VwGH 2003/21/0216

VwGH2003/21/021626.2.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 21. Oktober 2003, Zl. FR 461/2001, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
EMRK Art8 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs3;
FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
EMRK Art8 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 und Abs. 2 Z. 1 sowie den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme schloss sie sich vorerst den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid "vollinhaltlich" an.

Die Behörde erster Instanz hatte ihren Bescheid vom 20. April 2001 im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer erstmals am 17. Oktober 1996 nach den §§ 12, 15 und 127 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei; das Gericht habe sich mit der Fällung eines Schuldspruches unter Vorbehalt der Strafe begnügt. Am 22. Dezember 1998 sei der Beschwerdeführer nach den §§ 83 und 84 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Am 30. August 2000 sei er nach den §§ 27 Abs. 1 und 28 Abs. 2 und Abs. 3 Suchtmittelgesetz - SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 30 Monaten, davon 20 Monate bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe in den Jahren 1999 und 2000 Suchtgift in einer großen Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde. Der Beschwerdeführer und andere Fremde hätten hauptsächlich mit Ecstasy-Tabletten, teilweise aber auch mit Kokain gehandelt. Durch den An- und Weiterverkauf dieser Suchtmittel habe der Beschwerdeführer ein nicht unerhebliches Einkommen erwirtschaften können.

Die belangte Behörde erachtete erkennbar die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme für gerechtfertigt und billigte der vom Gericht ausgesprochenen (teilweisen) Strafnachsicht für das fremdenpolizeiliche Verfahren keine Relevanz zu. Da der Beschwerdeführer erst im Alter von fünf Jahren nach Österreich eingereist sei, sei er nicht im Sinn des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG im Inland aufgewachsen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen (Verhinderung von strafbaren Handlungen und Schutz der Gesundheit) notwendig und demnach im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Durch die begangenen Straftaten habe die Integration des Beschwerdeführers in Österreich in der dafür wesentlichen sozialen Komponente eine ganz erhebliche Minderung erfahren. Demnach müsse - bei Beurteilung nach § 37 Abs. 2 FrG - der Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen größeres Gewicht beigemessen werden als den Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie.

Weiters sah sich die belangte Behörde außer Stande, das ihr eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben und meinte letztlich, dass der Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht vorhergesehen werden könne, weshalb das Aufenthaltsverbot unbefristet zu erlassen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte, vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0349).

Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen, teilweise aus dem erstinstanzlichen Bescheid übernommenen Feststellungen nicht entgegen. Es begegnet daher keinen Bedenken, dass die belangte Behörde den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (zweiter Fall) FrG für verwirklicht ansah und im Blick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erachtete.

Entgegen der Beschwerdeansicht steht § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Gemäß dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2000/21/0215) ist die Wendung "von klein auf" so zu deuten, dass sie für eine Person, die wie der Beschwerdeführer erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann.

Das Schwergewicht der Beschwerde liegt im Vorwurf, die belangte Behörde sei bei der Beurteilung nach § 37 FrG zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt. Dem legte die belangte Behörde zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Alter von fünf Jahren nach Österreich eingereist und "seither mit einigen Unterbrechungen in Österreich legal aufhältig" sei. Sie ging weiters davon aus, dass auch seine Eltern in Österreich lebten und er hier berufstätig sei, und trat dem Berufungsvorbringen über den Bestand einer inländischen Lebensgemeinschaft nicht entgegen. Trotz dieser eine inländische Integration begründenden Anhaltspunkte kann ihre Ansicht nicht als rechtswidrig erkannt werden, dass das Aufenthaltsverbot dringend geboten sei und die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die gegenläufigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers überwiegen würden. Der Beschwerdeführer wurde nach § 28 Abs. 2 und Abs. 3 SMG bestraft. Dieser Bestimmung nach ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen, wer gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande ein Suchtgift in einer großen Menge erzeugt, einführt, ausführt oder in Verkehr setzt. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. für viele etwa das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2000/21/0215) ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes selbst bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden zulässig, wenn Suchtgiftdelikte begangen wurden. Vorliegend verübte der Beschwerdeführer das festgestellte - gravierende - Suchtgiftdelikt über einen längeren Zeitraum. Darüber hinaus bewies er seine Bereitschaft zu Verstößen gegen die österreichische Rechtsordnung auch dadurch, dass er wegen versuchten Diebstahls und Körperverletzung verurteilt werden musste. In den Verwaltungsakten erliegen nicht nur die den Suchtgifthandel bestätigende niederschriftliche Aussage des Beschwerdeführers, sondern auch eine "Reifenstechereien" betreffende, wodurch auch unter Berücksichtigung der Delikte des versuchten Diebstahls und der Körperverletzung insgesamt der Eindruck entstehen muss, dass der Beschwerdeführer in vielfältiger Weise eine kriminelle Energie unter Beweis gestellt hat. Das öffentliche Interesse an der Unterbindung vor allem der Suchtgiftkriminalität weist einen derart hohen Stellenwert auf, dass dem gegenüber das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich zurückzutreten hat, zumal der Beschwerdeführer nicht mehr auf ein Zusammenleben mit seinen Eltern angewiesen ist und in Österreich weder eine Ehefrau noch Kinder hat. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich der Beschwerdeführer ab dem siebenten Lebensjahr keinesfalls ständig in Österreich aufgehalten, sondern nach dem Berufungsvorbringen bis zum Jahr 1991 (lediglich) die Ferienzeiten in Österreich verbracht hat und vorher im Alter von fünf Jahren nur fünf bis sechs Monate und im Alter von sechs Jahren nur zwei Monate im Inland aufhältig war. Aus diesem Grund wurde in Ermangelung eines zehnjährigen ununterbrochenen Inlandsaufenthalts bis zur Begehung der Suchtgiftdelikte eine Aufenthaltsverfestigung weder nach § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 3 noch nach § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG erreicht.

Soweit die Beschwerde der belangten Behörde Fehler des Ermittlungsverfahrens und Begründungsmängel vorwirft, legt sie nicht dar, zu welchen weiteren Feststellungen die Behörde auf Grund welcher Ermittlungsschritte hätte gelangen können. Es trifft auch nicht zu, dass der bekämpfte Bescheid nicht überprüfbar wäre, sind ihm im Zusammenhalt mit dem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid doch die behördlichen Feststellungen und die darauf aufbauende rechtliche Beurteilung zu entnehmen.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Februar 2004

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