Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, gelangte am 13. Dezember 2000 in das Bundesgebiet und beantragte an diesem Tag die Gewährung von Asyl. Anlässlich ihrer Einvernahme an diesem Tag durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) gab die Beschwerdeführerin an, apostolisch zu sein. Der Vater ihres Kindes sei Moslem. Er, seine Eltern und weitere nahe Verwandte hätten gewollt, dass die Beschwerdeführerin zum Islam konvertiere und ihn heirate. Ihr sei mit dem Umbringen gedroht worden. Deshalb habe sie Nigeria verlassen. Im Zuge ihrer weiteren Einvernahme vor der Erstbehörde am 2. Jänner 2001 gab sie an, aus Nigeria aus Furcht vor Verfolgung durch die Ogboni-Sekte geflüchtet zu sein, weil sie ihre Einführung in diese Sekte verweigert habe.
Mit Bescheid vom 11. Jänner 2001 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (der Beschwerdeführerin) nach Nigeria zulässig sei. Die Erstbehörde begründete ihre Entscheidung nach näherer Wiedergabe des Vorbringens der Beschwerdeführerin und Feststellungen über die allgemeine Lage in Nigeria zusammengefasst damit, dass sie der Beschwerdeführerin eine allenfalls subjektiv empfundene Furcht, die sie in ihrem Heimatstaat gehabt habe, nicht absprechen wolle. Für die Flüchtlingseigenschaft sei jedoch nicht nur die seelische Verfassung entscheidend, sondern müsse diese Verfassung auch durch objektive Tatsachen begründet sein. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin werde - näher aufgelisteten - Anforderungen für dessen Glaubwürdigkeit nicht gerecht. Die Erstbehörde gehe eher davon aus, dass die Beschwerdeführerin von anderen afrikanischen Asylwerbern, die in derselben Unterkunft wie die Beschwerdeführerin untergebracht gewesen seien, Geschichten über die Ogboni-Sekte gehört habe und diese Schilderungen für ihre Angaben gebraucht habe, womit dieses Vorbringen nicht den Tatsachen entsprechen könne bzw. entspreche. Falls die Beschwerdeführerin - entgegen der Ansicht der Erstbehörde - tatsächlich Probleme mit dem Ogboni-Geheimbund gehabt habe, sei festzuhalten, dass Nigeria über 117 Millionen Einwohner habe und keine Meldepflicht bestehe. Die Beschwerdeführerin sei keine bekannte Persönlichkeit und man hätte sie bei dieser Bevölkerungsdichte nicht finden können.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin vorerst gegen die Überlegung der Erstbehörde, die Beschwerdeführerin hätte ihre Fluchtgeschichte von anderen Asylwerbern gelernt. Weiters habe die Beschwerdeführerin so viele Details über die Ogboni erzählen können, dass ihre Glaubwürdigkeit nur durch stärkere Argumente hätte erschüttert werden können. Mittlerweile sei anerkannt, dass die Ogboni in Nigeria eine derartige Verbreitung hätten, dass man sich eben gerade nicht durch Untertauchen oder ähnliches gegen sie schützen könne. Von einer inländischen Fluchtalternative könne im Fall einer Verfolgung durch die Ogboni nicht ausgegangen werden.
Im Rahmen der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) am 25. März 2002 legte die Beschwerdeführerin neuerlich ihren Fluchtgrund dar. Abschließend gab die Beschwerdeführerin an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführerin):
"VL: Was würden Sie im Fall einer Rückkehr nach Nigeria befürchten?
BW: Ich habe Angst, sie würden mich umbringen, weil ich ihnen bereits erzählt habe, dass ich mich der Gesellschaft anschließen würde, dann aber geflohen bin.
VL: Wie sollten Sie diese Ogbonis jemals finden, wenn Sie nach Nigeria zurückkehren? Niemand würde wissen, dass Sie wieder in Nigeria sind und niemand würde wissen, wo Sie sich aufhalten würden?
BW: Bevor ich nach Nigeria zurückkehre, sterbe ich lieber.
VL: Die Frage wird wiederholt.
BW: Ich habe Ihnen schon vorher gesagt, ich weiß nicht, wie sie das machen. Sie haben schon viele Menschen auf diese Art umgebracht.
VL: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie jemand von den Ogboni in Nigeria finden würde? Das müsste doch schon ein ganz besonderer Zufall sein?
BW: Aber ich möchte nicht nach Nigeria zurückgehen. Wenn ich zurückginge, würde mich irgendwann sicher jemand erkennen. Die ganze Sache ist in Nigeria weithin bekannt. Sie haben sogar das Haus meines Vaters angezündet. Ich bitte Sie, hier bleiben zu dürfen.
VL: Sie sagen irgendwann würde Sie sicher jemand erkennen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, wenn Sie sich in einen anderen Landesteil von Nigeria begeben, dass Sie jemand von den Ogboni finden würde. Es ist vorstellbar, dass man Sie vielleicht in Ihrer Heimatregion finden und erkennen würde, es ist jedoch nicht vorstellbar, dass Sie in ganz Nigeria dermaßen bekannt sind, dass Sie dort als eine von den Ogboni gesuchte Person erkannt werden würden.
BW: Wohin sollte ich denn gehen?
VL: Beispielsweise in einen anderen Bundesstaat?
BW: Das möchte ich nicht. Ich kann nicht.
VL: Weshalb können Sie sich nicht in einen anderen Teil von Nigeria begeben?
BW: Weil ich finde, dass Nigeria nicht gut für mich ist. Es ist vergleichsweise so wie mit der von mir getragenen Jacke. Wenn ich finden würde, dass sie nicht mehr gut für mich ist, würde ich sie ausziehen.
..."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges und auszugsweiser Wiedergabe des zitierten Protokolls über ihre Berufungsverhandlung führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes sei die "begründete Furcht vor Verfolgung". Verlangt werde eine landesweite Verfolgungsgefahr, die ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und ihrerseits Ursache dafür sein müsse, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befinde. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Bedrohungssituation sei nicht landesweit gegeben. Vor dem Hintergrund, dass sie kein Mitglied der Ogboni-Gesellschaft sei, sie überhaupt keine Kenntnisse über die Ogboni habe - ihr dürftiges Wissen über die Gesellschaft habe sie selbst als Allgemeingut bezeichnet - sie sich sohin weder in einer exponierten Stellung eines Geheimnisträgers befinde und noch sonst eine Bedrohung für die Ogboni darstelle, sei nach menschlichem Ermessen nicht davon auszugehen, dass sie von den Mitgliedern der Ogboni überhaupt landesweit gesucht werden würde. Darüber hinaus wäre selbst eine landesweite Suche nach ihrer Person in Nigeria angesichts der enorm hohen Bevölkerungszahl (ca. 120 Millionen) verbunden mit dem Umstand, dass in Nigeria kein Meldewesen existiere, de facto aussichtslos. Auch im Hinblick auf das Vorbringen, dass die Ogbonis im Besitz eines Fotos von ihr wären, erscheine auf Grund der geografischen Größe und der großen Einwohnerzahl des Landes eine Suche nach ihr an Hand eines Fotos aussichtslos, zumal sie nicht behauptet habe und nach menschlichem Ermessen auch nicht angenommen werden könne, dass ihr Foto etwa tausende Male reproduziert und im gesamten Staatsgebiet von Nigeria an Ogboni-Mitglieder verteilt worden wäre. Lediglich durch einen besonderen Zufall erscheine es denkbar, dass die Beschwerdeführerin in einem anderen nigerianischen Teilstaat oder in einer Großstadt erkannt und aufgefunden werden könnte. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit hiefür liege jedoch nicht vor, sodass ihr bei einer Rückkehr nach Nigeria jedenfalls eine inländische Fluchtalternative hinsichtlich der geltend gemachten Bedrohung offen stehe. Die Beschwerdeführerin habe dem diesbezüglichen Vorhalt in der Berufungsverhandlung - abgesehen von ihrem Wunsch, lieber in Österreich bleiben zu wollen - letztlich nichts entgegensetzen können. Ihr habe sohin kein Asyl gewährt werden können. Betreffend den Spruchteil nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, eine Gefahr im Sinn des § 57 FrG müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Wie bereits dargestellt, sei die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Bedrohungssituation nicht landesweit gegeben. Ihr stehe eine inländische Fluchtalternative offen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde sprach der Beschwerdeführerin nicht die Glaubwürdigkeit in der Darstellung ihres Fluchtgrundes ab, sie ging jedoch davon aus, dass die Beschwerdeführerin von Mitgliedern der Ogboni nicht landesweit gesucht werde. Der Beschwerdeführerin stehe im Fall ihrer Rückkehr nach Nigeria jedenfalls eine inländische Fluchtalternative offen. Sie habe dem diesbezüglichen Vorhalt in der Berufungsverhandlung letztlich nichts entgegenzusetzen vermocht.
Die Beschwerde sieht - unter anderem - die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass die belangte Behörde zu Unrecht implizit von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin ausgehe. Wenn die belangte Behörde vermeine, dass die Beschwerdeführerin dem Vorhalt einer innerstaatlichen Schutzalternative nichts hätte entgegensetzen können, sei auf die Berufung zu verweisen. Die belangte Behörde habe ihrerseits die Ermittlungspflicht verletzt. Das gänzliche Unterlassen der Einholung objektiver Informationen über die Lage in Nigeria, insbesondere über die Unfähigkeit der Polizei, Staatsbürger vor dem Ogboni-Geheimbund zu schützen, stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Schon damit zeigt die Beschwerde Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:
Die Beschwerde verweist zutreffend darauf, dass dem Argument der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe dem Vorhalt einer innerstaatlichen Schutzalternative nichts entgegenzusetzen vermocht, durch das - von der belangten Behörde übergangene - Berufungsvorbringen der Boden entzogen ist. Abgesehen davon wäre die belangte Behörde jedenfalls gehalten gewesen, ihrer Rechtsansicht einer innerstaatlichen Schutzalternative ausreichende Sachverhaltsfeststellungen als Ergebnis einer nachvollziehbar begründeten Beweiswürdigung zu Grunde zu legen.
Da sich der angefochtene Bescheid schon insofern einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Wien, am 8. April 2003
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