VwGH 2003/01/0381

VwGH2003/01/038130.8.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A A in S, vertreten durch Dr. Herbert Gradl, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. Jänner 2003, Zl. UVS- 02/13/2316/2002/8, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Entscheidung einer Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 SPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs2;
B-VG Art144 Abs3;
SPG 1991 §89 Abs2;
SPG 1991 §89 Abs4;
VwGG §27;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwRallg;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art144 Abs3;
SPG 1991 §89 Abs2;
SPG 1991 §89 Abs4;
VwGG §27;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde "über den am 14.1.2003 persönlich eingebrachten Antrag des Herrn A. A. auf Entscheidung seiner am 11.3.2002 eingebrachten Richtlinienbeschwerde vom 6. bzw. 7. März 2002" wie folgt entschieden:

"Gemäß § 89 Abs. 4 und 5 SPG iVm § 67c Abs. 3 AVG wird der Antrag als verspätet zurückgewiesen".

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, die am 13. März 2002 eingelangte Richtlinienbeschwerde sei mit Schreiben vom 18. März 2002 an die Bundespolizeidirektion Wien - weil zunächst angenommen worden sei, die Beschwerde richte sich gegen diese - und danach mit Schreiben vom 30. April 2002 an das Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich - als die tatsächlich "belangte Behörde" - weitergeleitet worden; dort sei die Richtlinienbeschwerde am 10. Mai 2002 eingelangt. Für den Fristlauf nach § 89 Abs. 4 SPG sei das Datum der Einbringung der Beschwerde, sohin der 11. März 2002, maßgebend. Eine "Entscheidung" der Dienstaufsichtsbehörde (d.h. des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich) im Sinne des § 89 Abs. 2 SPG sei nicht ergangen. Der Beschwerdeführer hätte daher binnen 14 Tagen nach Ablauf der Dreimonatsfrist, also bis 25. Juni 2002, den Entscheidungsantrag gemäß § 89 Abs. 4 SPG einbringen müssen. Da dies aber nicht geschehen sei, sei sein Antrag verspätet und spruchgemäß zurückzuweisen.

Über die - mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2003, B 451/03-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetretene - Beschwerde, die vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 22. August 2003 ergänzt wurde und zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die hier maßgebliche Bestimmung des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) lautet:

"Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten

§ 89. (1) Insoweit mit einer Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat die Verletzung einer gemäß § 31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat der unabhängige Verwaltungssenat sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.

(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim unabhängigen Verwaltungssenat (Abs. 1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, dass ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.

(3) Wenn dies dem Interesse des Beschwerdeführers dient, einen Vorfall zur Sprache zu bringen, kann die Dienstaufsichtsbehörde eine auf die Behauptung einer Richtlinienverletzung beschränkte Beschwerde zum Anlass nehmen, eine außerhalb der Dienstaufsicht erfolgende Aussprache des Beschwerdeführers mit dem von der Beschwerde betroffenen Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ermöglichen. Von einer Mitteilung (Abs. 2) kann insoweit Abstand genommen werden, als der Beschwerdeführer schriftlich oder niederschriftlich erklärt, klaglos gestellt worden zu sein.

(4) Jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, dass die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Der unabhängige Verwaltungssenat hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist.

(5) In Verfahren gemäß Abs. 4 vor dem unabhängigen Verwaltungssenat sind die §§ 67c bis 67g und 79a AVG sowie § 88 Abs. 5 dieses Bundesgesetzes anzuwenden. Der unabhängige Verwaltungssenat entscheidet durch eines seiner Mitglieder."

Im gegenständlichen Fall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer seine "Richtlinienbeschwerde" gemäß § 89 SPG am 11. März 2002 erhoben hat, dass von der (mit dieser Beschwerde befassten zuständigen) Dienstaufsichtsbehörde eine Mitteilung im Sinne des Abs. 2 leg. cit. nicht ergangen ist, und dass der Beschwerdeführer nicht erklärte, klaglos gestellt worden zu sein.

Das Recht des Beschwerdeführers, eine Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu verlangen, ist nach § 89 Abs. 4 SPG daher mit Ablauf des 11. Juni 2002 entstanden, weil eine Mitteilung im Sinne des § 89 Abs. 2 leg. cit. binnen drei Monaten, berechnet ab Postaufgabe der Richtlinienbeschwerde am 11. März 2002 an den unabhängigen Verwaltungssenat, nicht ergangen ist (vgl. zur Berechnung der Frist das hg. Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0213).

Der belangten Behörde kann zwar darin gefolgt werden, dass ein vor Ablauf der Frist von drei Monaten (verfrüht) gestelltes Verlangen auf Entscheidung als unzulässig zurückzuweisen wäre (vgl. hiezu das zitierte Erkenntnis vom 24. November 1999), die nach Ablauf der Frist von drei Monaten angenommene Befristung von 14 Tagen für die Einbringung eines Verlangens auf Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates ist aus § 89 Abs. 4 SPG allerdings nicht abzuleiten.

Zunächst ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer (einer eingebrachten Aufsichtsbeschwerde) auf die in § 89 Abs. 2 SPG umschriebene Mitteilung der Dienstaufsichtsbehörde einen (nach dieser Gesetzesstelle eingeräumten) Rechtsanspruch hat. Bei Säumnis der Behörde besteht ein Erledigungsanspruch, der vom Beschwerdeführer mit Antrag an den unabhängigen Verwaltungssenat geltend zu machen ist.

Die von der belangten Behörde angenommene Befristung der Erhebung des Verlangens auf Entscheidung würde dazu führen, dass - abweichend von anderen Säumnisbehelfen wie § 73 Abs. 2 AVG (Devolutionsantrag) oder § 27 VwGG (Säumnisbeschwerde) - ein dem Schutz vor Säumnis dienender, nach dem Eintritt der Säumnis im allgemeinen unbefristet zulässiger Rechtsbehelf nur befristet erhoben werden dürfte, sodass der Beschwerdeführer im Falle der Säumnis der Behörde und "Versäumung" der 14-tägigen Frist seinen Erledigungsanspruch verlöre. Ein solcher Inhalt des § 89 Abs. 4 SPG ist auch aus der bei der Regelung dieses Rechtsbehelfes gegen die Säumnis der Dienstaufsichtsbehörde gebrauchten Wendung "dasselbe gilt" nicht abzuleiten; vielmehr ist diese Anknüpfung an den (im vorhergehenden Satz geregelten) Fall der Erledigung des dienstaufsichtsbehördlichen Verfahrens durch Mitteilung im Sinne des § 89 Abs. 2 leg.cit. auf das damit eingeräumte Recht der Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates, nicht aber auf die darin genannte Frist (von 14 Tagen) zu beziehen; der gegenteiligen Auffassung in Pürstl/Zirnsack, Sicherheitspolizeigesetz (Wien 2005, Seite 343, Anm. 28) ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu folgen. Die noch in der zweiten Auflage von Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz (Wien 2001, Seite 708, Anm. B 13) vertretene gegenteilige Auffassung wird in der dritten Auflage (aaO, Wien 2005, Seite 927, Anm. A 13) nicht weiter aufrecht erhalten.

Würde man sich streng am Wortlaut orientieren, so müsste im Übrigen in Kauf genommen werden, dass die (vermeintliche) Frist zunächst abläuft, sodass der unabhängige Verwaltungssenat nicht mehr angerufen werden kann, es jedoch in der Hand der Dienstaufsichtsbehörde läge, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die im Gesetz (an sich unbefristet) vorgeschriebene Mitteilung nachzuholen und damit die Frist für eine Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates erneut in Gang zu setzen. Dies kann dem Gesetzgeber ebenso wenig als gewollt unterstellt werden wie etwa eine dahin gehende Auslegung, dass die Mitteilung - die u. a. eine Bekanntgabe des von der Dienstaufsichtsbehörde als erwiesen angenommenen Sachverhaltes zu enthalten hat - nach Ablauf von drei Monaten nicht mehr erfolgen dürfe.

Davon abgesehen wäre eine Maximalfrist von drei Monaten und 14 Tagen, gerechnet ab der eigenen Eingabe für den Fall, dass die Mitteilung der Dienstaufsichtsbehörde ausbleibt, im System der im österreichischen Verwaltungsverfahren normierten zeitlichen Vorgaben für Parteihandlungen auch für sich genommen ein Fremdkörper, dessen Einführung der Gesetzgeber, hätte er Derartiges gewollt, entsprechend unzweideutig formuliert und in den Erläuterungen nicht unerwähnt gelassen hätte.

Ein - mangels Vorliegen einer Mitteilung gemäß § 89 Abs. 2 SPG - mehr als drei Monate und 14 Tage nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat gestelltes Verlangen auf Entscheidung ist aus diesen Gründen nicht "verspätet" und hätte daher (vom unabhängigen Verwaltungssenat) meritorisch behandelt werden müssen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es in diesen Bestimmungen keine Deckung findet; im Falle der Abtretung einer Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG gebührt nur einmal Schriftsatzaufwand.

Wien, am 30. August 2005

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