 1994 §77 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwGG §34 Abs1 impl;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
GewO 1994 §357;
GewO 1994 §74 Abs2 Z1;
GewO 1994 §77 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwGG §34 Abs1 impl;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 6. Mai 2003 wurde der beschwerdeführenden Partei die gewerbebehördliche Genehmigung zur Änderung einer näher beschriebenen Betriebsanlage durch Erweiterung der bestehenden Lagerhalle 2/3 erteilt; die Einwendungen u.a. der mitbeteiligten Partei wurden teils ab-, teils zurückgewiesen.
Der von der mitbeteiligten Partei gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 19. Jänner 2004 Folge gegeben; der erstinstanzliche Bescheid wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben (Spruchpunkt I.). Die übrigen Berufungen wurden zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der herangezogenen Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die mitbeteiligte Partei habe in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, es stehe ihr auf Grund einer - näher dargestellten - Vereinbarung ein lebenslängliches Nutzungsrecht über ein Teilstück jenes Grundstücks zu, auf dem die in Rede stehende Erweiterung der Betriebsanlage zu liegen komme. Die weitere Ausübung dieses Rechtes werde durch die Erweiterung der Anlage "vollkommen aufgehoben bzw. ausgeschlossen", sodass die beantragte Genehmigung wegen der Gefährdung bzw. vollständigen Aufhebung dieses dinglichen Nutzungsrechtes gemäß § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 unzulässig sei. Diese Einwendung sei mit dem erstinstanzlichen Bescheid zurückgewiesen worden.
Da die mitbeteiligte Partei das Vorliegen einer Dienstbarkeit behauptet habe, sei von einem dinglichen Recht im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994 und somit von einer zulässigen Einwendung auszugehen. Ob tatsächlich eine Dienstbarkeit bestehe, sei eine Rechtsfrage, deren Klärung in den Wirkungsbereich des zuständigen Grundbuchsgerichtes falle; die Frage nach dem Bestand der Dienstbarkeit sei für die Gewerbebehörde daher eine Vorfrage. Hierüber hätte die Erstbehörde inhaltlich entscheiden müssen, statt mit einer Zurückweisung vorzugehen. Entweder wäre die Einwendung abzuweisen gewesen, oder - im Falle einer Beeinträchtigung des Rechtes der mitbeteiligten Partei - das Genehmigungsansuchen. Demgegenüber habe die Erstbehörde eine Entscheidung über die Einwendung ausdrücklich und zwar mangels Zuständigkeit verweigert. Aus diesem Grunde komme auch die Fiktion des § 59 Abs. 1 AVG, wonach Einwendungen mit Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrages als miterledigt gelten, nicht zum Tragen.
Nun sei Sache der Berufungsbehörde die Verwaltungssache, die zunächst der ersten Instanz vorgelegen sei. Habe die Unterinstanz einen Antrag zurückgewiesen, so dürfe die Berufungsbehörde nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, nicht aber über den zurückgewiesenen Antrag selbst entscheiden. Im vorliegenden Fall habe die Berufungsbehörde daher nur über die Frage entscheiden dürfen, ob die Zurückweisung rechtmäßig sei. Zufolge Verneinung dieser Frage sei der erstbehördliche Bescheid zu beheben gewesen; die Erstbehörde werde über den verfahrenseinleitenden Antrag nochmals zu entscheiden haben.
Gegen diesen Bescheid, und zwar nur gegen Spruchpunkt I. richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Die mitbeteiligte Partei beteiligte sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die beschwerdeführende Partei erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt I.) im Recht auf Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung der beantragten Betriebsanlagenänderung verletzt. Sie bringt hiezu im Wesentlichen vor, der belangten Behörde sei ein Grundbuchsauszug vorgelegen, aus dem ersichtlich gewesen sei, dass das behauptete Nutzungsrecht nicht einverleibt sei. So lange eine Einverleibung im Grundbuch nicht erfolgt sei, liege kein dingliches Recht vor; das behauptete Nutzungsrecht könne daher nur obligatorisch sein. Durch die unrichtige Behauptung der mitbeteiligten Partei, es würde ein dingliches Nutzungsrecht beeinträchtigt, werde allerdings keine zulässige Einwendung erhoben. Selbst wenn man jedoch von einem dinglichen Recht der mitbeteiligten Partei ausgehen wollte, so habe diese vorgebracht, dass dessen Ausübung durch die Änderung der Betriebsanlage vollkommen aufgehoben bzw. ausgeschlossen würde. Sie habe daher selbst vorgebracht, dass die geänderte Betriebsanlage und das behauptete dingliche Recht nicht nebeneinander bestehen könnten. Ob allerdings unter solchen Umständen die Errichtung der Betriebsanlage zulässig sei, sei eine ausschließlich in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fallende Frage des privaten Rechts. Die Einwendung der mitbeteiligten Partei sei daher von der Erstbehörde zu Recht zurückgewiesen worden und es hätte dieser Bescheid somit von der belangten Behörde bestätigt werden müssen.
Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,
1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Recht der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z. 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,
...
Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.
Die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 81 GewO 1994 sind keine anderen als jene, an die das Gesetz im § 77 die Errichtung und den Betrieb einer Anlage knüpft (vgl. die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO2 (2003), S. 654, zitierte Judikatur).
Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a ) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.
Dem angefochtenen Bescheid liegt zunächst die Auffassung zu Grunde, das Vorbringen der mitbeteiligten Partei, es werde ihr Nutzungsrecht betreffend ein Teilstück der Betriebsliegenschaft durch die von der beschwerdeführenden Partei beantragte Anlagenerweiterung "vollkommen aufgehoben bzw. ausgeschlossen", stelle eine Einwendung dar, die im Sinn des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 geeignet wäre, die Genehmigungsfähigkeit der beantragten Anlagenänderung auszuschließen. Diese Auffassung ist unzutreffend:
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2002, Zl. 2001/04/0104, und die dort zitierte Vorjudikatur), stellt das Gesetz bei Normierung der Genehmigungsvoraussetzungen auf die Auswirkungen der Betriebsanlage ab, die von der errichteten und betriebenen Anlage ausgehend auf die Umgebung, insbesondere die Nachbarn samt ihrem Eigentum und ihren dinglichen Rechten voraussichtlich einwirken. Nur durch den Betrieb der Betriebsanlage kann es somit zu einer im Sinn des § 77 Abs. 1 i. V.m. § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 relevanten Gefährdung einer Dienstbarkeit kommen.
Hingegen bildet die Frage der Vereinbarkeit der Errichtung des Projektes mit auf der Liegenschaft haftenden (dinglichen oder obligatorischen) privaten Rechten keinen Gegenstand des gewerberechtlichen Genehmigungsverfahrens. Ob die Errichtung der Betriebsanlage unter den Gesichtspunkten der bestehenden privatrechtlichen Rechtsverhältnisse zulässig ist, ist vielmehr eine ausschließlich in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fallende Frage des privaten Rechts.
Die mitbeteiligte Partei hat nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten gegen die beantragte Genehmigung im Verwaltungsverfahren vorgebracht, die Ausübung des ihr eingeräumten Nutzungsrechtes betreffend einen Teil der Betriebsliegenschaft werde ihr vollkommen unmöglich gemacht, weil durch den beantragten Ausbau des bestehenden Betriebsgebäudes ein Großteil der vom Nutzungsrecht erfassten Fläche vollständig verbaut würde und nur mehr von der beschwerdeführenden Partei für betriebliche Zwecke genutzt werden könne.
Mit diesem Vorbringen wird zwar ein der Verwirklichung der Betriebserweiterung nach Meinung der mitbeteiligten Partei entgegenstehendes privatrechtliches Hindernis aufgezeigt, im Lichte der oben dargestellten Rechtslage wird jedoch die - gegebenenfalls einer gewerbebehördlichen Genehmigung entgegenstehende - Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts im Sinn des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 damit nicht geltend gemacht. Es liegt daher in diesem Vorbringen keine im gewerbebehördlichen Genehmigungsverfahren zulässige Einwendung, auf die bei der Entscheidung über den Genehmigungsantrag Bedacht zu nehmen wäre.
Nun bestimmt zwar § 357 GewO 1994, dass der Verhandlungsleiter, wenn von Nachbarn privatrechtliche Einwendungen gegen die Anlage vorgebracht werden, auf eine Einigung hinzuwirken und eine etwa herbeigeführte Einigung in der Niederschrift über die Verhandlung zu beurkunden, im Übrigen aber den Nachbarn mit solchen Vorbringen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen hat. Weder das Unterlassen der Verweisung solcher Einwendungen auf den Zivilrechtsweg, noch die Zurückweisung erhobener privatrechtlicher Einwendungen bedeuten jedoch eine Rechtsverletzung, weil dadurch die Möglichkeit des Einwendenden, seine zivilrechtlichen Ansprüche im Rechtsweg geltend zu machen, nicht beeinträchtigt wird (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), S. 616f, dargestellte Judikatur).
Indem die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid die Auffassung zu Grunde legte, es müsse über die von der mitbeteiligten Partei erhobene Einwendung betreffend Gefährdung ihres Nutzungsrechtes - in einem fortzusetzenden Verfahren - meritorisch entschieden werden, hat sie den angefochtenen Bescheid bereits aus den dargelegten Gründen mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 14. September 2005
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