VwGH 2002/01/0037

VwGH2002/01/003724.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des C auch C in Wien, geboren 1973, vertreten durch Dr. Stefan Wurst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Oktober 2001, Zl. 223.445/0-V/13/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste am 20. März 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die seinen Asylantrag abweisende Entscheidung des Bundesasylamtes "gemäß § 7 Asylgesetz" ab und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer Mitglied der islamisch-fundamentalistischen Oppositionsgruppierung FIS sei. Man habe ihn 1993 festgenommen und inhaftiert, um den Aufenthaltsort zweier weiterer FIS-Mitglieder in Erfahrung zu bringen. Nach 14-monatiger Haft sei der Beschwerdeführer freigelassen und in der Folge viermal von der Polizei verhört und misshandelt worden, woraufhin er 1995 Algerien Richtung Libyen verlassen habe.

Des Weiteren stellte die belangte Behörde "Zur allgemeinen Situation in Algerien" fest, dass die algerische Staatsregierung seit einiger Zeit den Weg der Versöhnung mit Angehörigen von radikal-islamistischen Bewegungen eingeschlagen habe und dass es seit dem Amtsantritt von Präsident Bouteflika zu einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage gekommen sei. Angesichts der Tatsache, dass immer noch rund 100 Menschen im Monat dem Terror zum Opfer fielen, wachse (jedoch) die Kritik an der Versöhnungspolitik des Präsidenten.

Der bekämpfte Bescheid fährt wie folgt fort:

"In mehreren Schritten wurden bereits im Jahre 1999 etwa 3.000 fundamentalistisch-islamische Kämpfer begnadigt, welche keine Blutverbrechen begangen hatten. Zum Zeichen der Aussöhnung des algerischen Staates mit den islamistischen Extremisten wurden am 29.05.1999 mehr als 4.000 Gefangene begnadigt. Die Anwendung des Gesetzes über die zivile Eintracht brachte für 1.500 reuige Islamisten auch der bewaffneten islamischen Gruppen (GIA und GSPC) eine weitere Amnestie. Eine weitere am 10.01.2000 verkündete Amnestie betraf 2.860 Kämpfer der AIS und anderer Gruppierungen. Präsident Bouteflika kündigte im Jahr 2000 eine weitere Amnestie für 5.000 bis 6.000 'Reuige', die ihre Waffen niedergelegt hätten, an.

Allgemein wird zur Situation in Algerien ausgeführt, dass gegenwärtig staatliche Repressionen, allein aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung nicht feststellbar sind. Die FIS bleibt zwar weiterhin verboten, eine Verbindung zur FIS allein führt aber nicht zu einer strafrechtlichen oder außergerichtlichen Verfolgung. So sind in mehreren im Parlament vertretenen Parteien z.B. ehemalige FIS-Mitglieder vertreten. ...

Im Rahmen der Politik der 'bürgerlichen Eintracht' wurde ein Gesetz erlassen, das reuigen Terroristen, die sich bis zum 13.01.2000 freiwillig den Behörden stellen, weitgehend Straffreiheit zubilligte. Diese Politik wurde in der Praxis umgesetzt."

Auf Grund der seit der Ausreise des Beschwerdeführers aus Algerien geänderten Situation für Angehörige islamischfundamentalistischer Gruppierungen könne nicht erkannt werden - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Schlussfolgerung -, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen habe, auf Grund seiner (vormaligen) Mitgliedschaft bei der FIS staatliche Verfolgung von maßgeblicher Eingriffsintensität befürchten zu müssen. Gemäß dem vorliegenden Informationsmaterial ergebe sich, dass Aktivisten radikal-islamistischer Oppositionsparteien amnestiert worden seien bzw. dass die bloße Mitgliedschaft zur FIS nicht (mehr) zu eingriffsintensiven staatlichen Repressionsmaßnahmen führe. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, dass sich der Beschwerdeführer nunmehr in wohlbegründeter Furcht vor diesbezüglicher Verfolgung befinde. Auch auf eine Gefährdung im Sinn des § 57 FrG bestehe kein Hinweis.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv ist dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr anzuwenden, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

Ausgehend von dieser Rechtslage können nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings darf es sich dabei nicht nur um vorübergehende Veränderungen handeln (vgl. mwN. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0171).

Im vorliegenden Fall folgte die belangte Behörde den Behauptungen des Beschwerdeführers über die von ihm erlittene 14- monatige Haft und über die im Anschluss daran bis zu seiner Ausreise regelmäßig erfolgten Festnahmen und Misshandlungen. Sie ging allerdings - der Sache nach auf den eben erwähnten Endigungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv Bezug nehmend - davon aus, dass sich die Situation in Algerien seit der Ausreise des Beschwerdeführers 1995 derart geändert habe, dass er eine Verfolgung nicht mehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten habe. Dieser Ansicht ist zunächst entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die konkrete Situation des Beschwerdeführers nur unzureichend berücksichtigt hat. Gemäß seinen, von der belangten Behörde offenbar für wahr erachteten Angaben wurde der Beschwerdeführer nur wegen der bloßen Mitgliedschaft zur FIS und wegen des Verschwindens von zwei Freunden verhaftet, ohne Gerichtsverfahren 14 Monate (bis Oktober 1994) festgehalten und schließlich "vorübergehend" (so die Angaben des Beschwerdeführers in der Ersteinvernahme) bzw. "auf beschränkte Zeit" (so seine Angaben in der mündlichen Berufungsverhandlung) aus der Haft entlassen und in der Folge mehrmals unter Zufügung von Misshandlungen verhört. Eine Miteinbeziehung dieser Vorgeschichte, die auf ein gesteigertes Interesse der algerischen Sicherheitskräfte an der Person des Beschwerdeführers hindeutet, in die prognostischen Überlegungen zur Situation, die er bei einer nunmehrigen Einreise nach Algerien zu erwarten hätte, lässt der bekämpfte Bescheid vermissen. Er trifft zwar eine allgemeine Aussage bezüglich des seit einiger Zeit eingeschlagenen "Weges der Versöhnung", doch lässt sich daraus nichts für das konkrete Einzelschicksal ableiten. Auch die Ausführungen über Begnadigungen und Amnestien geben diesbezüglich keine aussagekräftige Antwort, ist doch nicht zu sehen, inwieweit der Beschwerdeführer, gegen den gemäß seinen Behauptungen nie ein Strafverfahren geführt wurde, in den Genuss einer derartigen Begnadigung bzw. Amnestie gelangen könnte; nähere Feststellungen über die Voraussetzungen einer Begnadigung oder Amnestie hat die belangte Behörde nicht getroffen. Schließlich ist auch die Feststellung, eine Verbindung zur FIS allein führe nicht zu einer strafrechtlichen oder außergerichtlichen Verfolgung, zu allgemein gehalten, weil sie nicht darauf eingeht, dass der Beschwerdeführer bereits einmal massiv ins Blickfeld der algerischen Behörden geraten ist. Zudem ist unklar, ob das betreffend "eine Verbindung zur FIS" Ausgeführte auch auf Mitglieder der FIS durchschlägt, zumal insoweit im Rahmen der rechtlichen Beurteilung "nur" vom Fehlen "eingriffsintensiver staatlicher Repressionsmaßnahmen" und nicht mehr schlichtweg vom Ausbleiben (jeglicher) strafrechtlicher oder außergerichtlicher Verfolgung die Rede ist. Im Übrigen ist der belangten Behörde in diesem Zusammenhang eine nicht vollständige Würdigung der von ihr selbst herangezogenen Unterlagen vorzuwerfen: Gemäß dem bekämpften Bescheid gründen die Feststellungen zu Algerien u.a. auf Berichten des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Algerien vom 27. Jänner 2000 und vom 10. November 2000 sowie auf den Algerien betreffenden Bericht des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Juli 2000. Im letztgenannten Bericht wird die Situation für die FIS nach der im Bescheid dargestellten "Politik der Versöhnung" bzw. der Amnestieregelungen einleitend wie folgt dargestellt: "Der FIS bleibt weiterhin verboten und seine Anhänger in den Gefängnissen."

Darauf ist die belangte Behörde mit keinem Wort eingegangen. Sie folgte vielmehr den Darstellungen in den erwähnten Berichten des Auswärtigen Amtes, ohne zu begründen, wie diese Berichte mit dem Bericht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Einklang zu bringen sind.

Ist nach dem Gesagten schon grundsätzlich nicht ausreichend geklärt, in welche Situation der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Algerien geraten würde, so kann noch weniger davon die Rede sein, dass sich dem bekämpften Bescheid eine nachhaltige Änderung der Verhältnisse in Algerien, wie sie für das Vorliegen eines Endigungsgrundes nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv gegeben sein muss, entnehmen ließe. Diese Voraussetzung hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid wegen der insoweit prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. Juni 2003

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