VwGH 2001/18/0235

VwGH2001/18/02357.11.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, (geboren 1958), vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. Februar 2001, Zl. SD 767/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z8;
FrG 1997 §36 Abs3;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z8;
FrG 1997 §36 Abs3;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 8. Februar 2001 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und Z. 8 sowie § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei laut eigenen Angaben am 5. Juni 1992 nach Österreich eingereist und habe eine Aufenthaltsbewilligung bis zum 30. August 1993 erhalten. Ein anschließend gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sei im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres abgewiesen worden. Auf Grund einer dagegen eingebrachten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben. Mit Bescheid der Erstbehörde vom 27. Oktober 1995 sei der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Gegen den bestätigenden Bescheid der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, welcher die Beschwerde am 23. Juli 1998 als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt habe.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. November 1996 sei der Beschwerdeführer gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 2 Z. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon neun Monate bedingt, verurteilt worden. Diesem Urteil habe zugrunde gelegen, dass er am 26. September 1996 seinem Vater ein Küchenmesser mit einer zehn bis fünfzehn Zentimeter langen Klinge in den Bauch gestoßen und diesem dadurch eine schwere Verletzung am Körper zugefügt habe.

Auf Grund dieser Verurteilung habe die Erstbehörde am 24. Dezember 1996 gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot erlassen. Gegen den bestätigenden Berufungsbescheid der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, welcher mit Beschluss vom 15. Juli 1999 die Beschwerde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt habe.

Am 10. Juni 1998 sei der Beschwerdeführer auf einer Baustelle in Wien 22., von Beamten des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten bei einer Beschäftigung (Monteurarbeiten) betreten worden, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen. Diesbezüglich sei mit Straferkenntnis der "Magistratsabeilung für den 15. Bezirk" der persönlich haftende Gesellschafter eines näher genannten Bauunternehmens als Arbeitgeber des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 28 AuslBG rechtskräftig bestraft worden.

Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß gefährde. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots erweise sich daher im Grund des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - als gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit ca. acht Jahren in Österreich und lebe mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Er sei vom 25. März 1997 bis zum 16. Mai 1997 und vom 8. Juni 1998 bis zum 7. August 1998 als Arbeiter beschäftigt gewesen. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zu bejahen. Der Beschwerdeführer habe ohne begreifliches Motiv eine andere Person - noch dazu seinen eigenen Vater - schwer verletzt. Vor diesem Hintergrund und auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer ca. zwei Jahre später bei einer Beschäftigung betreten worden sei, die er nach dem AuslBG nicht hätte ausüben dürfen, könne eine Gefährlichkeitsprognose für den Beschwerdeführer keinesfalls zu seinen Gunsten ausfallen. Vielmehr sei die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Wahrung eines geordneten Arbeitsmarktes - als dringend geboten zu erachten. Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 FrG erforderlichen Interessenabwägung sei auf den etwa achtjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Dabei sei aber gleichzeitig zu berücksichtigen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert werde. Dass der (erwachsene) Beschwerdeführer wegen des Aufenthaltsverbotes nicht mehr mit seinen Eltern in Österreich zusammenleben könne, müsse er angesichts der genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen in Kauf nehmen. Von daher gesehen komme den privaten und familiären Bindungen des Beschwerdeführers jedenfalls kein solches Gewicht zu, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Eltern schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Die Bestimmung des § 38 FrG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ebenfalls nicht entgegen. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände, könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne vor Ablauf der festgelegten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ein Wegfall des für die Erlassung dieser fremdenpolizeilichen Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 24. September 2001, B 513/01). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt die Aufhebung des bekämpften Bescheides.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt zwar vor, die belangte Behörde habe nicht darzulegen vermocht, worin die nachteiligen Folgen im konkreten Fall liegen würden, sie bestreitet indes die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen - insbesondere jene betreffend die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers und sein dieser Verurteilung zugrunde liegendes Fehlverhalten sowie seine entgegen dem AuslBG ausgeübte Tätigkeit -

nicht. Das bloße, nicht weiter substantiierte Beschwerdevorbringen, der angefochtene Bescheid sei auf Grund unrichtiger Tatsachenfeststellung erlassen worden, und die belangte Behörde habe es in Verletzung von Verfahrensvorschriften unterlassen, den gesamten Sachverhalt zu ermitteln, obwohl sie die Pflicht zur materiellen Wahrheitsforschung treffe, reicht nicht aus, begründete Bedenken gegen die Bescheidfeststellungen zu erwecken, sodass diese der weiteren Beurteilung zugrunde zu legen sind (vgl. § 41 Abs. 1 erster Satz VwGG). In der vorliegenden Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass im Beschwerdefall die Tatbestände des § 36 Abs. 2 Z. 1 und 8 FrG verwirklicht worden seien, unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt auf dem Boden der unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen gegen diese rechtliche Beurteilung keine Bedenken.

In dem gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität gerichteten Fehlverhalten des Beschwerdeführers manifestiert sich die von ihm ausgehende beträchtliche Gefahr für die körperliche Sicherheit und Unversehrtheit anderer. Ferner hat der Beschwerdeführer durch die besagte entgegen dem AuslBG ausgeübte Tätigkeit dem großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Schwarzarbeit maßgeblich zuwidergehandelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/18/0410). Durch dieses Fehlverhalten insgesamt hat der Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung derart gravierend beeinträchtigt, dass es nicht als rechtswidrig angesehen werden kann, wenn die Behörde die Auffassung vertreten hat, dass die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei.

Mit dem Hinweis des Beschwerdeführers in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde, seine Tat sei, wenngleich nicht entschuldbar, so "doch auch nicht schlechthin unbegreiflich", weil - wie sich aus dem beigeschafften Strafakt ergebe - der Beschwerdeführer in "sehr belastenden Verhältnissen" lebe (er wohne mit seinen Eltern auf engstem Raum und sei "auf Grund des laufenden Aufenthaltsverfahrens" ohne Arbeit gewesen, was eine Situation darstelle, die "sicherlich auch bei psychisch gefestigten Menschen zu Aggressionen führen" könne), ist für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, wird doch auf Grund der materiellen Rechtskraft des mit dem in Rede stehenden Urteil erfolgten Schuldspruchs bewirkt, dass dadurch (vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens) mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann, bindend festgestellt ist, dass der Beschwerdeführer die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2000, Zl. 2000/18/0133). Dass - wie der Beschwerdeführer meint - seine in Rede stehende Verurteilung am 26. November 2001 - somit nach Erlassung des angefochtenen Bescheids - getilgt sein würde, vermag an der vorstehenden Beurteilung nichts zu ändern. Zum einen hatte die belangte Behörde im Grund des § 36 Abs. 3 FrG die genannte zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids noch nicht getilgte Verurteilung bei der Beurteilung nach § 36 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. zu berücksichtigen, zum anderen würde auch die Tilgung einer Verurteilung der Berücksichtigung der ihr zugrunde liegenden Straftat im Rahmen des Gesamt(fehl)verhaltens nach § 36 Abs. 1 FrG nicht entgegenstehen (vgl. aus der hg. Rechtssprechung etwa das Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/18/0074).

2.1. Im Licht des § 37 Abs. 1 und 2 FrG bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes massiv in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreife und dies von der belangten Behörde nicht ins Kalkül gezogen worden sei.

2.2. Auch mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Bei ihrer Beurteilung nach § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers - in einer Dauer von etwa achteinhalb Jahren - sowie sein Zusammenleben mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt und seine (kurze) berufliche Tätigkeit als Arbeiter berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Sie hat aber auch - unter gebührender Beachtung dieser persönlichen Interessen - zu Recht den Standpunkt vertreten, dass diese Maßnahme angesichts des besagten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers (vgl. oben II.1.) zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (hier: der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und des Schutzes der Rechte Dritter) dringend geboten und demnach gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei. Von daher erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Wenngleich die für seinen Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen nicht unbeträchtlich sind, kommt ihnen doch kein größeres Gewicht zu als dem durch das besagte Fehlverhalten des Beschwerdeführers nachhaltig beeinträchtigten Allgemeininteresse. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration des Beschwerdeführers erscheint in ihrer für das Gewicht dieses Abwägungskriteriums wesentlichen sozialen Komponente durch die gegen seinen Vater gerichtete schwere Straftat maßgeblich gemindert. Ferner kommt seinem Interesse an einem Zusammenleben mit seinen Eltern im Bundesgebiet angesichts des unstrittigen Umstandes, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits erwachsen war, nicht das bedeutende Gewicht zu, das ihnen von der Beschwerde zugemessen wird.

3. Schließlich macht die Beschwerde, die der belangten Behörde auch Ermessensmissbrauch vorwirft, nichts geltend, was eine Ausübung des der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessens zu Gunsten des Beschwerdeführers geboten hätte; ferner ergeben sich auch aus dem angefochtenen Bescheid im Zusammenhalt mit den vorgelegten Verwaltungsakten keine Aspekte für eine solche Ermessensausübung. Entgegen der Beschwerde hat sich die belangte Behörde auch mit dem ihr eingeräumten Ermessen auseinander gesetzt (vgl. die Wiedergabe des bekämpften Bescheids oben I.1.); der insoweit gerügte Verstoß gegen die Begründungspflicht liegt demnach nicht vor.

4. Da sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 7. November 2003

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