Normen
ASVG §67 Abs10;
ASVG §83;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §83;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat mit Bescheid vom 12. Juli 2000 den Beschwerdeführer als ehemaligen Geschäftsführer einer näher bezeichneten GmbH gemeinsam mit Pavel S. zur ungeteilten Hand verpflichtet, den Beitragsrückstand von S 165.032,68 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen. Die Zusammensetzung des Rückstandes sei dem angeschlossenen Rückstandsausweis vom 12. Juli 2000 zu entnehmen. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 13. Juli 2000 bis zur Einzahlung täglich Verzugszinsen zu entrichten. Dem verwiesenen Rückstandsausweis vom 12. Juli 2000 sind Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren für den Beitragszeitraum "9711 NV-BP" in Höhe von S 128.945,88, Verzugszinsen berechnet bis 12. Juli 2000 von S 34.357,90 und Kosten in Höhe von S 1.729,20 zu entnehmen. In der Bescheidbegründung führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer sei im Haftungszeitraum Geschäftsführer der bezeichneten GmbH gewesen. Er sei mit Schreiben vom 17. November 1999 aufgefordert worden, die Gründe darzulegen, welche ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden Verpflichtungen (Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge) zu erfüllen. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrmaliger Fristverlängerungen die "verlangte Liquiditätsaufstellung zur Beurteilung der Gleichbehandlung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht beigebracht". Es sei daher von seinem Verschulden auszugehen und die Haftung für die im Spruch genannten Beiträge samt Nebengebühren auszusprechen gewesen.
Der Beschwerdeführer hat Einspruch erhoben. Darin führte er aus, er sei seit 1995 nicht mehr Geschäftsführer der GmbH. Während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer habe er seine Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt. Es seien keine Beitragsrückstände aufgelaufen. Erst nach seinem Ausscheiden sei im Zuge einer Beitragsprüfung angenommen worden, dass noch Beiträge für den Zeitraum 1991 bis 1995 geschuldet würden. Es entziehe sich seiner Kenntnis, ob die entsprechenden Nachforderungen jemals rechtswirksam festgestellt worden seien. Eine weitere Voraussetzung für eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sei, dass die GmbH ihrer allfälligen Zahlungsverpflichtung nicht nachkomme. Es stehe bisher nicht fest, ob der allenfalls geschuldete Betrag bei der GmbH selbst einbringlich gemacht werden könne. Es könne nicht gesagt werden, dass die GmbH als Beitragsschuldnerin vermögenslos sei; es habe bisher keinerlei Insolvenzverfahren stattgefunden.
Die belangte Behörde hat diesem Einspruch mit Bescheid vom 21. November 2000 keine Folge gegeben. Dieser Bescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Gefolge des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, 98/08/0191, 0192 (Slg. Nr. 15528/A), mit Erkenntnis vom 16. Mai 2001, 2001/08/0001, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Mit dem (Ersatz-)Bescheid vom 11. Dezember 2001 hat die belangte Behörde dem Einspruch neuerlich keine Folge gegeben und den bekämpften Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vollinhaltlich bestätigt. In der Begründung wurde festgehalten, im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 sei zu prüfen, ob und in welcher ziffernmäßigen Höhe Beiträge auf Grund von Verstößen gegen § 111 und § 114 Abs. 2 ASVG nicht hereingebracht werden konnten. Aus dem Verwaltungsakt sei ersichtlich, dass die im erstinstanzlichen Haftungsbescheid ausgewiesene Beitragsschuld zur Gänze aus einer im November 1997 durchgeführten Beitragsprüfung betreffend den Zeitraum 1. Jänner 1991 bis 30. Juni 1995 stamme. Bei dieser Beitragsprüfung sei festgestellt worden - dies sei in der im Akt einliegenden Prüfungsliste vom 14. Jänner 1997 dokumentiert -, dass im Zeitraum "01/1991 bis 05/1995" Sonderzahlungsmeldungen seitens der GmbH für namentlich genannte Dienstnehmer(innen) nicht durchgeführt worden seien. Es sei daher zu einer Beitragsnachverrechnung in Höhe von S 222.453,60 gekommen. Von diesem Nachverrechnungsbetrag sei bereits bei der erstinstanzlichen Bescheiderstellung die Zahlungen des "IA-Fonds" berücksichtigt worden. Der Beschwerdeführer sei bis zum 2. Jänner 1996 Geschäftsführer der GmbH gewesen. Als solcher sei er verpflichtet gewesen, die Sozialversicherungsmeldungen durchzuführen. Rechtfertigungsgründe betreffend das Verschulden an der Nichtvornahme der Meldungen nach § 111 ASVG seien vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht worden. Sein Verschulden an den Meldeverstößen sei somit gegeben und im Beitragsprüfungsakt entsprechend dokumentiert.
Die Uneinbringlichkeit dieser Beiträge bei der GmbH sei als erwiesen anzunehmen. Die Erhebungen hätten ergeben, dass die GmbH an der von ihr angegebenen Adresse nicht mehr bestehe und keine neue Firmenanschrift habe ausgeforscht werden können. Ebenso sei der Aufenthalt des letzten Geschäftsführers unbekannt. Dieser Sachverhalt sei durch das beim Handelsgericht Wien eingeleitete Konkursverfahren dokumentiert. Die Uneinbringlichkeit sei damit ausreichend nachgewiesen. Dem Verwaltungsakt sei auch zu entnehmen, dass gegen den nachfolgenden Geschäftsführer ein Haftungsbescheid nach § 67 Abs. 10 ASVG erlassen und durch Anschlag an der Amtstafel der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zugestellt worden sei.
Im Ergebnis hafte der Beschwerdeführer für den Betrag von S 160.032,98 aus der Nachverrechnung der Beitragsprüfung November 1997 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen ab 13. Juli 2000, gerechnet von S 128.945,88.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat Teile des Verwaltungsaktes vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften (u.a.) die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, 98/08/0191, 0192, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG in Ermangelung weiterer, in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG i.V.m. § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher, sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Beitragsforderung kausal ist, zu einer Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG führen. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Die belangte Behörde geht davon aus, dass die dem Beschwerdeführer gegenüber geltend gemachten Beitragsforderungen bei der GmbH als Primärschuldnerin uneinbringlich geworden sind, weil diese über keinen Betriebssitz verfügt und auch der nunmehrige Geschäftsführer keinen Wohnsitz hat, an dem ein Schriftstück zugestellt werden könnte.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Annahme mit der Behauptung, Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen könne noch nicht angenommen werden, weil bisher kein Insolvenzverfahren stattgefunden habe. Der Konkursantrag sei mangels örtlicher Zuständigkeit zurückgewiesen worden. Auf Grund des Rückstandsausweises sei überhaupt keine Exekution versucht worden.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vorgebracht, dass der Geschäftsführer der GmbH unbekannten Aufenthaltes ist, und bezweifelt, ob der GmbH irgendetwas zugestellt werden kann. Dass die GmbH in Österreich noch einen Geschäftsbetrieb unterhielte oder sonst zugängliches Vermögen besitze, behauptet der Beschwerdeführer gar nicht. Damit hat aber die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse keine Möglichkeit, Einbringungsmaßnahmen überhaupt in Gang zu setzen. Bei dieser Sachlage ist die Annahme der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen gerechtfertigt.
Zentraler Kritikpunkt der Beschwerde ist, ob die dem Beschwerdeführer auferlegte Beitragsschuld verjährt ist und ob sie auf Meldepflichtverletzungen des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der GmbH im Sinne des § 111 ASVG zurückzuführen ist.
In diesem Zusammenhang ergibt sich aus dem Erfordernis der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung beim Primärschuldner, dass die Verjährungsfrist gegenüber dem haftungspflichtigen Vertreter nicht früher ablaufen kann, als die Haftung entstanden ist, d.h. als feststeht, dass die Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung eingetreten ist. Von Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung in dem in § 67 Abs. 10 ASVG gemeinten Sinne kann aber nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der Feststellbarkeit der Uneinbringlichkeit (frühestens also mit deren objektivem Eintritt) die Beitragsforderung gegenüber dem Primärschuldner nicht verjährt (und damit schon wegen Fristablaufs uneinbringlich geworden) ist.
Gemäß § 68 ASVG verjährt das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen "bei Beitragsschuldnern und Beitragsmithaftenden" binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Hat der Dienstgeber Angaben über Versicherte bzw. über deren Entgelt nicht innerhalb der in Betracht kommenden Meldefristen gemacht, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tag der Meldung zu laufen. Diese Verjährungsfrist verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Dienstgeber oder eine sonst meldepflichtige Person (§ 36 ASVG) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2 ASVG) gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder unrichtig hätte erkennen müssen.
Der angefochtene Bescheid umfasst den Haftungszeitraum "01/1991 bis 05/1995". Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, in diesem Zeitraum "Sonderzahlungsmeldungen" für namentlich angeführte Dienstnehmer(innen) nicht durchgeführt zu haben. In dem in Fotokopie dem Verwaltungsakt angeschlossenen Bericht über die Betriebsprüfung 1997 ist unter der Überschrift "Beitragsdifferenzen" Folgendes festgehalten:
"In 34 Fällen Sonderzahlungen 91-95 nicht gemeldet! Es wurden Schätzungen gem. § 42 (3) ASVG auf Grund der gemeldeten Beitragsgrundlagen = Verdienste u. des Aktenvermerkes (unterfertigt (vom Beschwerdeführer)) durchgeführt;"
In der ebenfalls in Fotokopie angeschlossenen Beitragsvorschreibung auf Grund der durchgeführten Beitragsprüfung ist als Differenzart "Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration nicht bzw. nicht in der richtigen Höhe gemeldet und verrechnet" angegeben.
Nach dem Inhalt des Verwaltungsaktes hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. August 2000 u.a. mitgeteilt, dass "zahlreiche Sonderzahlungs- und Lohnänderungsmeldungen" seitens der GmbH nicht durchgeführt worden seien.
Als zu meldende Umstände (und wegen der schuldhaften Unterlassung der Meldung zur Haftung des Beschwerdeführers führend) nimmt die belangte Behörde ausgehend von der Bescheidbegründung und der darin bezogenen Teile der Verwaltungsakten "Lohnänderungen" und "Sonderzahlungsmeldungen" bezogen auf den Beitragszeitraum "01/1991 bis 05/1995" an. Weder aus der Bescheidbegründung noch aus den Verwaltungsakten ist aber nachvollziehbar, ob unter "Lohnänderungen" durchgeführte Eintragungen des Beitragsprüfers oder kollektivvertragliche oder einzelvertragliche Änderungen des Entgelts zu verstehen sind, sowie wann diese Änderungen gegebenenfalls vereinbart und ab welchem Zeitpunkt sie rechtswirksam wurden. Hinsichtlich der "Sonderzahlungsmeldungen" ist nicht nachvollziehbar, ob es sich um tatsächlich bezahlte Leistungen der GmbH handelt, die lediglich der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse nicht gemeldet und für die Beiträge an sie nicht abgeführt wurden, oder ob es sich lediglich um von der GmbH nicht gewährte, weil nicht anerkannte, Ansprüche der Dienstnehmer handelt. Der Begründung der belangten Behörde kann somit nicht entnommen werden, welche entgeltbezogenen Umstände im Streitzeitraum eingetreten sind, die vom Beschwerdeführer hätten gemeldet werden müssen. Stehen diese Umstände aber nicht fest, so kann auch nicht ohne Weiteres ein Verschulden des Beschwerdeführers um Unterbleiben der Meldungen unterstellt werden. Ein Verschulden kann dem Beschwerdeführer nach den Ausführungen im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 erst dann und nur insoweit angelastet werden, als er verpflichtet gewesen wäre, bestimmte konkret zu bezeichnende Meldungen zu erstatten, und das Wissen um diese Meldepflicht entweder als vom Grundwissen des Geschäftsführers einer GmbH umfasst anzusehen oder das Nichtwissen vom ihm zu vertreten wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, 2001/08/0069, m.w.N.).
Die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer zur Durchführung der Sozialversicherungsmeldungen verpflichtet gewesen und sein Verschulden an den Meldeverstößen sei als gegeben anzunehmen, weil er Rechtfertigungsgründe für die Nichtvornahme der Meldungen nicht vorgebracht habe, verkennt, dass ein Verschulden des Geschäftsführers nicht vermutet wird, sondern auf Grund des meldepflichtigen Sachverhaltes jeweils von der Behörde zu beurteilen ist.
Darüber hinaus ist die Feststellung einer Haftung des Beschwerdeführers für Verzugszinsen und Nebengebühren verfehlt. Die Haftung für die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse geltend gemachten Verzugszinsen und Kosten im Sinne des § 83 ASVG trifft den Beschwerdeführer nur im Rahmen des § 67 Abs. 10 ASVG. Für die Entrichtung dieser Nebengebühren fehlt es aber an einer spezifisch sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung des Geschäftsführers im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 (vgl. hiezu auch die hg. Erkenntnisse vom 27. Juli 2001, 2001/08/0061, und vom 13. August 2003, 2002/08/0088).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 20. Oktober 2004
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