VwGH 2001/20/0258

VwGH2001/20/02586.5.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des T in B, geboren 1980, vertreten durch Dr. Johann Buchner und Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 9/Mühlbacherhofweg 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. März 2001, Zl. 216.612/2-II/39/01, betreffend § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs2;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs4;
AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs2;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 11. August 1999 mit einem von der griechischen Botschaft in Izmir ausgestellten (bis 11. September 1999 gültigen) Visum in das Bundesgebiet ein und ersuchte mit einem am 17. August 1999 datierten (und am 18. August 1999 beim Bundesasylamt eingelangten) "Asylantrag", als Flüchtling anerkannt zu werden.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. Dezember 2000 wurde der "Asylerstreckungsantrag (des Beschwerdeführers) vom 18.08.1999" gemäß § 10 Abs. 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Diesen Bescheid begründete die belangte Behörde u.a. damit, dass der von seinem Vater vertretene Beschwerdeführer am 2. November 1999 vor dem Bundesasylamt angegeben habe, der Beschwerdeführer werde in der Türkei nicht verfolgt und der Vater beantrage für den Beschwerdeführer "lediglich" die Erstreckung von Asyl gemäß §§ 10 und 11 AsylG. Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. Juni 2003, Zl. 2001/20/0067, abgelehnt.

Sowohl mit Anwaltschriftsatz als auch mit persönlichem Schriftsatz, jeweils vom 30. März 2000 (beide eingelangt beim Bundesasylamt am 3. April 2000), beantragte der Beschwerdeführer erneut die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 18. Jänner 2001 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und stellte fest, dass gemäß Art. 5 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen - DÜ), Griechenland für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer mit dem letztgenannten Bescheid nach Griechenland ausgewiesen. Begründend führte das Bundesasylamt aus, der Beschwerdeführer sei auf Grund eines von der griechischen Botschaft in der Türkei ausgestellten Schengenvisums legal nach Österreich eingereist. Gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ sei Griechenland daher zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig, Griechenland habe sich auf Grund eines Ersuchens Österreichs auch bereit erklärt, den Beschwerdeführer einreisen zu lassen und seinen Asylantrag zu prüfen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. Jänner 2001 Berufung und wendete gegen die Zuständigkeit Griechenlands ein, das Bundesasylamt habe nicht beachtet, dass die Gültigkeit des ihm erteilten Schengenvisums bereits am 4. September 1999 geendet habe. Auf Grund des "mittlerweile" seit mehr als sechs Monaten abgelaufenen Visums seien die österreichischen Asylbehörden gehalten, inhaltlich über den Asylantrag des Beschwerdeführers zu entscheiden. Darüber hinaus, so der Beschwerdeführer in dieser Berufung weiter, seien die Zurückweisung seines Asylantrages nach § 5 AsylG und seine Ausweisung nach Griechenland unzulässig, weil auf Grund notorisch bekannter Tatsachen, konkret der historisch bedingt schwierigen Situation zwischen der Türkei und Griechenland, davon auszugehen sei, dass dem Beschwerdeführer ein ausreichender Refoulementschutz in Griechenland nicht gewährt werde. Im Übrigen machte der Beschwerdeführer gegen die Ausweisung "Kontakte mit in Österreich lebenden türkischen Staatsangehörigen", die mit seinem Vater bekannt seien, geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ab. Begründend stellte sie fest, auch Asylanträge des Vaters und der Geschwister des Beschwerdeführers seien gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet auch keine Familienangehörigen im Sinn des Art. 4 DÜ.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde gleich dem Bundesasylamt die Auffassung, auf Grund des dem Beschwerdeführer von der griechischen Botschaft erteilten Visums sei Griechenland gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig. Daran könne nichts ändern, dass die Gültigkeit des Visums des Beschwerdeführers am 4. September 1999 geendet habe. Erkennbar ausgehend von Art. 5 Abs. 4 zweiter Satz DÜ (dem zufolge der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, für das Asylverfahren u.a. dann zuständig ist, wenn das Visum des Asylwerbers seit mehr als sechs Monaten abgelaufen ist), verwies die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dieser habe unter Bezugnahme auf Art. 11 Abs. 3 DÜ ausgesprochen, dass der Ablauf der Gültigkeit des Visums in Bezug auf den Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung des Asylwerbers in einem Mitgliedstaat zu beurteilen sei. Bei Einbringung des mit 17. August 1999 datierten (ersten) Asylantrages des Beschwerdeführers sei das von der griechischen Botschaft erteilte Visum des Beschwerdeführers noch gültig gewesen und Griechenland daher für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig.

Zum Berufungseinwand, Griechenland biete dem Beschwerdeführer keinen ausreichenden Schutz vor Refoulement, vertrat die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Auffassung, eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Asylwerber in Griechenland Refoulementschutz genieße, sei nicht erforderlich. Im Erkenntnis vom 23. März 2000, Zl. 2000/20/0052, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass das Zutreffen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AsylG zwingend zur Zurückweisung des Asylantrages führe. Im Übrigen seien, so die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weiter, die Vertragsstaaten des Dubliner Übereinkommens völkerrechtlich zur Durchführung eines der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Asylverfahrens verpflichtet. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätten sich zur Beachtung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Grundrechte verpflichtet und darüber hinaus in einem am 2. Oktober 1997 in Amsterdam unterzeichneten Protokoll zum EG-Vertrag festgelegt, dass die Mitgliedstaaten füreinander als sichere Herkunftsländer gelten. Unzweifelhaft gehe auch der österreichische Gesetzgeber davon aus, dass Verträge über die Bestimmung des zuständigen Staates zur Prüfung eines Asylantrages nur mit Staaten abgeschlossen werden, die sich innerstaatlich denselben Verpflichtungen unterwerfen, wie sie für Österreich in § 57 FrG festgelegt seien.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde meint zunächst, der eingangs erwähnte Antrag des Beschwerdeführers vom 17. August 1999 sei "lediglich als Erstreckungsantrag zu werten". Der Beschwerdeführer habe daher mit seinem Schreiben "am 30.3. bzw. 4.4.2000 erstmals" einen Asylantrag gestellt, somit zu Zeitpunkten, als sein Visum bereits seit mehr als sechs Monaten ungültig gewesen sei. Der Beschwerdeführer vertritt (erkennbar vor dem Hintergrund des Art. 5 DÜ) die Auffassung, schon deswegen sei Österreich für die inhaltliche Prüfung seines Asylantrages zuständig und die Zurückweisung desselben nach § 5 AsylG rechtswidrig.

Mit diesem Vorbringen übergeht der Beschwerdeführer, dass er - nicht nur nach den mit der Aktenlage im Einklang stehenden Feststellungen der belangten Behörde, sondern auch nach seinem Vorbringen an einer anderen Stelle seiner Beschwerde - schon mit Schriftsatz vom 17. August 1999 einen "Asylantrag" gestellt hat, der erst über Ersuchen seines ihn damals vertretenden Vaters von der Asylbehörde als Erstreckungsantrag weiter behandelt wurde. Im Erkenntnis vom 12. Dezember 2002, Zl. 2002/20/0388, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Vorjudikatur ausgeführt, dass selbst im Fall der Zurückziehung des ersten Asylantrages bei nachfolgender Einbringung eines zweiten Asylantrages für die gemäß § 5 Abs. 4 zweiter Satz DÜ maßgebliche Frage, ob das Visum eines Asylwerbers bereits mehr als sechs Monate abgelaufen ist, der Zeitpunkt der Einbringung des ersten Asylantrages ausschlaggebend ist. Vor diesem Hintergrund ist die belangte Behörde im Beschwerdefall daher mit Recht davon ausgegangen, dass das von der griechischen Botschaft (mit Gültigkeit bis 11. September 1999) ausgestellte Visum des Beschwerdeführers bei Einbringung seines ersten Asylantrages vom 17. August 1999 noch nicht abgelaufen war und Griechenland daher gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ als für die Prüfung des Asylantrages zuständiger Staat in Betracht kam.

Gegen die Zuständigkeit Griechenlands zur Prüfung seines Asylantrages hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren weiter vorgebracht, auf Grund der notorisch (belasteten) Verhältnisse seines Heimatstaates mit Griechenland werde ihm im letztgenannten Staat Refoulementschutz nicht in ausreichender Weise gewährt werden. Die Antwort der belangten Behörde, sie sei nicht gehalten, sich mit dieser Frage näher auseinander zu setzen, weil die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AsylG zwingend zur Zurückweisung des Asylantrages führe, steht mit der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr im Einklang (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Demnach hätte die belangte Behörde das genannte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht für rechtlich irrelevant ansehen dürfen, sondern inhaltlich prüfen müssen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das (dem Grunde nach nicht weiter präzisierte) Mehrbegehren des Beschwerdeführers, dem in Bezug auf die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG Verfahrenshilfe gewährt wurde, war abzuweisen, weil es in den Pauschbeträgen der genannten Verordnung keine Deckung findet. Wien, am 6. Mai 2004

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