Normen
BAO §93;
VwRallg;
ZollG 1988 §119 Abs1;
ZollG 1988 §183 Abs1;
BAO §93;
VwRallg;
ZollG 1988 §119 Abs1;
ZollG 1988 §183 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Haftungsbescheid vom 25. November 1997 forderte das Hauptzollamt Wien die Beschwerdeführerin auf, für gegen unbekannte Personen entstandene Abgabenansprüche als Haftende nach § 119 Abs. 3 Zollgesetz 1988 (ZollG 1988) Eingangsabgaben (einschließlich Säumniszuschlag) von insgesamt S 354.858,-- zu entrichten. Dies mit der Begründung, es sei festgestellt worden, dass die mit einem näher bezeichneten Versandschein angewiesenen Waren nicht gestellt worden seien (in dieser Abgabenangelegenheit erging das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2002, Zl. 2000/16/0337).
Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom 15. Februar 1997 den gänzlichen oder teilweisen Erlass der Ersatzforderung nach Lage der Sache gemäß § 183 ZollG 1988, weil sie mit Ausnahme des irrtümlichen Ausfüllens des "Einheitspapiers" überhaupt keine Beziehung zu der Ware gehabt habe.
Mit Bescheid vom 28. September 1998 wies das Hauptzollamt Wien den Antrag der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. In der Begründung heißt es, der Hauptverpflichtete habe nach § 119 Abs. 3 ZollG 1988 für die auf das Versandgut entfallenden Abgaben Ersatz zu leisten, wenn die Stellungspflicht verletzt worden sei. Es liege im Willen des Gesetzgebers, den Hauptverpflichteten bei einer Pflichtverletzung abgabenrechtlich zu treffen. Dies gelte auch dann, wenn der Versandschein irrtümlich erstellt worden sei und sonst keinerlei Beziehung zur Ware bestehe. Darüber hinaus könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführerin auf Grund anderer Geschäftsfälle und den damit in Verbindung stehenden Zollformalitäten die Verpflichtungen und auch die eventuell eintretenden abgabenrechtlichen Folgen bekannt gewesen seien, welche sich für den im Versandverfahren auftretenden Hauptverpflichteten ergeben könnten.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Zolldeklarant habe das Zollformular irrtümlich ausgefüllt. Das Unternehmen habe überhaupt keinen Bezug zu den 145 Textilkartons gehabt, die für ein anderes Unternehmen bestimmt gewesen seien. Der für die Beschwerdeführerin tätige Zolldeklarant arbeite weisungsfrei und selbständig. Er habe eine Vollmacht für seine Tätigkeit. Durch diese Vollmacht sei lediglich die ordnungsgemäße Tätigkeit gedeckt, keineswegs jedoch die Begründung von Verpflichtungen für zu verzollende Waren, die in keiner Beziehung zur Beschwerdeführerin stünden. Im Übrigen sei es dem anwesenden Zollbeamten bekannt gewesen, dass die 145 Kartons Textilien nicht für die Beschwerdeführerin bestimmt gewesen seien und der Zolldeklarant lediglich berechtigt gewesen sei, die Zollformalitäten für die Beschwerdeführerin abzuwickeln, nicht jedoch Haftungen für Zollschulden fremder Unternehmen zu begründen. In dieser Berufung wurde ausdrücklich die Einvernahme des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin, des Zolldeklaranten und des Zollbeamten als Zeugen beantragt.
In einem ergänzenden Schriftsatz vom 16. Februar 2000 stellte die Beschwerdeführerin die besonderen Umstände des Falles näher dar, die ihrer Ansicht nach einen Erlass der Zollschuld rechtfertigten. Beantragt wurde neuerlich die Zeugeneinvernahme des Geschäftsführers, des Zolldeklaranten und des Zollbeamten zu den im Erlassverfahren relevanten Umständen. Mit dem ergänzenden Schriftsatz wurde eine Niederschrift über die Einvernahme des Geschäftsführers und des Zolldeklaranten vorgelegt. Die Einvernahme dieser Personen war im Vorlageantrag betreffend Vorschreibung der Ersatzforderung zum Beweis dafür beantragt worden, dass der Zolldeklarant ausschließlich dazu bevollmächtigt gewesen sei, die von der Beschwerdeführerin bestellten und an sie gelieferten Waren zu stellen und die Zollformalitäten abzuwickeln.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 30. März 2000 wies das Hauptzollamt Wien die Berufung als unbegründet ab.
Dagegen richtet sich die Beschwerde an den Berufungssenat, in der die Angelegenheit als "absoluter Ausnahmefall" dargestellt wurde. Gerügt wurde überdies die Unterlassung der Manuduktionspflicht des Zollbeamten, die Durchführung eines rechtswidrigen Anmeldeverfahrens und die Nichtberücksichtigung der Haftung weiterer Personen. Der Antrag auf Zeugeneinvernahme und Gegenüberstellung wurde neuerlich gestellt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerde in Ermangelung von Billigkeitsgründen als unbegründet ab; dies mit der Begründung, die Haftung des Hauptverpflichteten für entgangene Abgaben sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine weit gehende Erfolgshaftung. Im Falle der Nichtstellung des Versandgutes sei bedeutungslos, wo dieses verblieben sei. Die Frage des Verschuldens sei für die Verpflichtung zur Ersatzleistung rechtlich unbedeutend. Die Tatsache, dass eine Abgabe festgesetzt werde, vermöge für sich allein keine Unbilligkeit zu begründen, weil Fragen der Rechtmäßigkeit einer Forderung ausschließlich in den Bereich des Festsetzungs- und Rechtsmittelverfahrens gehörten. Im Erlassverfahren sei für solche Rechtsfragen kein Raum mehr. Billigkeitsmaßnahmen könnten nicht zu dem Zweck in Anspruch genommen werden, um ein Verfahren zur Durchsetzung eines Rechtsanspruches wieder aufzurollen, wenn die zur Verfolgung dieses Rechtsanspruches zur Verfügung stehenden Mittel des Verfahrensrechtes nicht oder erfolglos angewendet worden seien.
Das Hauptzollamt Wien habe sich in der Begründung des abgewiesenen Antrages auf Zollerlass berechtigterweise auf die Berufungsentscheidung in der Haftungssache gestützt. Dass dabei ein entsprechendes Beweisverfahren nicht durchgeführt worden sei, sei ein nicht berechtigter Einwand. Der Umstand, dass es sich um einen Ausnahmefall gehandelt habe, in dem nur die Verkettung zahlreicher widriger Umstände zu einer Haftung der Beschwerdeführerin geführt hätten, sei "ohne Belang, weil die Einwendungen bereits im Haftungsverfahren nicht durchdringen" hätten können. Die Einvernahme der Zeugen zur wahrheitsgemäßen Feststellung des Sachverhaltes sei entbehrlich, weil von der Aufnahme gegebenenfalls beantragter Beweise dann abgesehen werden könne, wenn die unter Beweis zu stellenden Tatsachen als richtig anerkannt oder unerheblich seien, wenn Personen in teilweise wiederholender Weise "im Hinblick auf bestehende Niederschriften oder in Bescheiden als erwiesen vermerkte Sachverhalte" neuerlich vernommen werden sollten. "Im Hinblick auf die geltende Rechtslage" habe die beantragte Gegenüberstellung der Zeugen entfallen können, weil sich wegen des im Zollverfahren herrschenden Antragsprinzipes die Frage, warum der Zollbeamte nicht von Amts wegen die Verbringung der Textilien in ein Zolllager veranlasst habe, nicht stelle. Unbestritten habe die Verkettung der zahlreichen unglücklichen Umstände zur Haftung der Beschwerdeführerin geführt. Gerade im Hinblick auf die "Bestätigung" der im Hauptverfahren ergangenen Berufungsentscheidung der belangten Behörde durch den Verwaltungsgerichtshof sei dieser Fall aber kein Einzelfall, in dem Sinne, dass die Anwendung des Gesetzes zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht gewollten Ergebnis geführt habe. Ein Mitverschulden des Zollorgans am Entstehen der Ersatzhaftung sei nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Erlass des Zolls aus Billigkeitsgründen verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 122 Abs. 2 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) gilt für die Vorschreibung (buchmäßige Erfassung, Mitteilung, Verjährung, Fristen und Modalitäten für die Entrichtung) und Einhebung einer vor dem Beitritt entstandenen Zollschuld ab dem Beitritt das Zollrecht (§ 2), für Erlass-, Erstattungs-, Vergütungs- oder Nichterhebungsmaßnahmen nach den Bestimmungen des Zollgesetzes 1988 jedoch nur hinsichtlich der Fristen.
Im Beschwerdefall war demnach bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass der vor dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1993 entstandenen Ersatzforderung das ZollG 1988 anzuwenden.
Zollbeträge und Ersatzforderungen können gemäß § 183 Abs. 1 ZollG 1988 für einzelne Fälle auf Antrag des Zollschuldners ganz oder teilweise erlassen werden, wenn die Entrichtung nach Lage der Sache oder nach den persönlichen Verhältnissen des Zollschuldners unbillig wäre.
Die Ersatzpflicht nach § 119 Abs. 1 ZollG 1988 trifft den Hauptverpflichteten schon dann, wenn das Versandgut nicht dem Empfangszollamt gestellt wird. Daraus folgt, dass die Zollbehörde bei Nichtstellung des Versandgutes nicht etwa Ermittlungen über den Verbleib dieses Versandgutes zu pflegen hat. Die Frage, wo das Versandgut verblieben ist, ist völlig belanglos. Insofern begründet § 119 Abs. 1 ZollG 1988 eine weit gehende Erfolgshaftung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 1984, Zl. 84/16/0165).
Der Gesetzgeber hat die Haftung des Hauptverpflichteten bei nicht ordnungsgemäßer Stellung zwingend angeordnet, obwohl in bestimmt gelagerten Fällen der Eintritt von Härten in der Sache selbst bei Geltendmachung der Ersatzpflicht vorhersehbar war. Diese Härten sind vom Gesetz in Kauf genommen worden, daher kann die Gewährung eines Zollerlasses aus Billigkeitsgründen gemäß § 183 Abs. 1 ZollG 1988 wegen Härten in der Sache selbst grundsätzlich nicht in Betracht kommen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 22. November 1984).
Die Frage der Unbilligkeit von Zöllen und Ersatzforderungen ist keine Ermessensfrage. Die Beurteilung, ob in einem konkreten Fall die Unbilligkeit der Entrichtung des Zolls zu Recht verneint wurde, unterliegt der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1984, Zl. 81/16/0004).
Die Beschwerdeführerin stellte im Erlassverfahren Anträge auf Einvernahme des damaligen Geschäftsführers der Beschwerdeführerin, des Zolldeklaranten und des Zollbeamten sowie auf Gegenüberstellung des Zollbeamten mit dem Zolldeklaranten. Damit sollte unter Beweis gestellt werden, dass es sich um einen "absoluten Ausnahmefall" gehandelt habe und die Ersatzforderung "durch Verkettung zahlreicher unglücklicher Umstände" entstanden sei, die eine Erlassmaßnahme rechtfertigten.
Die belangte Behörde stellte zwar im angefochtenen Bescheid allgemein dar, aus welchen Gründen von der Einvernahme von Zeugen Abstand genommen werden könne, begründet aber nicht konkret, aus welchen Gründen von der Einvernahme der beantragten Zeugen im konkreten Erlassverfahren abgesehen werden konnte. Eine Einvernahme des Geschäftsführers und des Zolldeklaranten erfolgte zwar im Ersatzforderungsverfahren und zu dem Beweisthema des Umfangs der Vollmacht des Zolldeklaranten, nicht aber zu den im Erlassverfahren geltend gemachten Umständen. Damit ist der angefochtene Bescheid mit Verfahrensmängeln behaftet.
Der Entfall der Gegenüberstellung des Zolldeklaranten mit dem Zollbeamten wurde im angefochtenen Bescheid damit begründet, dass sich die Frage, warum der Zollbeamte nicht von Amts wegen die Verbringung der Textilien in ein Zolllager veranlasst habe, nicht stelle.
Dabei übersieht die belangte Behörde freilich, dass die Beschwerdeführerin mit dem Antrag auf Gegenüberstellung den Nachweis führen wollte, dass besondere - allenfalls auch der Zollbehörde zuzurechnende - berücksichtigungswürdige Umstände zur Beantragung des Versandverfahrens und dann zur Ersatzforderung geführt haben, die einen Erlass rechtfertigten. Ein solcher Beweisantrag kann daher, ohne das Ergebnis der Beweisaufnahme in unzulässiger Weise vorwegzunehmen, nicht von vornherein als unerheblich abgelehnt werden. Ob dabei Umstände zutage treten, die bei der Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine Unbilligkeit nach Lage des Falles vorliegt, tatsächlich ausschlaggebend sind, kann weder von vornherein ausgeschlossen noch bejaht werden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Widerspruch in der Begründung des angefochtenen Bescheides insofern besteht, als die belangte Behörde einerseits die Ansicht vertritt, ob es sich um einen Ausnahmefall gehandelt habe, in dem nur die Verkettung zahlreicher widriger Umstände zu einer Haftung der Beschwerdeführerin geführt hätten, sei ohne Belang, andererseits aber feststellt, es sei unbestritten, dass die Verkettung der zahlreichen unglücklichen Umstände zur Haftung der Beschwerdeführerin geführt hätten.
Soweit in der Beschwerde ferner die Ansicht vertreten wird, es liege eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch deswegen vor, weil keine Gesetzesbestimmung im Spruch des Bescheides angeführt sei, genügt es darauf hinzuweisen, dass die Unterlassung der Anführung von Gesetzesstellen im Spruch eines Abgabenbescheides keinen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, sofern mit Rücksicht auf die Eindeutigkeit des Gegenstandes keine Zweifel darüber bestehen, welche gesetzlichen Vorschriften angewendet wurden (Ritz, BAO-Kommentar2, Rz 9 zu § 93 BAO).
Überdies werde im Bescheid erster Instanz im Spruch der Antrag auf Zollerlass aus Billigkeitsgründen "gemäß § 183 Zollgesetz 1988" als unbegründet abgewiesen. Mit der Abweisung der Berufung durch den angefochtenen Bescheid wurde der Inhalt des Bescheides erster Instanz in den Spruch des angefochtenen Bescheides übernommen. Die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen Fehlens einer Gesetzesbestimmung im Spruch des angefochtenen Bescheides ist somit jedenfalls unbegründet.
Aus den oben dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid jedoch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am 25. März 2004
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