VwGH 2004/08/0063

VwGH2004/08/00634.8.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. Beate Köll-Kirchmeyr, Rechtsanwalt in 6130 Schwaz, Kohlgasse 2a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. Februar 2004, Zl. Vd-SV-1001-2- 53/12/Br, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §114;
ASVG §59;
ASVG §60;
ASVG §67 Abs10;
StGB §5;
ASVG §114;
ASVG §59;
ASVG §60;
ASVG §67 Abs10;
StGB §5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 13. August 2003, Zl. 2002/08/0088, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 7. Jänner 2002 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, da die vorgeschriebenen Zinsen und Verwaltungskosten von der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nicht umfasst sind und die im Spruch vorgenommene Reduktion der Haftung um eine noch ausstehende Konkursquote dem Gebot der deutlichen Fassung des Spruches gemäß § 59 Abs. 1 AVG nicht gerecht wurde.

Nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens hat die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid dem Einspruch des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben und den Haftungsbetrag auf EUR 3.236,37 herabgesetzt. Begründend führte die belangte Behörde nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens und von Judikatur im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe den Tatbestand des § 114 ASVG in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Er habe die gesamten Barmittel zur Bezahlung der Löhne verwendet und sich dadurch bewusst unfähig gemacht, Beiträge an die Sozialversicherung abzuführen. Der Beschwerdeführer habe bestritten, dass ihn ein Verschulden treffe, da er im Vertrauen auf den positiven Ausgang seiner Verhandlungen mit dem Unternehmen E. die Dienstnehmeranteile weder gänzlich noch auf ungewisse Zeiten habe schuldig bleiben wollen. Ein "redliches Bemühen", die Übernahmsverhandlungen mit dem Unternehmen E. zu einem positiven Abschluss zu bringen, sei dem Beschwerdeführer zwar nicht abzusprechen, doch berge die Auszahlung von Nettolöhnen ohne Abfuhr der Dienstnehmeranteile an den Sozialversicherungsträger angesichts der offenen, wenn auch zeitweise aussichtsreich erscheinenden Übernahmsverhandlungen ständig das unternehmerische Risiko, dass im Falle des Scheiterns der Verhandlungen der Versicherungsträger auch um die bis dahin nicht abgeführten Dienstnehmeranteile geschädigt würde bzw. dass ihm diese auf unbestimmte Zeit vorenthalten blieben. Da zur Haftungsbegründung bereits ein minderer Grad des Verschuldens ausreiche, könne im Vertrauen des Beschwerdeführers auf den positiven Verhandlungsabschluss keine schuldbefreiende Wirkung und damit auch kein Haftungsausschluss gesehen werden. Die Auszahlung von Nettolöhnen schiebe ja nicht nur die Zahlung der bereits früher fälligen Beiträge in weitere Ferne, sie bewirke zusätzlich fällig werdende, ebenfalls bei Fälligkeit nicht zahlbare Beitragsschulden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg.Nr. 15.528/A, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner früheren ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Gemäß § 114 Abs. 1 ASVG ist ein Dienstgeber strafbar, der Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung einbehalten oder von ihm übernommen und dem berechtigten Versicherungsträger vorenthalten hat. Trifft die Pflicht zur Einzahlung der Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung eine juristische Person, eine Personengesellschaft des Handelsrechts oder eine Erwerbsgesellschaft, so ist diese Bestimmung gemäß § 114 Abs. 2 erster Satz ASVG auf alle natürlichen Personen anzuwenden, die dem zur Vertretung befugten Organ angehören.

Der Beschwerdeführer bestreitet die Höhe des Haftungsbetrages nicht. Er legt aber im Wesentlichen dar, im Zeitpunkt des Vorenthaltens der Sozialversicherungsbeiträge habe für ihn die durchaus begründete und sehr konkrete Aussicht bestanden, durch Zusammenschluss der J. S. GmbH & Co KG mit dem Unternehmen E. in naher Zukunft wieder zu finanziellen Mitteln zu gelangen, mit denen sämtliche Beitragsschulden hätten umgehend getilgt werden können. Wider Erwarten sei es jedoch weder zur geplanten Übernahme noch zu einer Zusammenarbeit mit anderen potenziellen Beteiligungspartnern gekommen. Dass ein Wille des Beschwerdeführers, die Beitragsschulden abzudecken, jedenfalls vorgelegen sei, manifestiere sich in den ständigen Berichten an die mitbeteiligte Partei über den Stand der Übernahmsverhandlungen und somit über die damals konkret bevorstehende Fähigkeit und natürlich auch Absicht zur Bezahlung aller Sozialversicherungsabgaben. Mit der Übernahme sei in naher Zukunft zu rechnen gewesen, weshalb der Beschwerdeführer nicht nur in unbestimmter Zeit mit Eingängen von finanziellen Mitteln habe rechnen können. Jedenfalls sei er willens gewesen, die sozialversicherungsrechtlichen Abgaben termingerecht abzuführen. Ob die erhofften finanziellen Mittel rechtzeitig vor Fälligkeit der Sozialversicherungsabgaben oder aber ein paar Wochen später eingehen würden, sei außerhalb des Einflussbereichs des Beschwerdeführers gelegen, und dieser habe weder im Zeitpunkt der Ausbezahlung der Nettolöhne noch zu einem späteren Zeitpunkt wissen können, ob finanzielle Mittel bis zum Zahlungstermin einlangen würden oder nicht. Es treffe zu, dass der Beschwerdeführer die gesamten noch vorhandenen Gelder zur Auszahlung der Nettolöhne verwendet habe. Dabei habe ihm aber das vorwerfbare Bewusstsein gefehlt, auch in Zukunft keine Mittel zur Bezahlung der Beiträge mehr zu erlangen. Zu diesem Zeitpunkt habe sehr wohl die begründete Aussicht auf Zahlungseingänge bestanden, mit denen der Beschwerdeführer zwar erst nach Ausbezahlung der Nettolöhne, jedoch noch vor Fälligkeit der sozialversicherungsrechtlichen Beiträge diese hätte begleichen können. Die Auszahlung der Nettolöhne an die Dienstnehmer zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes sei nur im Hinblick auf eine baldige Konsolidierung der finanziellen Lage durch den unternehmerischen Zusammenschluss vorgenommen worden, weshalb diese Vorgangsweise nicht als fahrlässig angesehen werden könne. Dem Beschwerdeführer könne daher gar kein Verschulden, nicht einmal ein solches minderen Grades, bei der Auszahlung der Nettolöhne vorgeworfen werden. Zu keiner Zeit seien bei ihm das Bewusstsein und der Wille vorhanden gewesen, die geschuldeten Zahlungen für immer oder für einen unbestimmten Zeitraum zu unterlassen. Er habe als Geschäftsführer selbstverständlich gewusst, dass er die Beiträge pünktlich abzuführen habe. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes müsse der Dienstgeber, der Nettolöhne auszahle und mit berechtigtem Grund Eingänge erwarte, diese im Falle ihres tatsächlichen Einlangens zur Zahlung der Beitragsverbindlichkeiten verwenden, um straffrei zu bleiben. Genau dies sei die Absicht des Beschwerdeführers gewesen, da er zu diesem Zeitpunkt die durchaus berechtigte und begründete Aussicht auf Zahlungseingänge durch den beabsichtigten Zusammenschluss mit dem Unternehmen E. gehabt habe. Dass es letzten Endes nicht zu diesem Zusammenschluss gekommen sei, liege außerhalb der Einflusssphäre des Beschwerdeführers und könne ihm daher nicht vorgeworfen werden.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, Löhne ausbezahlt zu haben, während die gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden Beitragsschulden unberichtigt geblieben sind. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass ihm dies nicht bewusst gewesen wäre. Durch diese Vorgangsweise hat der Beschwerdeführer jedenfalls den Tatbestand des § 114 Abs. 1 iVm Abs. 2 ASVG erfüllt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. März 1994, Zl. 91/08/0133, und vom 12. April 1994, Zl. 93/08/0258).

Die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung wegen eines Verstoßes gegen § 114 ASVG setzt voraus, dass er Beiträge eines Dienstnehmers zur Sozialversicherung einbehalten und dem berechtigten Versicherungsträger vorenthalten hat. In subjektiver Hinsicht muss ihm in Ansehung dieser Tatbestandselemente Vorsatz zur Last liegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2001, Zl. 99/08/0142).

Vorsatz des Beschwerdeführers wäre nur dann auszuschließen, wenn er bereits im Zeitpunkt der Lohnauszahlung mit Sicherheit mit dem Eingang der zur Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge erforderlichen Mittel innerhalb der Zahlungsfrist des § 59 ASVG hätte rechnen dürfen (vgl. in diesem Sinne auch das Urteil des OGH vom 15. Juni 1981, 8 Ob 3/81).

Wie der Beschwerdeführer selbst ausführt, habe er weder im Zeitpunkt der Ausbezahlung der Nettolöhne noch zu einem späteren Zeitpunkt wissen können, ob finanzielle Mittel bis zum Zahlungstermin einlangen würden oder nicht. Damit räumt er aber ein, dass er keinesfalls mit Sicherheit damit hat rechnen können, während der Zahlungsfrist die zur Bezahlung erforderlichen Mittel zu erlangen. Er hat vielmehr bewusst in Kauf genommen, dass die Zahlungen nicht fristgerecht geleistet werden können.

Auch aus dem Urteil des OGH vom 25. Mai 1977, 8 Ob 46/77, auf das sich der Beschwerdeführer beruft, ist für ihn nichts zu gewinnen. Der OGH hat dort zunächst ausdrücklich festgestellt, dass § 114 ASVG den Sozialversicherungsträgern Schutz vor Versuchen der Unternehmer gewähren soll, bei finanziellen Schwierigkeiten die Sozialversicherungsbeiträge auf ungewisse Zeiten schuldig zu bleiben. Sodann ergibt sich aus diesem Urteil, dass das Vergehen nach § 114 ASVG nicht anzulasten ist, wenn der Beschuldigte im Zeitpunkt des Einbehaltens von Dienstnehmeranteilen mit Grund Eingänge erwarten darf, die ihn in Stand setzen, die einbehaltenen Beiträge an den Sozialversicherungsträger rechtzeitig abzuführen. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt, da die geplante Übernahme der Gesellschaft nicht mit ausreichender Sicherheit feststand.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 4. August 2004

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