VwGH 2002/04/0024

VwGH2002/04/002430.6.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der O Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner, Rechtsanwälte in 1060 Wien, Am Getreidemarkt 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 28. Jänner 2002, Zl. 322.539/1-I/9/02, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77;
GewO 1994 §81 Abs1;
GewO 1994 §81;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77;
GewO 1994 §81 Abs1;
GewO 1994 §81;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Landeshauptmann von Oberösterreich erteilte mit Bescheid vom 4. Dezember 2000 der Beschwerdeführerin gemäß §§ 81 und 74 Abs. 2 GewO 1994 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung einer näher bezeichneten Tankstellenanlage unter Vorschreibung von Auflagen. Die (für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevanten) Auflagenpunkte 29 und 30 haben folgenden Wortlaut:

"29. Bei Störfällen (Gasaustritt) ist die Gasmeldestelle der

S GesmbH, (Telefonnummer) oder der Gasnotruf (128) zu verständigen.

30. Wenn die Tankstelle unbeaufsichtigt ist, ist zumindest bei einem Gasalarm oder wenn eine Undichtheit im Gassystem durch eine andere Überwachungseinrichtung festgestellt wurde, automatisch ein entsprechender Alarm bzw. eine entsprechende Meldung an eine ständig durch verantwortliches Personal besetzte Stelle (z.B. Bereitschaftsdienst der Firma L) zu schicken. Von der alarmierten Stelle sind die notwendigen Maßnahmen durchzuführen (z.B. Reparatur der Anlage bzw. Veranlassung der Reparatur sofern vertretbar, etc.). Jedenfalls ist unverzüglich die zuständige Feuerwehr über die Situation zu informieren. Die Alarmmeldung ist über Telenoteinrichtung, Telefonleitung und Pager oder Gleichwertiges weiterzuleiten. Die alarmierte Stelle muss über einen entsprechenden Maßnahmenplan verfügen. Maßnahmen sind mit dem zuständigen Pflichtbereichskommandanten der Feuerwehr abzustimmen.

Ein Gasalarm oder eine Undichtheit im Gassystem muss auch für das Tankstellenpersonal eindeutig erkennbar sein, sodass von diesem die nötigen Maßnahmen eingeleitet bzw. durchgeführt werden können."

Als Begründung für die Vorschreibung von Auflagenpunkt 30 führte die erstinstanzliche Behörde aus, nach den Angaben bei der Verhandlung sei es möglich, dass die gegenständliche Erdgastankstelle bis zu maximal 2,5 Tage unbeaufsichtigt sei. Die Anlage sei mit verschiedenen näher dargestellten Schutzeinrichtungen ausgerüstet. Bei Gebrechen lösten diese Einrichtungen eine Störabschaltung und einen Alarm aus. Es erscheine notwendig, dass auf diese Alarme auch in der Zeit, in der die Tankstelle nicht beaufsichtigt sei, von einer verantwortlichen Person reagiert und jedenfalls die Feuerwehr verständigt werde. Diese könne mit Gasspürgeräten feststellen, ob für die Umgebung Gefahr bestehe, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen durchzuführen. Außerdem könne, sofern vertretbar, eine Reparatur der Anlage eingeleitet und durchgeführt werden. Der Aufwand erscheine im Vergleich zur Verringerung des Risikos vertretbar. Diese Begründung habe auch von der Konsenswerberin in ihrer Stellungnahme zum Gutachten nicht entkräftet werden können. Sie habe vorgebracht, dass die Anlage dem Stand der Technik entspreche und daher auch im Falle der Gasundichtigkeit in einen sicheren Zustand übergehe. Wesentlich für die Vorschreibung sei, dass alleine wegen des Gefährdungspotenzials der Anlage ein eingetretener Störfall nicht längere Zeit unbekannt sein dürfe.

In ihrer Berufung brachte die Beschwerdeführerin zu Auflagenpunkt 29 vor, es erscheine sinnlos, jeden Störfall zu melden, da Sicherheitsabschaltungen mehrfach innerhalb der Anlage selbst erfolgten. Ein sofortiges Eingreifen sei auf Grund der bestehenden Sicherheitseinrichtungen in der Anlage ebenso wenig erforderlich wie eine etwaige Abschaltung der Gaszufuhr. Zu Auflagenpunkt 30 führte sie aus, die Bauweise der Anlage garantiere im Störfall den Übergang in einen sicheren Zustand. Weit vor einem möglichen Gefahrenfall würden die Ventile geschlossen und die Anlage werde stromlos geschaltet. Vor Ort sei ein Gasaustritt realistisch simuliert worden, der kein Gefährdungspotenzial nachgewiesen habe. Das Protokoll hierüber sei von den beteiligten Unternehmen und dem Vertreter des Anrainers unterfertigt und der Behörde vorgelegt worden. Die Bau- und Verfahrensweise "lässt eine vom Sachverständigen angenommene Gefahr - wenn überhaupt - nur bei massiver Beschädigung der gesamten Anlage (höhere Gewalt) zu, da sich die technische Anlage in einem massiven Betonhaus, welches zusätzlich durch Anfahrschutz aus Beton abgesichert wurde, befindet."

Der von der belangten Behörde beigezogene Amtsachverständige gab zu diesem Berufungsvorbringen am 22. August 2001 eine "vorläufige Stellungnahme" ab. Darin führte er aus, dem Akt lägen nur äußerst unvollständige Beurteilungsgrundlagen bei. Das Berufungsvorbringen könne danach nicht nachvollzogen werden. Von der Beschwerdeführerin sei in mehreren Telefonaten die Vorlage eines ergänzenden TÜV-Gutachtens zu diesem Thema in Aussicht gestellt worden, welches bis dato noch nicht eingelangt sei. Es werde vorgeschlagen, die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zur Vorlage ergänzender Unterlagen, welche die Beurteilung des Berufungsvorbringens hinsichtlich der Punkte 29 und 30 ermöglichten, aufzufordern.

Die Beschwerdeführerin übermittelte hierauf ein Explosionsschutzgutachten des TÜV Österreich vom 12. Juli 2001.

Mit dem angefochten Bescheid vom 28. Jänner 2002 wies die belangte Behörde die Berufung, soweit sich diese gegen die Auflagenpunkte 29 und 30 richtete, ab. Zur Begründung führte sie aus, nach Ansicht des technischen Amtsachverständigen wären zur Beurteilung der Berufung weitere Unterlagen vorzulegen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe per E-Mail ein Explosionsschutzgutachten des TÜV vorgelegt. Ihre Vertreter seien seitens des technischen Sachverständigen darauf aufmerksam gemacht worden, dass derzeit nicht ersichtlich sei, ob die dort (gemeint: im TÜV-Gutachten) als Erfordernisse formulierten Details auch konkret im Projekt enthalten seien. Von der Beschwerdeführerin sei zugesagt worden, diesbezüglich weitere Unterlagen nachzureichen. Dies sei jedoch nicht geschehen, weshalb die Berufung in diesem Punkt habe abgewiesen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage ohne Erteilung unnötiger, nicht dem Gesetz entsprechender Auflagen verletzt. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt sie als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die belangte Behörde weise die Berufung mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin habe keine weiteren Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich wäre, ob die im Explosionsschutzgutachten erwähnten Maßnahmen im konkreten Projekt enthalten seien. Gemäß § 39 Abs. 2 AVG habe die Behörde bei der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen vorzugehen. Eine Abwälzung der Sachverhaltsermittlung auf die Partei sei grundsätzlich nicht zulässig. Lediglich in solchen Fällen, in denen nur die Partei über entsprechende Sachverhaltsnachweise verfüge, sei eine solche Vorgangsweise zulässig. Im Beschwerdefall könne keineswegs gesagt werden, dass nur die Beschwerdeführerin über die erforderlichen Unterlagen verfügt hätte. Aus den im Akt befindlichen Unterlagen sei ersichtlich, dass das konkrete Projekt den Vorgaben des TÜV entspreche. Dies hätte die belangte Behörde bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens feststellen können. Sie habe ihre Ermittlungspflicht unzulässigerweise der Beschwerdeführerin aufgebürdet.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994 in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden;

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen, ...

4. die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichen Verkehr wesentlich zu beeinträchtigen oder ... .

Nach dem Absatz 3 dieser Gesetzesstelle besteht die Genehmigungspflicht auch dann, wenn die Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen nicht durch den Inhaber der Anlage oder seine Erfüllungsgehilfen, sondern durch Personen in der Betriebsanlage bewirkt werden können, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß in Anspruch nehmen.

Gemäß § 77 Abs. 1 leg. cit. ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71 a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Nach § 81 Abs. 1 leg. cit. bedarf, wenn es zu Wahrung der in § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen.

§ 81 Abs. 1 GewO verlangt zur Wahrung der in § 74 Abs. 2 leg. cit. umschriebenen Interessen die Genehmigung einer Änderung "im Sinne der vorstehenden Bestimmungen". Die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 81 GewO 1994 sind daher keine anderen als jene, an die das Gesetz in § 77 leg. cit. die Errichtung einer Anlage knüpft. Auflagen sind nach der letztgenannten Bestimmung (u.a.) nur zulässig, wenn sie im Hinblick auf die nach dieser Bestimmung in Verbindung mit § 74 Abs. 2 zu schützenden Interessen erforderlich sind (vgl. dazu die bei Grabler/Stolzlechner/Wendel, Kommentar zur GewO2 (2003) S. 563 referierte hg. Rechsprechung).

Die Beschwerdeführerin hat in der Berufung geltend gemacht, dass eine Meldung von Störfällen im Hinblick auf die Sicherheitsabschaltungen innerhalb der Anlage nicht sinnvoll erscheine. Ein sofortiges Eingreifen sei auf Grund der bestehenden Sicherheitseinrichtungen ebenso wenig erforderlich wie eine Abschaltung der Gaszufuhr. Die Beschwerdeführerin hat damit erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass die Auflagenpunkte 29 und 30 im Sinne der zitierten Judikatur nicht erforderlich seien.

Die belangte Behörde hat sich auf die Aussage zurückgezogen, dass zur diesbezüglichen Beurteilung von der Beschwerdeführerin weitere Unterlagen vorzulegen wären. Dem angefochtenen Bescheid lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde konkret gesagt wurde, welche anlagebezogenen Unterlagen sie (noch) vorzulegen habe. Von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Beschwerdeführerin, die zur Abweisung der Berufung führt, kann daher nicht gesprochen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. Juni 2004

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