VwGH 2002/08/0188

VwGH2002/08/018820.10.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Mag. H in W, vertreten durch Mag. Andreas Netzer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 30. Jänner 2002, Zl. 220.166/1-7/02, betreffend Versicherungspflicht nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86), zu Recht erkannt:

Normen

GSVG 1978 §2 Abs1 Z4;
GSVG 1978 §7 Abs4;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4;
GSVG 1978 §7 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Formular "Versicherungserklärung für die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG" vom 16. August 2000 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er seit dem 1. Jänner 1998 als Richteramtsanwärter, vom 1. Oktober 1995 bis zum 28. Februar 1998 als Vertragsassistent und fallweise als Seminarvortragender und Gutachter erwerbstätig sei. Die zuletzt genannten Tätigkeiten übe er für mehrere Auftraggeber aus. Er sei aber "grundsätzlich der Überzeugung, daß ich meine selbständige Erwerbstätigkeit nicht auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit ausübe". Nach Darlegung seiner Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in den Jahren 1998 und 1999 führte der Beschwerdeführer Folgendes aus:

"Meine Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit für das Jahr 2000 werden sich etwa im Rahmen der Einkünfte des Jahres 1999 halten, weil der Verlag M. seit über einem Jahr auf uns als Vortragende verzichtet, und eine Tätigkeit als Gutachter meist aus standesrechtlichen Gründen unterbleibt.

Abschließend bin ich der Meinung, daß die von mir ausgeübten Tätigkeiten keine versicherungspflichtigen Tätigkeiten im Sinne des GSVG sind, weil das Erfordernis einer 'betrieblichen' Tätigkeit in keinem Fall erfüllt ist."

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2000 teilte die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt dem Beschwerdeführer mit, dass seine Einkünfte (im Jahr 1999) die im Gesetz festgelegte Versicherungsgrenze nicht überschreiten werden. Der Beschwerdeführer sei daher ab 1. Jänner 1999 von der Pflichtversicherung in der Pensions- und Krankenversicherung nach dem GSVG ausgenommen. Es werde darauf hingewiesen, dass über den Bestand der Pflichtversicherung endgültig erst entschieden werden könne, wenn der Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Jahr vorliege. Es könne daher auch nachträglich zur Feststellung einer Versicherungspflicht kommen.

Nachdem der Beschwerdeführer im Oktober 2000 eine Zahlungsaufforderung über S 13.677,41 erhalten hatte, beantragte er am 25. Oktober 2000 eine "Überprüfung im Verwaltungswege" bzw. die Erlassung eines Bescheides. Mit Schreiben vom 4. Februar 2001 teilte er ferner mit, dass er davon ausgehe, dass er im Jahr 2000 aus selbständiger Erwerbstätigkeit weniger als S 47.724,-- an Einkünften erzielen werde. Mit 21. November 2000 habe er seine Tätigkeit als Seminarvortragender beendet. Am 17. Mai 2001 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er im Jahr 2000 "voraussichtlich" ein steuerpflichtiges Einkommen von S 70.504,70 aus selbständiger Erwerbstätigkeit haben werde. Er sei nach wie vor der Ansicht, dass seine Tätigkeit nicht auch nur ansatzweise eine betriebliche Tätigkeit darstelle und daher auch keine Sozialversicherungspflicht bestehe.

Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt stellte mit Bescheid vom 25. Juni 2001 fest, dass der Beschwerdeführer "zumindest seit dem 01.01.2000 der Pflichtversicherung in der Pensions- und der Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG" unterliege. Solange ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid nicht vorliege, sei die Pflichtversicherung nur dann festzustellen, wenn der Versicherte erkläre, dass seine Einkünfte aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze - im Fall des Beschwerdeführers S 47.724,-- für das Jahr 2000 - übersteigen würden. Der Beschwerdeführer habe erklärt, dass dies voraussichtlich der Fall sein werde.

Über den Einspruch des Beschwerdeführers stellte der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 18. Oktober 2001 fest, dass der Beschwerdeführer "vom 1.1.2000 bis 31.12.2000 der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung und Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterlegen ist." Der Begriff "betriebliche Tätigkeit" sei kein eigenständig zu prüfendes Kriterium des § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG. Er schaffe lediglich eine Abgrenzung zur (unentgeltlichen) privaten Tätigkeit und diene der Klärung der zeitlichen Dimension der Tätigkeit als Anknüpfungspunkt für die Feststellung von Beginn und Ende der Pflichtversicherung.

Da der Beschwerdeführer für das Jahr 2001 nicht erklärt habe, dass seine Einkünfte aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze übersteigen würden, und auch noch kein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 vorliege, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Der Beschwerdeführer habe sich am 17. August 2000 "zur Pflichtversicherung nach dem GSVG angemeldet und gleichzeitig erklärt, dass er neben einer anderweitigen Tätigkeit bzw. neben dem Bezug bestimmter Leistungen der Sozialversicherung auch eine selbständige Tätigkeit ausübe und dabei die für das Entstehen der Pflichtversicherung relevante Versicherungsgrenze ... überschreiten werde." Der Beschwerdeführer habe "damit eine Versicherungserklärung abgegeben und so selbst die Kranken- und Pensionsversicherung nach § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG begründet."

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 11. Juni 2002, B 572/02, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG sind selbständig erwerbstätige, natürliche Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte im Sinne der §§ 22 Z. 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 des Einkommensteuergesetzes 1998 erzielen, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert, wenn auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits Pflichtversicherung nach dem GSVG oder einem anderen Bundesgesetz in dem (den) entsprechenden Versicherungszweig(en) eingetreten ist. Solange ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid oder ein sonstiger maßgeblicher Einkommensnachweis nicht vorliegt, ist die Pflichtversicherung nach der angegebenen Gesetzesbestimmung nur dann festzustellen, wenn der Versicherte erklärt, dass seine Einkünfte aus "sämtlichen der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze ... übersteigen werden". In allen anderen Fällen ist der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder eines sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweises im Nachhinein festzustellen.

Angesichts des Umstandes, dass man das Unter- oder Überschreiten der maßgeblichen Versicherungsgrenzen in der Regel erst im Nachhinein feststellen kann, besteht das System der Pflichtversicherung nach dem § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG darin, dass der Versicherte entweder "ex ante" eine Erklärung abgibt, dass die maßgebliche Versicherungsgrenze im Beitragsjahr überschritten werde (dies mit der Konsequenz des unwiderruflichen Eintretens der Versicherung mit Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit bzw. mit der Abgabe der späteren Erklärung bis zu deren Beendigung, dem Wegfall der berufsrechtlichen Berechtigung oder einem ausdrücklichen Widerruf der Versicherungserklärung - § 7 Abs. 4 GSVG), oder dass er - bei Fehlen einer solchen Erklärung - erst im Nachhinein und nach Maßgabe des jeweiligen steuerlichen Ergebnisses der Erwerbstätigkeit in die Pflichtversicherung einbezogen wird. Die Abgabe einer Versicherungserklärung im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 4 zweiter Satz GSVG bewirkt, dass das Versicherungsverhältnis auch dann für den Zeitraum der Ausübung der betreffenden selbständigen Erwerbstätigkeit bestehen bleibt, wenn sich nach Einlangen des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides herausstellt, dass die Versicherungsgrenze entgegen der abgegebenen Erklärung nicht erreicht wurde. Insoweit kommt der Versicherungserklärung die Rechtswirkung eines "opting in" zu.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er keine "freiwillige Versicherungsanmeldung" vorgenommen habe. Er habe lediglich ein Formular ausgefüllt, das ihm mit der Belehrung übersandt worden sei, er müsse dieses im Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungspflichten ausfüllen. Er habe in seinem Schreiben vom 17. (16.) August 2002 zum Ausdruck gebracht, dass die von ihm ausgeübten Tätigkeiten keine versicherungspflichtigen Tätigkeiten im Sinne des GSVG seien.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Der Beschwerdeführer hat nicht erklärt, dass seine Einkünfte "aus (den) der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten" die Versicherungsgrenze übersteigen werden, sondern er hat (bloß) ein wesentliches Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG, das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit, ausdrücklich bestritten. Damit durfte die belangte Behörde die Pflichtversicherung nicht ex ante feststellen. Dazu kommt, dass in der Mitteilung des Beschwerdeführers vom 17. (16.) August 2000, seine Einkünfte für das Jahr 2000 würden sich etwa im Rahmen (im Einzelnen noch unklarer) Einkünfte des Jahres 1999 halten, weil ein Verlag auf seine Vortragstätigkeit verzichtet habe und eine Gutachtertätigkeit aus standesrechtlichen Gründen meist unterbleibe, keine Erklärung erblickt werden kann, dass seine Einkünfte im Jahr 2000 die in Betracht kommende Versicherungsgrenze übersteigen würden. Die Erklärungen des Beschwerdeführers über "voraussichtliche" Einkünfte des Jahres 2000, die er im Jahr 2001 rückblickend abgegeben hat, sind für das in Rede stehende Recht auf Feststellung der Versicherungspflicht bedeutungslos.

Fehlt die Versicherungserklärung, dann kommt es nicht darauf an, aus welchem Grund der Versicherte nicht (ex ante) versichert sein will (vgl. zur Erklärung, nicht mehr versichert sein zu wollen, in Form eines Rechtsmittels gegen die Feststellung der Versicherungspflicht, das hg. Erkenntnis vom 5. November 2003, Zl. 2000/08/0085).

Die Feststellung der Pflichtversicherung vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2000 war somit wegen des Fehlens einer Versicherungserklärung i.S. des § 2 Abs. 1 Z. 4 2. Satz GSVG ohne Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2000 unabhängig davon rechtswidrig, ob das Argument des Beschwerdeführers zutrifft, er habe keine betriebliche Tätigkeit entfaltet (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2003, Zl. 2000/08/0068).

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 46 GSVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am 20. Oktober 2004

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