VwGH 2004/17/0219

VwGH2004/17/021921.12.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über den Antrag des KP in Graz, vertreten durch Dr. Arnold Gerscha, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 21. April 2004, Zl. A8-K-51/2004-1, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde, des angeschlossenen angefochtenen Bescheides sowie der vorgelegten eidesstättigen Erklärungen des Beschwerdevertreters und der FS (im Folgenden: S) gilt nachstehender Sachverhalt als bescheinigt:

Mit dem oben erwähnten Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 21. April 2004, GZ A8-K-51/2004-1, wurde die Berufung des Wiedereinsetzungswerbers gegen den Bescheid vom 5. Februar 2004, A10/1 P-15/17350-2002, betreffend die Vorschreibung einer pauschalen Parkgebühr als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid vom 21. April 2004 wurde an der Abgabestelle des Wiedereinsetzungswerbers am 27. April 2004 hinterlegt; der Wiedereinsetzungswerber hat diesen Bescheid am 28. April 2004 behoben.

Anfang Mai 2004 beauftragte der Wiedereinsetzungswerber den Beschwerdevertreter mit der Erhebung einer Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof gegen den oben erwähnten Bescheid vom 21. April 2004. Da sich nicht mehr feststellen ließ, ob im Zusammenhang mit der Zustellung des oben erwähnten Bescheides die Abholfrist am 27. April 2004 oder am 28. April 2004 zu laufen begonnen hat, ging der Beschwerdevertreter vorsichtshalber davon aus, dass diese Frist am 27. April 2004 zu laufen begonnen hat; er hat dementsprechend die Sechswochenfrist für die Erhebung der Beschwerde bis zum 8. Juni 2004 kalendiert und in weiterer Folge diese Beschwerde verfasst.

Am letzten Tag der Frist, dem 8. Juni 2004, übergab der Beschwerdevertreter mittags die fertige und unterschriebene Beschwerde samt dem unterschriebenen Einzahlungsbeleg für die Gebühr in Höhe von EUR 180,-- an seine Sekretärin, Frau S, mit dem nachdrücklichen Auftrag, zunächst die Einzahlung der EUR 180,-- bei der Bank durchzuführen und sodann den Schriftsatz noch am selben Tag samt einer Kopie des Einzahlungsbeleges abzufertigen. In diesem Zusammenhang machte der Beschwerdevertreter Frau S darauf aufmerksam, dass die Postabfertigung unbedingt noch am selben Tag erfolgen müsse, weil es sich um den letzten Tag der Frist handle. Unmittelbar nach Erteilung dieses Auftrages verließ der Beschwerdevertreter die Kanzlei, weil er über das verlängerte Wochenende in den Urlaub fuhr.

Die Sekretärin des Beschwerdevertreters, Frau S, zahlte jedoch weisungswidrigerweise weder den Betrag von EUR 180,-- ein noch sorgte sie für die Postabfertigung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 21. April 2004 am 8. Juni 2004, sondern ließ den Schriftsatz infolge Arbeitsüberlastung liegen. Frau S hatte am 8. Juni 2004 nämlich auch noch die Abfertigung einer Impugnationsklage vorzubereiten. Dieser war ein umfangreiches Beilagenkonvolut anzuschließen, das sie vorher noch zu kopieren hatte. Zudem hatte sie ein vom Beschwerdevertreter verfasstes Buch zur Korrektur zu lesen. Der Fehler wurde erst am Montag, dem 14. Juni 2004, dem ersten Arbeitstag des Beschwerdevertreters nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub, bemerkt, als dieser sich bei seiner Sekretärin, Frau S, vergewisserte, ob sie auch tatsächlich auftragsgemäß die Postabfertigung der Beschwerde durchgeführt habe.

Bei Frau S handelt es sich um eine verlässliche Anwaltssekretärin, der die Bedeutung von Fristen bewusst ist. Frau S wurde anlässlich ihres Eintritts in die Kanzlei auf die Bedeutung von Fristen in einer Rechtsanwaltskanzlei hingewiesen. Seit dem Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei kam es zu keiner Fristversäumnis, die auf ein Fehlverhalten von Frau S zurückzuführen gewesen wäre.

Mit am 23. Juni 2004 zur Post gegebenen und am 24. Juni 2004 eingelangten (getrennten) Schriftsätzen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 21. April 2004 an den Verfassungsgerichtshof und beantragte im Hinblick auf den oben dargestellten Sachverhalt, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung dieser Beschwerde zu bewilligen.

Ohne über den Wiedereinsetzungsantrag abzusprechen, lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Oktober 2004, B 811/04-8, die Behandlung der in Rede stehenden Beschwerde ab.

Über diesbezüglichen Antrag des Beschwerdeführers trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluss vom 24. November 2004, B 811/04-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2003, Zl. 2003/17/0313, Folgendes ausgesprochen:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat bei einer vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen, so genannten sukzessiven Beschwerde auch über einen im (Verfassungsgerichtshofbeschwerde-)Schriftsatz gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof unter Verzicht auf die Prüfung der Rechtzeitigkeit erfolgt, dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes im Grunde des Art. 144 Abs. 2 B-VG somit kein Abspruch über die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der Beschwerdefrist zu entnehmen ist und der Verfassungsgerichtshof auch keine Entscheidung über den (an ihn gerichteten) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist getroffen hat (vgl. den hg. Beschluss vom 19. September 1997, Zl. 96/19/0679, unter Bezugnahme auf den hg. Beschluss vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0207)."

In diesem Beschluss ging der Verwaltungsgerichtshof weiters davon aus, dass ein solcher Wiedereinsetzungsantrag an § 46 VwGG zu messen ist.

Die in dem zitierten Beschluss getroffenen Aussagen gelten auch für den Fall, dass - wie hier - die Verfassungsgerichtshofbeschwerde und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit abgesonderten, jedoch am selben Tag eingebrachten getrennten Schriftsätzen erhoben wurden.

§ 46 VwGG lautet:

"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ist auch dann zu bewilligen, wenn die Beschwerdefrist versäumt wurde, weil der anzufechtende Bescheid fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat.

(3) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses, in den Fällen des Abs. 2 spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu stellen, der das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Über den Antrag ist in nicht öffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung statt."

Auf Grund des als bescheinigt angenommenen Sachverhaltes liegt ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG vor, welches dem Beschwerdeführer nicht als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden zurechenbar ist. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Verschulden des Rechtsvertreters dem Wiedereinsetzungswerber zuzurechnen. Dies gilt jedoch nicht für ein Versehen eines sonst verlässlichen Kanzleiangestellten bei der Abfertigung von Schriftstücken nach ihrer Unterfertigung und Kontrolle durch den Rechtsanwalt, also bei der Kuvertierung, dem Beschriften des Kuverts und der Postaufgabe, sofern nicht ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutritt (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1990, Zl. 90/08/0047). Der Parteienvertreter, der den maßgeblichen Schriftsatz zur Abfertigung vorbereitet und der Kanzleileiterin hiezu übergeben hat, verletzt seine anwaltliche Sorgfaltspflicht auch nicht etwa dadurch, dass er die sonst verlässliche, langjährige Kanzleikraft bei der Abfertigung nicht persönlich überwacht. Auch kann es nicht als eine - unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierender Betriebsführung - zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen werden, dass sich der Anwalt nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleileiterin in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung, etwa durch nochmalige Vorlage des Handaktes, überzeugt. Das Streichen des Terminvormerkes durch den Beschwerdevertreter vor der (eigentlichen) Postabfertigung, aber nach Übergabe an die Sekretärin zu diesem Zweck stellt kein Verschulden dar. Dies widerspräche nämlich einerseits der in der ständigen Rechtsprechung vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Beschwerdevertreter ohne weitere Kontrolle auf das tatsächliche Erfolgen der Postaufgabe vertrauen darf, andererseits würde die Streichung des Terminvormerkes erst nach der durchgeführten Postaufgabe in der Regel erst am nächsten Tag möglich sein; dadurch würde aber - bei Erledigung fristgebundener Schriftsätze am letzten Tag der Frist, das heißt in einer Vielzahl der Fälle - eine zeitgerechte (d.h. die rechtzeitig erfolgte Erledigung durch den Rechtsanwalt anzeigende) Streichung des Fristvormerks nicht mehr möglich sein, diesem Vorgang seine eigentliche Funktion genommen und so eine ungleich größere Gefahrenquelle eröffnet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 28. November 1995, Zl. 95/08/0308).

Da die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 46 Abs. 1 VwGG vorliegen und die Frist des § 46 Abs. 3 VwGG zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt wurde, war spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am 21. Dezember 2004

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