Normen
B-VG Art130 Abs2;
JGG §1 Z2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;
StGB §202 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2 lite;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
JGG §1 Z2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;
StGB §202 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs2 lite;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG)" ab.
Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 15. Jänner 1984 in Bakirköy/Türkei geboren worden. Seit 28. Mai 1991 halte er sich ununterbrochen mit Hauptwohnsitz in Österreich auf. Er habe hier die Pflichtschule besucht, anschließend vom 1. August 2001 bis 23. April 2003 eine Lehre als Elektroinstallationstechniker absolviert und sei seit 17. November 2003 als Neuanlagenmonteurhelfer beschäftigt.
Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. Jänner 1999 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB unter Vorbehalt des Ausspruches der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren verurteilt worden. Dem habe zugrunde gelegen, dass er am 7. April 1998 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit vier weiteren Jugendlichen ein junges Mädchen zu Boden gedrückt, sie festgehalten, am Oberkörper entkleidet und an den Brüsten betastet habe. Weiters sei der Beschwerdeführer "wieder im Alter von 15 Jahren" mit Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 4. Oktober 1999 wegen der Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer (bedingten) Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 30 ATS verurteilt worden, weil er andere Personen einerseits durch einen Schlag mit einer Gürtelschnalle gegen den Kopf und andererseits durch Faustschläge gegen Kopf und Körper verletzt habe. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch sei der Beschwerdeführer überdies wegen einer Übertretung vom 31. Mai 2003 nach § 99 Abs. 2 lit. e StVO iVm § 31 Abs. 1 StVO mit einer Geldstrafe von EUR 300,-- bestraft worden, weil er an diesem Tag im Gemeindegebiet Götzis bei einem Verkehrsunfall das Hinweiszeichen "Autobahnauffahrt" beschädigt habe, ohne dies anschließend ohne unnötigen Aufschub unter Bekanntgabe seiner Identität zu melden.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, der Beschwerdeführer erfülle die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht. Auch wenn die erste Verurteilung des Beschwerdeführers unter Vorbehalt des Ausspruches der zu verhängenden Strafe erfolgt sei, habe er den Tatbestand der geschlechtlichen Nötigung objektiv und subjektiv erfüllt und es sei lediglich aufgrund seines jugendlichen Alters von 15 Jahren zu keiner höheren Verurteilung gekommen. Das Gericht habe eine "nicht unerhebliche Verurteilung" ausgesprochen, obwohl das Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 StGB die erste gerichtlich strafbare Handlung des Beschwerdeführers gewesen und er nach dem Jugendstrafrecht behandelt worden sei. Dass schon geringe Meinungsverschiedenheiten den Beschwerdeführer veranlassen, mit körperlicher Gewalt gegen Kontrahenten vorzugehen, sei "bei" der Verurteilung wegen des Vergehens des Raufhandels und der Körperverletzung festgestellt worden. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass aufgrund dieser beiden Vorsatztaten innerhalb eines Jahres von einer geringen Hemmschwelle des Verleihungswerbers ausgegangen werden müsse. Zudem habe die spezialpräventive Wirkung der ersten Verurteilung beim Beschwerdeführer offensichtlich nicht gefruchtet. Auch die festgestellte Verwaltungsübertretung, nämlich die Missachtung der Bestimmungen über das Verhalten nach einem Verkehrsunfall, stelle einen schweren Verstoß gegen die Rechtsordnung und eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit dar. Durch das Verhalten des Beschwerdeführers sei dem Schutzzweck der übertretenen Rechtsvorschrift (rasche Klarstellung, mit wem sich der Geschädigte hinsichtlich der Schadensregelung auseinander zu setzen habe) in nicht unerheblichem Ausmaß zuwidergehandelt worden. Auf Grund dieser schwerwiegenden Eingriffe könne zum jetzigen Zeitpunkt daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Verleihungswerber Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu sein.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Soweit die Beschwerde geltend macht, die belangte Behörde habe "übersehen", eine Ermessensentscheidung nach § 11 StbG zu treffen, verkennt sie, dass die belangte Behörde bereits die zwingende Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG verneint hat, deren Beurteilung einer Ermessensübung im Sinne des § 11 StbG vorgelagert ist und nicht im (freien) Ermessen der Behörde liegt (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, Zl. 2004/01/0285 mwN). Die von der Beschwerde geforderte Interessensabwägung zugunsten des Beschwerdeführers (unter Berücksichtigung seiner Integration) käme daher nur dann in Betracht, wenn die bindend vorgeschriebene Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - erfüllt wäre. Freilich ist an dieser Stelle festzuhalten, dass selbst die belangte Behörde - wie von ihr in der Gegenschrift zugestanden wird - davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer in Österreich "völlig integriert" sei und sich - mit Ausnahme der ihm vorgeworfenen Delikte - "seither wohlverhalten" habe.
Entscheidend ist daher die Frage, ob der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG entgegensteht. Die von der belangten Behörde dazu angestellten Überlegungen halten einer nachprüfenden Kontrolle jedoch nicht stand.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG kann die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interesse gefährdet.
Bei der Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auch von ihm begangene Straftaten Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschrift missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck (vgl. dazu etwa aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0662, mwN). Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit - aber auch Delikte wie das der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 12. Jänner 1999 zu Grunde liegende - fallen in diesem Zusammenhang schon ihrer Art nach besonders ins Gewicht. Im Allgemeinen ist nach derartigen Straftaten ein ausreichend langer Zeitraum des Wohlverhaltens erforderlich, um eine positive Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gerechtfertigt erscheinen zu lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 2003, Zl. 2001/01/0375, mwN; zuletzt das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, Zl. 2004/01/0171).
Ausgehend davon hat die belangte Behörde zwar grundsätzlich zu Recht das strafgerichtlich geahndete Fehlverhalten des Beschwerdeführers in Prüfung gezogen, dabei aber - worauf die Beschwerde zutreffend verweist - dem Umstand nicht ausreichend Bedeutung beigemessen, dass dem Beschwerdeführer ausschließlich zeitlich lange zurückliegende Jugendstraftaten zur Last liegen.
Vorweg ist klar zu stellen, dass es bei der Beurteilung dieser Delikte und der danach vergangenen Zeitspanne des Wohlverhaltens auf die Tatzeitpunkte ankommt, nicht jedoch darauf, wann diese strafbaren Handlungen zu einer Verurteilung geführt haben. Demnach hat der Beschwerdeführer das ihm zur Last gelegte Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 StGB nicht erst - wie sogar die Beschwerde irrig annimmt - mit 15 Jahren, sondern etwa drei Monate nach Vollendung des 14. Lebensjahres, sohin knapp nach Erreichen der Strafmündigkeit begangen (vgl. zur Außerachtlassung von strafrechtlichen Delikten Strafunmündiger das hg. Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0601). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die belangte Behörde lag die Straftat daher schon mehr als sechs Jahre zurück.
Hinsichtlich der weiteren Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Bezirksgericht Feldkirch ist - nach der Aktenlage unbestritten - von einem Tatzeitpunkt am 24. Jänner 1999 auszugehen, sodass der Beschwerdeführer kurz zuvor das 15. Lebensjahr vollendet hatte und bis zur Bescheiderlassung ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren vergangen war. Die Feststellungen der belangten Behörde in diesem Zusammenhang sind außerdem insofern aktenwidrig, als der Beschwerdeführer der Aktenlage zufolge mit diesem Urteil des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (in zwei Fällen) für schuldig erkannt wurde, hinsichtlich des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 1 StGB jedoch keine Verurteilung erfolgte.
Es zeigt sich, dass der Beschwerdeführer kurze Zeit nach Erreichen der Strafmündigkeit innerhalb einer Zeitspanne von etwa 10 Monaten zweimal straffällig geworden ist, danach jedoch keine weiteren Straftaten mehr begangen hat, und zwar insbesondere auch nicht nach Eintritt der Volljährigkeit.
Der Gesetzgeber geht - wie die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Jugendgerichtsgesetzes 1988 erkennen lassen -
davon aus, dass die Beschleunigung jeder Form von Entwicklung im Jugendalter die Notwendigkeit begründet, besondere (diesem Umstand Rechnung tragende) Vorschriften für die Jugendstrafrechtspflege zu schaffen (486 BlgNR 17. GP 19). In jüngerer Zeit hat er (im Bericht des Justizausschusses zur Novelle des Jugendgerichtsgesetzes mit BGBl. I Nr. 19/2001) zum Ausdruck gebracht, dass Jugendkriminalität - wie allgemein anerkannt sei - überwiegend kein Anzeichen für den Beginn "krimineller Karrieren" darstelle, sondern vielmehr Ausdruck vorübergehender Probleme bei der Anpassung an die Erwachsenenwelt sei, die in aller Regel bald überwunden werden können (404 BlgNR 21. GP 1).
Auch für die im Zusammenhang mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Frage einer positiven Zukunftsprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG lassen sich daher aus derartigen Delikten nur bedingt Rückschlüsse auf den Charakter einer Person ziehen. Im gegenständlichen Fall ließ die belangte Behörde außer Acht, dass sich die Lebensumstände des Beschwerdeführers seit den von ihm begangenen Jugendstraftaten schon durch die danach absolvierte Lehre und die Aufnahme einer geregelten beruflichen Beschäftigung wesentlich verändert haben. Unberücksichtigt blieb auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde feststellte - auf Grund der Weisung des Gerichtes im Rahmen mehrerer Gruppensitzungen die von ihm begangene Straftat der geschlechtlichen Nötigung aufarbeiten musste und - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte - offenbar auch erfolgreich aufgearbeitet hat. Diese Tatsachen sprechen neben dem langen Zeitraum seines diesbezüglichen Wohlverhaltens gegen die Annahme der Behörde, der Beschwerdeführer stelle eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Letzteres gilt auch im Zusammenhang mit den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Körperverletzungsdelikten. Dass schon - wie die belangte Behörde argumentiert - geringe Meinungsverschiedenheiten den Beschwerdeführer veranlassen, mit körperlicher Gewalt gegen Kontrahenten vorzugehen, wird von ihr - mangels ausreichender Darstellung der seiner Gewalttätigkeit vorangehenden Ereignisse - schon in Bezug auf den seinerzeitigen Vorfall nicht schlüssig begründet. Ungeachtet dessen lässt sich diese Annahme im Hinblick auf die bereits mehr als fünf Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkte und das anschließende Wohlverhalten des Beschwerdeführers für den (maßgeblichen) Zeitpunkt der Bescheiderlassung ohnedies nicht aufrecht erhalten.
Somit bieten die Jugendstraftaten des Beschwerdeführers keine ausreichende Grundlage dafür, dass Vorliegen eines Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG anzunehmen.
Es verbleibt daher lediglich die etwas mehr als ein Jahr vor der Bescheiderlassung begangene Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. e StVO, die - ungeachtet der von der belangten Behörde angestellten Überlegungen - jedenfalls kein solches Gewicht aufweist, dass sie eine negative Zukunftsprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG rechtfertigen würde.
Mit ihrer Annahme eines Verleihungshindernisses nach dieser Gesetzesstelle hat die belangte Behörde daher die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes in gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 8. März 2005
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