VwGH 2003/20/0082

VwGH2003/20/00823.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in W, geboren 1963, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. November 2002, Zl. 206.992/45- VIII/22/02, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles ist auf das hg. Erkenntnis vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0570, zu verweisen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 2. September 1999, mit dem der am 15. November 1995 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Iran, gemäß § 7 AsylG abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Beschwerdeführer hatte im Verwaltungsverfahren u.a. eine Vorladung der Staatsanwaltschaft der Islamischen Revolution Teheran vom November 1995, ein Urteil einer näher genannten Abteilung des Gerichtes der Islamischen Revolution Teheran vom 26. August 1996 und die Aufforderung einer "Vollstreckungsabteilung", sich "zur weiteren Klärung und Vollstreckung des Urteils" zu stellen, vom 16. September 1996 vorgelegt. Inhalt des Urteils vom 26. August 1996 war die in Abwesenheit erfolgte Verurteilung des Beschwerdeführers zu zwölf Jahren Gefängnis und 60 Peitschenhieben wegen "Mitgliedschaft des Angeklagten bei einer ungesetzlichen und gegen die Revolution gerichteten Vereinigung (Netz) der Monarchisten" sowie "Aktivitäten zum Sturz der heiligen Führung der Islamischen Republik Iran". Die belangte Behörde war ausgehend von Beobachtungen und Meinungen der Übersetzerin in Bezug auf Einzelheiten dieser Urkunden davon ausgegangen, dass deren Echtheit zweifelhaft sei, obwohl sie von der österreichischen Botschaft in Teheran - wenngleich ohne nähere Begründung - als "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit echt" eingestuft worden waren.

In dem zitierten Erkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof u. a. aus, der Bescheid der belangten Behörde finde in Bezug auf die Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Aktivitäten im Iran und die deshalb schon vorliegende Verurteilung in den für sich genommen nicht unschlüssigen Ausführungen über die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers keine ausreichende Grundlage, wenn nicht zugleich auch davon ausgegangen werde, dass es sich bei den drei erwähnten Urkunden um Fälschungen handle. Die belangte Behörde hätte sich hinsichtlich der Beobachtungen und Meinungen der Übersetzerin angesichts der gegenteiligen Auskunft der österreichischen Botschaft "durch ergänzende Ermittlungen eine ausreichende Grundlage für schlüssige Ausführungen zur Frage der Echtheit der Urkunden schaffen müssen". In diesem Zusammenhang werde, wie schon im Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 98/20/0543, auf das allfällige Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens verwiesen. "Zunächst" hätte sich aber die Einholung einer detaillierteren Stellungnahme der österreichischen Botschaft in Teheran "angeboten".

Im fortgesetzten Verfahren holte die belangte Behörde - neben anderen Beweisaufnahmen, insbesondere einer neuerlichen Einvernahme des Beschwerdeführers und einer Einvernahme seiner Schwester als Zeugin - eine ergänzende Stellungnahme der österreichischen Botschaft in Teheran zu den erwähnten Urkunden ein. Diese Stellungnahme wurde unter Berufung auf eine vorangegangene detaillierte Erörterung mit dem Vertrauensanwalt der Botschaft mit Telefax vom 18. September 2002 in der Form einer Kommentierung der seinerzeitigen Ausführungen der Übersetzerin erstattet und hatte zum Inhalt, dass den Bedenken hinsichtlich des Urteils und der Vorladung zum Strafvollzug aus näher genannten Gründen nicht zu folgen sei. In Bezug auf die Vorladung zur Staatsanwaltschaft blieb die Stellungnahme unklar, insofern in ihr von den "beiden älteren Dokumenten" vom 11. und 13. November 1995 die Rede war, die dem Vertrauensanwalt im Hinblick auf die "unkorrekte Form" der in ihnen aufscheinenden "Geschäftszahlen" als gefälscht erschienen.

Der Beschwerdeführer beantragte darauf hin die nochmalige Befassung der österreichischen Botschaft und erklärte, dass die Angelegenheit - u.a. deshalb, weil die Vorladung zur Staatsanwaltschaft vom November 1995 die gleiche Geschäftszahl trage wie das Urteil - noch nicht entscheidungsreif sei, wohingegen der Bundesminister für Inneres wegen einer Anzeige, die gegen den Beschwerdeführer eingebracht worden sei, mit der Anregung einer "prioritären Finalisierung" des Verfahrens an die belangte Behörde herantrat und, nach den Ausführungen im nunmehr angefochtenen Bescheid, auch die als Zeugin vernommene Schwester des Beschwerdeführers eine "rasche Entscheidung" urgierte.

Mit dem angefochtenen, ohne weitere Ermittlungen zur Beweiskraft der erwähnten Urkunden ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. In der Begründung dieser Entscheidung führte sie zur Würdigung der Urkunden aus:

"Was die von dem Berufungswerber vorgelegten Urkunden betrifft, so ist zunächst einmal dazu festzuhalten, dass die Berufungsbehörde durch die Einholung einer weiteren Auskunft bei der Österreichischen Botschaft in Teheran ihrer aus § 63 VwGG erfließenden Verpflichtung nachgekommen ist. In der zweiten Stellungnahme der Österreichischen Botschaft in Teheran vom 18.09.2002 wird nunmehr auch begründet ausgeführt, warum die Österreichische Botschaft davon ausgeht, dass die beiden Dokumente echt sind; dem steht die ebenfalls begründete Äußerung der Dolmetscherin Anna M. gegenüber, deren Qualifikation freilich nicht nachweisbar ist. Bei weiteren zwei Dokumenten geht jedoch die Stellungnahme der Österreichischen Botschaft davon aus, dass diese nicht echt sind. Es gibt somit unterschiedliche Beurteilungen hinsichtlich der von dem Berufungswerber vorgelegten Dokumente und ergeben diese zumindest kein einheitliches Bild.

Weiter muss man im Iran sehr wohl (offenbar zu ergänzen: nicht) nur zwischen gefälschten und echten Urkunden unterscheiden, sondern auch zwischen echten Urkunden, deren Inhalt wahr ist und solchen, deren Inhalt nicht wahr ist, weil sie auf Grund von Bestechung oder einer 'Gefälligkeit' zu Stande gekommen sind, wobei die äußerst weit verbreitete Korruption im Iran als notorische Tatsache anzusehen ist. Allgemein kann daraus der Schluss gezogen werden, dass iranische (aber auch irakische) Urkunde (gemeint: Urkunden), z.B. Gerichtsladungen und Urteilen (gemeint: Urteile), mögen sie auch keine Fälschungsmerkmale aufweisen, für sich allein keinen ausreichenden Beweis einer Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr darstellen (siehe UBAS vom 02.10.2002, Zl. 217.948/0-VIII/22/00). Diese beweiswürdigende Einschätzung wird im Übrigen auch z.B. von der Österreichischen Botschaft in Teheran geteilt.

Der unabhängige Bundesasylsenat geht daher in seiner Beurteilung der Verfolgungsgefahr im vorliegenden Fall in erster Linie von der Aussage des Berufungswerbers und seiner Schwester, welche oben bereits gewürdigt wurde und von den allgemeinen länderkundlichen Dokumenten betreffend die Monarchisten im Iran (einschließlich der Einschätzung durch deutsche Verwaltungsgerichte) aus und berücksichtigt die vorgelegten Dokumente weder zum Nachteil noch zu Gunsten des Berufungswerbers. Wenn der Berufungswerbervertreter ausführt, dass hier zu viele Fragen unklar sind, um im Zweifel gegen den Asylwerber zu entscheiden, so kann dem sinngemäß zugestimmt werden und berücksichtigt die Berufungsbehörde daher die vorgelegten Dokumente nicht.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Berufungsbehörde den Ausführungen des Berufungswerbers über eine einmalige Verteilung von Flugzetteln am Geburtstag von Shah Reza II. Glaubwürdigkeit zubilligt, nicht jedoch hinsichtlich weiterer monarchistischer Aktivitäten im Iran oder in Österreich und auch keine asylrelevanten und auch (nach wie vor aktueller) Verfolgungsmaßnahmen gegen den Berufungswerber im Iran befürchtet."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde legt im angefochtenen Bescheid - wie schon in dem mit dem Vorerkenntnis aufgehobenen - nicht dar, dass sich die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in den Iran auch für den Fall verneinen lasse, dass über ihn wegen des in dem vorgelegten Urteil vom 26. August 1996 umschriebenen Verhaltens die in dieser Urkunde festgehaltene Strafe (zwölf Jahre Gefängnis und 60 Peitschenhiebe) verhängt worden sei. Die Ansicht, dass diese Urkunde und die Vorladung der Vollstreckungsabteilung unecht sein könnten, wird im nunmehr angefochtenen Bescheid nicht in tragfähiger Weise aufrecht erhalten, wobei anzumerken ist, dass das Festhalten an den Echtheitsbedenken hinsichtlich der Vorladung der Staatsanwaltschaft mangels Klärung des Sachverhaltes auf einem fehlerhaften Verfahren beruht und die Bezugnahme auf insgesamt vier der Botschaft übermittelte Urkunden aktenwidrig ist. Dass die behauptete Verurteilung nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt werde, leitet die belangte Behörde jetzt aber primär aus der von ihr angenommenen Möglichkeit ab, dass das Urteil und die Vorladung der Vollstreckungsabteilung zwar echt, aber "auf Grund von Bestechung oder einer 'Gefälligkeit' zu Stande gekommen" sein könnten. Gestützt wird dies nur auf die behauptetermaßen notorische Tatsache der weiten Verbreitung von Korruption schlechthin im Iran.

Der belangten Behörde ist zuzugestehen, dass auch die Möglichkeit einer echten, aber inhaltlich unwahren Urkunde - zieht man sie, anders als in dem mit dem Vorerkenntnis aufgehobenen Bescheid, ergänzend in Betracht - dazu führen kann, dass die Vorlage einer Urkunde im Asylverfahren erfolglos bleibt. Überlegungen in Bezug auf eine solche Möglichkeit lassen sich der Entscheidung aber nicht in der Form einer bloßen Spekulation zu Grunde legen. Auch in dieser Hinsicht bedürfte es - nicht anders als bezüglich der Frage der Echtheit der Urkunden - nachvollziehbarer Ermittlungsergebnisse, an Hand deren sich erst beurteilen ließe, ob insbesondere auch ein echtes Urteil des zuvor dargestellten Inhaltes - wie von der belangten Behörde angenommen -

nicht ausreicht, um eine asylrelevante Verfolgung wahrscheinlich zu machen. Soll die Entscheidung auf eine solche Annahme gestützt werden, so bedarf es konkreter Ausführungen darüber, mit welcher Häufigkeit und unter welchen Umständen Gefälligkeitsurkunden iranischer Revolutionsgerichte schon bekannt geworden sind. Auch in dieser Hinsicht könnte - wie zur Beurteilung der Echtheit der Urkunden - "zunächst" eine Befassung des Vertrauensanwaltes der österreichischen Botschaft nützlich sein.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb, weil die belangte Behörde zu diesem Thema keinerlei Ermittlungen gepflogen hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 3. Juli 2003

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