VwGH 2003/16/0080

VwGH2003/16/008030.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde des Dr. R in W, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in 1090 Wien, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom 6. März 2003, Zl. ABK-R 36/01, betreffend Haftung gemäß § 7 WAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Über das Vermögen der D. GmbH wurde am 5. April 1995 beim Handelsgericht Wien das Ausgleichsverfahren eröffnet. Am selben Tag wurde der Ausgleich dahin angenommen und in der Folge bestätigt, dass alle Gläubiger eine 55 %-ige Quote erhielten.

Mit Schreiben vom 5. März 1996 teilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4, dem Beschwerdeführer mit, dass er als Geschäftsführer der D. GmbH nach näher genannten Bestimmungen der Wiener Abgabenordnung (WAO) für Abgabenrückstände der D. GmbH samt Säumniszuschlägen hafte und räumte ihm die Möglichkeit zur Äußerung ein.

In einer Stellungnahme vom 29. März 1996 bestritt der Beschwerdeführer ein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgaben und trug zu seiner Entlastung die dann auch in der Berufung gebrauchten Argumente vor.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1996 verpflichtete der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4, den Beschwerdeführer zur Zahlung von rückständiger "Dienstgeberabgabe, Kommunalsteuer und Getränkesteuer der D. GmbH in der Höhe von S 7.972,-- für den Zeitraum Jänner 1994 bis Februar 1995". Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer habe weder die Bezahlung der Abgaben veranlasst noch irgendwelche Schritte zur Abdeckung des Rückstandes unternommen. Die Höhe des Rückstandes wurde mit insgesamt S 17.716,-- angegeben, davon S 1.411,-- an Dienstgeberabgabe für Februar 1995 samt S 28,-- an Säumniszuschlag; die Ausgleichsquote habe 55 % (S 9.744,--, wovon S 2.752,49 bezahlt worden seien) betragen, woraus sich ein Haftungsbetrag von insgesamt S 7.972,-- ergebe.

Festzuhalten ist, dass trotz der Erwähnung der Getränkesteuer im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nach dessen Begründung keine Rückstände an Getränkesteuer bestanden.

Gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im Hinblick auf seine Stellungnahme vom 29. März 1996 das Unterbleiben einer Ermittlungstätigkeit der Behörde sowie die Feststellung rügte, dass der Beschwerdeführer weder die Bezahlung veranlasst, noch irgendwelche Schritte zur Abdeckung des Rückstandes unternommen hätte. Der Beschwerdeführer führte weiter aus, dass die D. GmbH als Teil des K-Konzerns wie eine unselbstständige Betriebsabteilung geführt worden sei. Bei der Muttergesellschaft seien das gesamte Finanzwesen und der Zahlungsverkehr konzentriert gewesen. Für die Lohnverrechnung habe der K ein marktübliches Entgelt von den Konzerngesellschaften einbehalten. Der Beschwerdeführer sei niemals mit der Berechnung und der Abfuhr von Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen befasst gewesen. Er habe sich aber regelmäßig von der Ordnungsgemäßheit der Erledigung der von der Konzern-Personalverrechnung übernommenen Aufgaben vergewissert. Bis einschließlich Jänner 1995 sei unter anderem die Dienstgeberabgabe pünktlich und in voller Höhe beglichen worden. Da sich Nachforderungen der Abgabenbehörden in den üblichen Grenzen gehalten hätten, sei dem Beschwerdeführer auch kein Überwachungsverschulden vorzuwerfen. Der Beschwerdeführer sei in die ab Jänner 1995 intensiv einsetzenden Verhandlungen des K mit dem Bankenkonsortium in keiner Weise eingebunden gewesen und sei erst am 9. März 1995 vom Kreditstop und der dadurch bewirkten Zahlungsunfähigkeit der Unternehmensgruppe in Kenntnis gesetzt worden. Am 23. Jänner 1995 sei der in Liquiditätsschwierigkeiten befindlichen Unternehmensgruppe ein einmal ausnützbarer Konsortialkredit in der Höhe von zwei Milliarden Schilling eingeräumt worden, von dem neunhundert Millionen Schilling ausbezahlt worden seien. Mit Schreiben des K vom 20. Februar 1995 sei eine weitere Tranche des genannten Kredites angefordert worden, die jedoch nicht mehr ausbezahlt worden sei. Vielmehr hätten die Banken in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1995 völlig überraschend beschlossen, entgegen den vertraglichen Zusicherungen keine weiteren Mittel mehr aus dem Konsortialkredit auszuzahlen. Damit sei die gesamte Unternehmensgruppe, darunter auch die D. GmbH, zahlungsunfähig geworden. Ab dem 9. März 1995 sei den Unternehmen des K die freie Verfügungsmöglichkeit über die Unternehmenskonten genommen und die getätigten Zahlungen und der Zahlungszweck genauest kontrolliert worden. Die Bedienung bereits bestehender Verbindlichkeiten sei ausdrücklich untersagt worden, die zur Verfügung gestellten Finanzierungsmittel sollten ausschließlich dem Zukauf neuer Waren oder Dienstleistungen gewidmet werden. In einem Schreiben vom 13. März 1995 habe das Bankenkonsortium die Zahlung auf "Forderungen von Lieferanten für Warenlieferungen in der Zeit vom 9. März 1995 bis zur Ausgleichstagsatzung im beabsichtigten Ausgleichsverfahren, längstens jedoch bis zum 30. Juni 1995" garantiert. Aus zwingenden rechtlichen Gründen - heißt es im genannten Brief weiter - sei die Befriedigung von Altverbindlichkeiten außerhalb eines Ausgleichsverfahrens ausgeschlossen. In der Folge sei die Bezahlung "sämtlicher sonstigen Forderungen aus der Fortsetzung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes in der Zeit ab 9. März 1995 bis zur ersten Ausgleichstagsatzung" garantiert worden. Jedoch habe sich die das Konsortium anführende B Bank hinsichtlich der nach dem 9. März 1995 fällig gewordenen Beträge an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, insbesondere auch für alle am 15. März 1995 fällig gewordenen Abgaben, auf den Standpunkt gestellt, dass derartige Abgaben nicht unmittelbar der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes zwecks Verhinderung eines Konkurses dienten, weshalb solche Überweisungen nicht durchgeführt würden. Die hinsichtlich der Steuern und Abgaben für Februar 1995 bereits ausgefüllten Überweisungsbelege seien von der B Bank nicht bearbeitet worden. Die Behinderung durch die Banken habe sich vom 9. März bis zum 4. April 1995 (dem Tag vor der Ausgleichseröffnung) erstreckt. Der Beschwerdeführer habe daher nicht binnen "angemessener" Frist tätig werden können, um die ordnungsgemäße Ausübung seiner Funktion zu erreichen. Sämtliche Zahlungseingänge der D. GmbH seien über die ab dem 9. März 1995 von der B Bank kontrollierten Konten gelaufen. Nach dem 9. März 1995 seien weder vom K noch von den Tochtergesellschaften auf den Zeitraum vor dem 9. März 1995 entfallende Verbindlichkeiten beglichen worden. Die Zahlungsunfähigkeit sei jedenfalls spätestens am 9. März 1995 eingetreten. Hätte der Beschwerdeführer die Abgaben für Februar 1995 und die davor liegenden Zeiträume bezahlt, hätte er nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers gehandelt, weil durch die Bezahlung dieser Abgaben möglicherweise ein Konkurs der D. GmbH provoziert worden wäre.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 14. November 2000 wies die erstinstanzliche Behörde die Berufung als unbegründet ab, woraufhin der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage der Berufung an die belangte Behörde stellte.

Mit Schreiben vom 13. September 2002 wurde der Beschwerdeführer seitens der Stadt Wien aufgefordert, die in der Berufung als Beweismittel genannten Urkunden vorzulegen sowie folgende Fragen zu beantworten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 WAO haften die in den §§ 54 ff. bezeichneten Vertreter, zu denen auch Geschäftsführer einer GmbH gehören, neben den Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten, sei es abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten, bei den Abgabepflichtigen nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, insbesondere im Falle der Konkurseröffnung.

Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden (vgl. § 54 Abs. 1 WAO).

Stehen ausreichende Mittel zur Entrichtung der Abgabe nicht zur Verfügung, so kann dies eine für die Uneinbringlichkeit kausale schuldhafte Verletzung der Abfuhrpflicht ausschließen (vgl. das Erkenntnis vom 29. November 1997, Zl. 95/13/0111). Soweit eine Entrichtung trotz Erfüllung aller Vertreterpflichten angesichts der Vermögenslage des Vertretenen nicht hätte erfolgen können, kann eine Haftung nach § 9 BAO (vergleichbar mit dem hier anzuwendenden § 7 WAO) nicht eingreifen, da insoweit eine schuldhafte Verletzung von Pflichten nicht ursächlich ist (Stoll, BAO-Kommentar I, 131).

Der Beschwerdeführer behauptete im Verwaltungsverfahren, dass der K-Konzern und damit die D. GmbH ab 9. März 1995 zahlungsunfähig gewesen sei. Bis zur Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der D. GmbH am 5. April 1995 hätten die Banken keinerlei Überweisungen durchgeführt, es seien der D. GmbH also keine Mittel zur Zahlung zur Verfügung gestanden. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, dagegen Abhilfe zu schaffen.

Die belangte Behörde hat keine Feststellungen zu den Behauptungen des Beschwerdeführers, zum Begleichen der Abgabenschuld hätten die Mittel gefehlt, getroffen und dies im Wesentlichen mit dem Unterbleiben einer Mitwirkung des Beschwerdeführers an den Ermittlungen begründet. Allerdings entbindet auch eine qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters die Behörde nicht von jeglicher Ermittlungspflicht; eine solche Pflicht besteht etwa dann, wenn sich aus dem Akteninhalt deutliche Anhaltspunkte für das Fehlen der Mittel zur Abgabenentrichtung ergeben (vgl. die bei Ritz, BAO-Kommentar2, in Rz 22 zu § 9 BAO wiedergegebene Rechtsprechung).

Ohne Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Beurteilung seiner Haftung in die eine oder andere Richtung nicht möglich. Dazu bedarf es Ermittlungen und der Feststellung eines Sachverhaltes, der auch die in dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 1. Juni 1999, Zl. 96/08/0365, angestellten Erwägungen berücksichtigt. Anhand des Inhaltes des angefochtenen Bescheides kann die hier zu beantwortende Rechtsfrage nicht abschließend beurteilt werden.

Festzuhalten ist noch, dass der angefochtene Bescheid auch deshalb an einer Rechtswidrigkeit leidet, weil die einzelnen Abgaben, obwohl sie ein verschiedenes rechtliches Schicksal erleiden können, nicht getrennt ausgewiesen sind, weshalb über sie nicht gesondert abgesprochen werden kann.

Dadurch, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht auseinander gesetzt hat, hat sie Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 30. September 2004

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte