VwGH 2000/08/0176

VwGH2000/08/017618.2.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. September 2000, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2000-4042, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit Art4 Abs1;
31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit;
ABGB §140;
ABGB §410;
AlVG 1977 §33;
AlVG 1977 §36;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §6;
31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit Art4 Abs1;
31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit;
ABGB §140;
ABGB §410;
AlVG 1977 §33;
AlVG 1977 §36;
NotstandshilfeV §2;
NotstandshilfeV §6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.002,89 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 15. Mai 2000 den Antrag auf Zuerkennung von Notstandshilfe. Nach dem Inhalt des Antrages lebte sie mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt; der Sohn habe als Zivildiener ein monatliches Einkommen von S 4.000,-- erzielt.

Mit erstinstanzlichem Bescheid vom 30. Mai 2000 wurde dieser Antrag mangels Notlage abgewiesen. In der Begründung heißt es dazu, das anrechenbare Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin übersteige trotz Berücksichtigung der Freigrenzen das Ausmaß der gebührenden Notstandshilfe.

In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, vor Anrechnung des Einkommens ihres Ehemannes sei neben dem Werbungskostenpauschale, der allgemeinen Freigrenze und der Freigrenzenerhöhungen auf Grund ihrer Gallen- und Magenkrankheit auch die Freigrenze für ihren 20-jährigen Sohn zu berücksichtigen. Dieser wohne mit ihr im gemeinsamen Haushalt und absolviere zur Zeit den Zivildienst. Seine Einkünfte daraus reichten nicht aus, um seinen Unterhaltsbedarf zu decken. Sie trage einen wesentlichen Teil seines Unterhaltes.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung wurde nach Gesetzeszitaten und einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, nach den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen gebühre eine Freigrenze von S 2.930,-- für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner tatsächlich wesentlich beitrage. Für Personen, welche ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erzielten, gebühre keine Freigrenze. Bezüge eines Wehrpflichtigen fielen als Hinzurechnungsbeträge unter den Einkommensbegriff. Somit könne für den Sohn der Beschwerdeführerin, der ein Einkommen von S 4.000,-- habe, keine Freigrenze gewährt werden.

Die Berechnung des Anspruches der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe sei daher wie folgt vorzunehmen gewesen:

Durchschnittliches Nettoeinkommen des Ehemannes

S

13.782,- -

abzüglich Werbungskostenpauschale

S

483,--

  

abzüglich Freigrenze Ehemann

S

5.816,--

  

abzüglich Freigrenze Gallenkrankheit

S

700,--

  

abzüglich Freigrenze Magenkrankheit

S

1.000,--

  

anrechenbares Einkommen

  

S

5.783,--

das entspreche täglich

  

S

189,61.

Dieses Einkommen übersteige den Anspruch auf Notstandshilfe von S 172,80 täglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Gewährung von Notstandshilfe verletzt.

In den Erkenntnissen vom 14. Jänner 2004, 2002/08/0038 (Lebensgefährte) und 2002/08/0202 ( Ehepartner) wurde ausgesprochen, dass die gesetzliche Anordnung der Berücksichtigung des Einkommens des Ehemannes (Lebensgefährten) bei Beurteilung der Notlage der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau (Lebensgefährtin) im Zusammenhang mit der Gewährung von Notstandhilfe der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit nicht widerspricht. Auf die Begründung dieser Erkenntnisse wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen.

Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, die belangte Behörde hätte bei Heranziehung des Einkommens ihres Ehemannes einen zusätzlichen Freibetrag wegen der Unterhaltslasten bezüglich des den Zivildienst ableistenden Sohnes berücksichtigen müssen. Der Sohn lebe mit ihr und ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt. Er könne mit dem vom Bundesministerium für Inneres gewährten Zivildienstbezug seinen Unterhalt nicht decken. Seine Eltern trügen daher zu seinem Unterhalt wesentlich bei. Die Beschwerdeführerin rügt weiters, dass die belangte Behörde keine Erhebungen über den Zivildienstbezug ihres Sohnes angestellt habe. Bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels hätte die Behörde feststellen müssen, dass ihr Sohn lediglich S 3.648,-- monatlich erziele. Dieser Betrag liege unter der gesetzlichen Geringfügigkeitsgrenze, sodass ausgehend von der Rechtsauffassung der belangten Behörde die zusätzliche Freigrenze für den unterhaltsberechtigten Sohn hätte gewährt werden müssen.

Nach § 6 Abs. 2 der gemäß § 36 AlVG erlassenen Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, in der (zeitraumbezogen anzuwendenden) Fassung BGBl. Nr. 329/1995, beträgt die Freigrenze pro Monat S 5.495,-- für den das Einkommen beziehenden Ehepartner und S 2.768,-- für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt.

Für die Beantwortung der allein strittigen Frage, ob bei der Anrechnung des Einkommens des Ehemannes der Beschwerdeführerin Freigrenzen für den gemeinsamen Sohn zu berücksichtigen sind, ist lediglich maßgebend, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin zum "Unterhalt" des Sohnes "auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt".

Die belangte Behörde hat sich mit dem Vorliegen dieser Voraussetzung nicht auseinander gesetzt. Sie hat lediglich den nicht näher begründeten Standpunkt vertreten, dass für Personen, welche ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erzielen, keine Freigrenze gebühre. Ein derartiger Ausschluss der Freigrenzenerhöhung kann der genannten Bestimmung jedoch nicht entnommen werden. Mit der erwähnten "rechtlichen Pflicht" wird vielmehr auf das Unterhaltsrecht verwiesen. Hiebei ist für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes der Beschwerdeführerin nicht die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze als Orientierungshilfe heranzuziehen, sondern vielmehr der Ausgleichszulagenrichtsatz nach pensionsrechtlichen Bestimmungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2000, 97/08/0436, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur und Verweisen auf die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte und Lehrmeinungen zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit). Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes bedeutet demnach die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedürfnisdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushaltes; benötigt das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung, so liegt noch keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor (vgl. etwa Pichler in Rummel, ABGB, zweite Auflage, § 140 Rz 12). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt als "wesentlicher Beitrag" zum geschuldeten Unterhalt nicht nur ein finanzieller Beitrag in Frage, sondern auch die Betreuung des Kindes im Rahmen der Haushaltsführung (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 29. März 2000, 97/08/0436, und das Erkenntnis vom 5. September 1995, 94/08/0022, m.w.H.).

Da sich die belangte Behörde mit der maßgeblichen Voraussetzung für die strittige Freigrenzenerhöhung ausgehend von ihrer nicht zu teilenden Rechtsauffassung nicht auseinander gesetzt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. Februar 2004

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