VwGH 2004/11/0178

VwGH2004/11/017816.12.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des K in Wien, vertreten durch Mag. Peter Miklautz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Juli 2004, Zlen. UVS-FSG/6/5683/2003/20, UVS-FSG/V/6/5995/2003, UVS-FSG/V/6/5996/2003, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §7 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z10;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs3 Z9;
FSG 1997 §7 Abs3;
StGB §88;
VwRallg;
FSG 1997 §7 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z10;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs3 Z9;
FSG 1997 §7 Abs3;
StGB §88;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Urteil vom 16. April 2004 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 6. April 2003 in Wien einen Dritten dadurch, dass er in Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung gegen den ihn nach der Begehung einer Körperverletzung neuerlich attackierenden Dritten mit einem näher bezeichneten Revolver Kaliber 38 einen Schuss gegen dessen Oberkörper abgegeben habe, wodurch der Genannte einen Durchschuss des Rumpfes mit einem Einschuss im Bereich knapp unterhalb des rechten Rippenbogens, eine Schussbeschädigung der Leber, einen Zwerchfelldurchschuss sowie einen Durchschuss der rechten Brusthöhle mit Ausschuss knapp unterhalb der Schulterblattspitze, somit eine an sich schwere Körperverletzung, verbunden mit einer Gesundheitsschädigung mit mehr als 24tägiger Dauer, erlitten habe, diesen Dritten fahrlässig schwer am Körper verletzt. Der Beschwerdeführer habe hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB begangen und werde hiefür nach § 88 Abs. 4 erster Strafsatz StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 9. Juli 2004 entzog der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Zeit von vier Monaten "gerechnet ab Zustellung des Bescheides", wobei die Haftzeiten des Beschwerdeführers in die Entziehungszeit nicht einzurechnen seien. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer für dieselbe Zeitdauer das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen verboten. Begründend führte der UVS nach Wiedergabe der Verurteilung des Beschwerdeführers aus, es sei offensichtlich, dass derartig schwere Körperverletzungen als besonders verwerflich und gefährlich zu werten seien, es sei auf eine Sinnesart des Beschwerdeführers zu schließen, die der vom Lenker eines Kraftfahrzeuges zu erwartenden Sinnesart gerade zuwiderlaufe. Faktum sei, dass zwei andere Vorfälle (eine Alkotestverweigerung und eine exzessive Geschwindigkeitsüberschreitung in Oberösterreich) "aus formellen Gründen" nicht zur Entziehung der Lenkberechtigung heranzuziehen seien. Die Häufung der bedenklichen und gewagten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers als Kraftfahrer innerhalb von knapp vier Monaten sei - wenngleich keine bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 FSG - "schon ein Indiz mangelnder Verkehrsanpassung", wie z.B. die Alkotestverweigerung trotz Alkoholisierungsgrades zur Tatzeit, aber noch unterhalb der für die Lenkberechtigungsentziehung relevanten 0,4 mg/l oder der Beweisnotstand bei der Geschwindigkeitsmessung infolge unzureichender technischer Ausstattung der Straßenaufsichtsorgane vor Ort samt Schulungslücken, welche zum formellen Beweisnotstand beim Grunddelikt und somit letztlich zur Verfahreneinstellung geführt hätten. Die viermonatige Frist zur Prüfung des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers sei grundsätzlich als erforderlich anzusehen, weil erst nach Ablauf einer Bewährungsfrist aus einem bis dahin gezeigten Wohlverhalten auf eine entsprechende Änderung der Sinnesart geschlossen werden könne. Analog dazu sei hinsichtlich des verfügten Lenkverbotes gemäß § 32 FSG "im Gleichklang" zu entscheiden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Im Beschwerdefall ist das FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 129/2002 maßgeblich.

Die einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

9. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit

gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat;

10. eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß

den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat;

11. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 102 (erpresserische Entführung), 131 (räuberischer Diebstahl), 142 und 143 (Raub und schwerer Raub) StGB begangen hat;

12. eine strafbare Handlung gemäß §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, BGBl. I Nr. 112/1997, begangen hat;

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26 und 29 entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

..."

2.1. Unabdingbare Voraussetzung für die Verneinung der Verkehrszuverlässigkeit eines Inhabers einer Lenkberechtigung ist, wie der Wortlaut des § 7 Abs. 1 FSG unmissverständlich zum Ausdruck bringt, das Vorliegen zumindest einer erwiesenen bestimmten Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 FSG. Fehlt es an einer solchen bestimmten Tatsache, so darf die Verkehrszuverlässigkeit auch dann nicht verneint werden, wenn der Betreffende im Übrigen eine größere Zahl gerichtlich strafbarer Handlungen und/oder Verwaltungsübertretungen begangen hat. Für eine Verneinung der Verkehrszuverlässigkeit im Wege einer "gesamthaften Zusammenschau" des Fehlverhaltens ist im FSG, sofern keine der strafbaren (wiederholten) Handlungen eine bestimmte Tatsache bildet, kein Raum (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. September 2004, Zl. 2004/11/0134).

2.2. Die belangte Behörde erblickt das Vorliegen einer bestimmten Tatsache, wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, nicht in der Begehung eines Alkoholdeliktes oder einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Beschwerdeführer, sondern in der Begehung derjenigen strafbaren Handlung, derentwegen der Beschwerdeführer mit Urteil vom 16. April 2004 der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig erkannt wurde.

§ 7 Abs. 3 Z. 10 FSG fasst als bestimmte Tatsachen näher genannte strafbare Handlungen gegen Leib und Leben nach ausdrücklich angeführten Bestimmungen des StGB zusammen (zur Zuordnung dieser Gewaltdelikte zum Tatbestand der Gefährdung der Verkehrssicherheit im Straßenverkehr nach § 7 Abs. 1 Z. 1 FSG vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 25. November 2003, Zl. 2003/11/0240, mwN.). § 88 StGB, der fahrlässige Körperverletzungen betrifft, wird in der Aufzählung des § 7 Abs. 3 Z. 10 FSG nicht erwähnt. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, enthält § 7 Abs. 3 FSG zwar nur eine demonstrative Aufzählung, die Systematik der strafbare Handlungen gegen Leib und Leben betreffenden Z. 10, die - ebenso wie die Z. 9 und 11 des § 7 Abs. 3 FSG - nur Vorsatzdelikte umfasst, schließt aber die interpretatorische Annahme aus, auch eine fahrlässige Körperverletzung könne unter Vornahme eines wertenden Vergleichs mit den in § 7 Abs. 3 Z. 10 FSG angeführten Straftaten als bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 1 Z. 1 FSG qualifiziert werden.

Auf der Grundlage der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen fehlt es demnach bereits an einer bestimmten Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 FSG. Der Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers sowie der Verhängung eines Lenkverbotes ist folglich die Grundlage entzogen. Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 16. Dezember 2004

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