VwGH 2004/01/0068

VwGH2004/01/006830.11.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der A in M, geboren 1982, vertreten durch Schatz & Partner Rechtsanwälte OEG, 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Oktober 2003, Zl. 232.797/0- XII/36/02, betreffend §§ 7 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei. Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2. (Feststellung nach § 8 AsylG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im Übrigen (Spruchpunkt 1.; Entscheidung nach § 7 AsylG) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine mazedonische Staatsangehörige, reiste gemäß ihren Behauptungen am 23. Jänner 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte - nachdem ein auf ihren Vater bezogener Asylerstreckungsantrag im Hinblick auf ihre Volljährigkeit zurückgewiesen worden war - die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie der Minderheit der "Mininci" angehöre. Sie selbst habe kaum in Mazedonien gelebt, wisse jedoch von ihren Eltern, dass Angehörige dieser (romaähnlichen) Minderheit diskriminiert, beschimpft und geschlagen würden; insbesondere habe sie von ihren Eltern erfahren, dass der Bruder ihres Vaters 1982 oder 1983 von Polizisten misshandelt und getötet worden sei. Durch den Konflikt "mit den Albanern" habe sich die Situation für Minderheitenangehörige nochmals verschärft. Sie (die Beschwerdeführerin) sei eine alleinstehende Frau mit einem kleinen Baby - die Beschwerdeführerin hatte am 28. Mai 2002 eine Tochter zur Welt gebracht - und beherrsche die mazedonische Sprache nur mündlich. Bei einer Rückkehr nach Mazedonien befürchte sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den "Mininci" Probleme und Diskriminierungen, jedenfalls hätte sie deswegen auch keine Existenzgrundlage (Wohnung, Arbeit, medizinische Versorgung).

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 15. Oktober 2003 wies die belangte Behörde - nach Durchführung einer Berufungsverhandlung - den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.) und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Mazedonien zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Diesem Bescheid legte die belangte Behörde zugrunde, dass die 1982 in Veles geborene Beschwerdeführerin dort bis 1988 und später von 1995 bis 1997 wohnhaft gewesen sei. Von 1988 bis 1995 habe sie sich in Deutschland und ab 1997 bis zu ihrer Einreise nach Österreich in Tschechien sowie in Polen (jeweils als Asylwerberin, die Asylanträge seien abgewiesen worden) aufgehalten. Sie gehöre einer Minderheit mit der Bezeichnung "Mininci" an, habe während ihrer Aufenthalte in Mazedonien jedoch keine Probleme mit staatlichen Behörden oder dritten Personen gehabt. "Im Zweifel" werde davon ausgegangen, dass der Onkel der Beschwerdeführerin 1982/83 von Polizeikräften misshandelt worden und dabei ums Leben gekommen sei; Näheres könne diesbezüglich nicht festgestellt werden. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der "Mininci" Übergriffen (Beschimpfungen, Bedrohungen oder dergleichen) ausgesetzt gewesen sei.

Wie sich aus einer UNHCR-Mitteilung vom 11. Juli 2003 - so die belangte Behörde weiter - ergebe, sei in Mazedonien keine ethnische Minderheit namens "Mininci" registriert. Einige ältere Bewohner der Stadt Veles verwendeten diese Bezeichnung für aus dem nahen Dorf Minino stammenden Personen. Es könne weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, dass einige von diesen Personen eine dunklere Hautfarbe als die übrige mazedonische Bevölkerung hätten. Die sogenannten "Mininci" lebten nicht in eigenen Siedlungen, viele dieser Personen seien bereits seit Generationen durch gemischte Ehen assimiliert; sie würden Mazedonisch sprechen und keine von der Mehrheitsbevölkerung unterscheidbaren Namen tragen. Es könne nicht festgestellt werden, dass Angehörige dieser Minderheit Verfolgung oder Diskriminierung ausgesetzt seien.

Zur "menschenrechtlichen und politischen Situation in Mazedonien" stellte die belangte Behörde im Wesentlichen fest, dass ausgewiesene oder abgeschobene mazedonische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Mazedonien nicht wegen der Ausweisung oder Abschiebung strafrechtlich verfolgt würden. Rückkehrern stünden die "lokalen Zentren für Sozialfragen" als Ansprechpartner zur Verfügung, im Fall von Mittellosigkeit bestünde ein Anspruch auf Sozialhilfe. Sollte keine andere Unterbringung möglich sein, so würden Rückkehrer vorübergehend in Gemeinschaftsunterkünften, Auffanglagern oder Flüchtlingszentren untergebracht. Der Konflikt zwischen der ethnisch-mazedonischen Bevölkerungsmehrheit und ethnisch-albanischen Gruppen habe durch das am 13. August 2001 abgeschlossene Rahmenabkommen von Ohrid beigelegt werden können. Die Bevölkerung von Mazedonien sei ethnisch stark gemischt, die Minderheiten seien keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt, beim Gebrauch von Minderheitensprachen und beim Zugang zu öffentlichen Ämtern oder privaten Arbeitsstellen könne es jedoch verschiedentlich zu faktischer Benachteiligung kommen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass sich keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung der "Mininci" ergeben hätten, wobei anzumerken sei, dass auch die Beschwerdeführerin selbst nach ihren eigenen Angaben - während ihrer Aufenthalte in Mazedonien - keine Verfolgung erlitten habe. Soweit sie sich auf die Misshandlung ihres Onkels stütze, sei ihr zu entgegnen, dass dieser lange zurückliegende Vorfall im Hinblick darauf, dass sie mit ihrer Familie danach noch mehrere Jahre problemlos in Mazedonien gelebt habe, nicht mehr zur Dartuung einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung geeignet sei. Es komme daher weder die Gewährung von Asyl noch die Einräumung von Refoulement-Schutz - in diesem Zusammenhang sei ua. auf die Feststellungen zu verweisen, wonach in Mazedonien zumindest grundlegende Bedürfnisse an Ernährung und Krankenbehandlung sichergestellt seien und Gemeinschaftsunterkünfte für Rückkehrer bestünden - in Betracht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

1. Der Beschwerde gelingt es nicht, eine Fehlbeurteilung der belangten Behörde in der Asylfrage (Entscheidung nach § 7 AsylG) aufzuzeigen. Selbst wenn man im Sinn der zentralen These der Beschwerde davon ausgeht, dass sich Angehörige der "Mininci" in der selben Lage wie Roma befänden, ergibt sich nämlich - auch unter Bedachtnahme auf die in der Beschwerde erwähnten, die Situation der Roma beschreibenden Passagen in dem dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegten Berichtsmaterial - nicht, dass die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Misshandlungen oder Übergriffe, denen Asylrelevanz zukommt, zu befürchten habe. Daran vermag auch der Hinweis auf das Schicksal des Onkels der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, kann der belangten Behörde doch nicht entgegengetreten werden, wenn sie den Vorfall aus dem Jahr 1982 oder 1983 als nicht mehr aussagekräftig erachtete.

2. Was die Entscheidung nach § 8 AsylG anlangt, so ist dem bekämpften Bescheid allerdings nicht zu entnehmen, dass die spezifische Lage der Beschwerdeführerin ausreichend Berücksichtigung gefunden hätte. Primär ist in diesem Zusammenhang auf den schon im Asylantrag angesprochenen Umstand hinzuweisen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine "alleinstehende Frau mit einem kleinen Baby" handelt. Dies hätte es erfordert, auf die besondere Situation einer abgeschobenen Mutter mit Kleinkind ohne Familienanschluss einzugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2003/01/0125). Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin gemäß den behördlichen Feststellungen nach ihren ersten sechs Lebensjahren nur mehr zwei bis drei Jahre (von 1995 bis 1997) in Mazedonien verbracht hat, dort daher nicht verwurzelt ist, und zufolge ihren von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Behauptungen nur über eingeschränkte Kenntnisse der mazedonischen Sprache verfügt. All dem werden die zu allgemein gehaltenen behördlichen Feststellungen über die Situation für Rückkehrer in Mazedonien nicht gerecht, weshalb der bekämpfte Bescheid in seinem Spruchpunkt 2. mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist. Er war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, während die Beschwerde im Übrigen im Sinne der obigen Ausführungen zu Punkt 1. gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht zusteht.

Wien, am 30. November 2004

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