Normen
AsylG 1997 §5 Abs1;
AuslG-D 1990 §55;
AuslG-D 1990 §56;
Dubliner Übk 1997 Art1 Abs1 lite;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs1;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs4;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AuslG-D 1990 §55;
AuslG-D 1990 §56;
Dubliner Übk 1997 Art1 Abs1 lite;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs1;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs4;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, reiste am 22. September 2000 von Deutschland kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte am 2. Oktober 2000 Asyl. Mit Bescheid vom 19. Jänner 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Das Bundesasylamt verband diese Entscheidung mit der Feststellung, für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 5 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens (in der Folge: DÜ) Deutschland zuständig, und mit der Ausweisung des Beschwerdeführers "nach Deutschland". Es ging davon aus, der Beschwerdeführer habe sich - wie von ihm angegeben -
von 1993 oder 1994 bis zum 29. Oktober 1999 sowie - nach einem einmonatigen Aufenthalt bei seinen Eltern in Bjelina - vom 28. November 1999 bis zu seiner Einreise in das Bundesgebiet am 22. September 2000 in Deutschland aufgehalten und über eine "Aussetzung der Abschiebung (Duldung)" bis zum 26. März 1999 verfügt. Bei seiner Asylantragstellung in Österreich sei er somit "im Besitz einer deutschen Duldung, die weniger als zwei Jahre abgelaufen ist", gewesen. Gemäß Art. 5 Abs. 4 DÜ sei der Mitgliedstaat, für den der Asylbewerber eine "seit weniger als zwei Jahren abgelaufene Aufenthaltsberechtigung besitzt", für die Prüfung des Asylantrages zuständig. Deutschland habe sich auf dieser Grundlage bereit erklärt, den Beschwerdeführer einreisen zu lassen und seinen Asylantrag zu prüfen.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, seine "Aufenthaltsberechtigung" in Deutschland sei "nur eine Duldung" gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab, wobei sie die Feststellungen des Bundesasylamtes übernahm und sich auch den rechtlichen Ausführungen des Bundesasylamtes, denen "nichts mehr hinzuzufügen" sei, anschloss.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Ein nicht wegen Drittstaatsicherheit gemäß § 4 AsylG zurückgewiesener Asylantrag ist gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid ist mit einer Ausweisung zu verbinden.
Der im vorliegenden Fall von den Behörden des Verwaltungsverfahrens herangezogene Art. 5 DÜ, BGBl. III Nr. 165/1997, lautet in den hier wesentlichen Teilen:
"Artikel 5
(1) Besitzt der Asylbewerber eine gültige Aufenthaltserlaubnis, so ist der Mitgliedstaat, der die Aufenthaltserlaubnis erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig.
(2) Besitzt der Asylbewerber ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig, soweit nicht einer der nachstehenden Fälle vorliegt: ...
(3) Besitzt der Asylbewerber mehrere gültige Aufenthaltsgenehmigungen oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so ist für die Prüfung des Asylantrags in folgender Reihenfolge zuständig: ...
(4) Besitzt der Asylbewerber nur eine oder mehrere seit weniger als zwei Jahren abgelaufene Aufenthaltsgenehmigungen oder ein oder mehrere seit weniger als sechs Monaten abgelaufene Visa, auf Grund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Ausländer das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Besitzt der Asylbewerber eine oder mehrere seit mehr als zwei Jahren abgelaufene Aufenthaltsgenehmigungen oder ein oder mehrere seit mehr als sechs Monaten abgelaufene Visa, auf Grund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat der Ausländer das gemeinsame Hoheitsgebiet nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag gestellt wird."
Im vorliegenden Fall ist im Lichte des Beschwerdevorbringens nur strittig, ob die "Duldung" des Beschwerdeführers in Deutschland bis zum 26. März 1999 eine "Aufenthaltsgenehmigung" im Sinne des Art. 5 Abs. 4 DÜ war.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. e DÜ gilt als "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne dieses Übereinkommens "jede von den Behörden eines Mitgliedstaates erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Ausländers im Hoheitsgebiet dieses Staats gestattet wird, mit Ausnahme der Visa und Aufenthaltsgenehmigungen, die während der Prüfung eines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis oder eines Asylantrags ausgestellt werden".
Dass die "Duldung" des Beschwerdeführers in Deutschland dieser - im erstinstanzlichen und im angefochtenen Bescheid nicht erwähnten - Begriffsbestimmung entsprach, erschien der Behörde erster Instanz und der belangten Behörde nicht als begründungsbedürftig. Die Bescheide enthalten auch keine näheren Feststellungen darüber, unter welchen Umständen es in Deutschland zur "Duldung" des Beschwerdeführers kam, auf welchen der dafür in Frage kommenden Tatbestände sich die "Duldung" stützte und wie die zeitweise "Duldung" und schließlich die Rückkehr so genannter Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, zu denen der Beschwerdeführer vermutlich gezählt wurde, im Besonderen in Berlin, wo sich der Beschwerdeführer aufgehalten haben soll, gehandhabt wurde. Die Ansicht, Deutschland habe dem Beschwerdeführer eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des Dubliner Übereinkommens erteilt, gründet sich auf seinen "Besitz einer deutschen Duldung" schlechthin.
Im Schrifttum wird zumindest vereinzelt die Ansicht vertreten, die in der Staatenpraxis "strittige" Frage, ob ein Abschiebungsaufschub nach österreichischem Recht oder eine "Duldung" nach den §§ 55, 56 dAuslG eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des Dubliner Übereinkommens seien, könne u.a. bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 4 DÜ dahingestellt bleiben, weil "hier eine zusätzliche Qualifikation gefordert" sei, "nämlich dass der Ausländer auf Grund der Aufenthaltsgenehmigung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates habe einreisen können. Ein Abschiebungsaufschub und eine Duldung berechtigen weder zur Einreise in das Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaates, noch eines anderen Mitgliedstaates" (Schmid in Schmid/Bartels, Handbuch zum Dubliner Übereinkommen, 2001, 70 f, unter Hinweis auf den zur hg. Zl. 2000/01/0406 angefochtenen gegenteiligen Bescheid der belangten Behörde vom 26. September 2000, Zl. 218.442/0-XI/33/00, in dem die Duldung als Aufenthaltserlaubnis beurteilt worden sei).
Diesem Argument ist nicht zu folgen, weil die Beifügung ("auf Grund deren ...") mit dem Erfordernis der tatsächlichen Einreise auf Grund der erteilten Genehmigung sich in Art. 5 Abs. 4 DÜ nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nur auf abgelaufene Visa, aber nicht auch auf abgelaufene Aufenthaltsgenehmigungen bezieht. Das wird vor allem durch den gleichermaßen verbindlichen englischen Text des Abkommens klargestellt ("one or more residence permits which have expired less than two years previously or one or more visas which have expired less than six months previously and enabled him or her actually to enter the territory"). Es bedeutet den Ausschluss unbenützt abgelaufener Visa, aber nicht auch den Ausschluss von Aufenthaltsgenehmigungen, die erst nach der Einreise erteilt wurden oder für die Einreise ohne Bedeutung waren.
In Bezug auf die demnach - für den vorliegenden Fall - zu beantwortende Frage, ob jede "Duldung" nach den §§ 55, 56 des deutschen AuslG (dAuslG) eine "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne des Dubliner Übereinkommens sei, wird von Löper (Zeitschrift für Ausländerrechte 2000, 16 (20)) die Ansicht vertreten, dass dies "bei einer engen, am Wortlaut orientierten Interpretation" nicht der Fall sei, weil die "Duldung" die Ausreisepflicht unberührt lasse und keinen "positiven Status" vermittle. Dass es auf einen solchen Status ankomme, leitet Schmid (a.a.O.) aus der Wortwahl im englischen Text der Begriffsbestimmung des Art. 1 Abs. 1 lit. e DÜ ab ("any authorization issued by the authorities of a Member State authorizing an alien to stay in its territory ...").
Die "Duldung" nach deutschem Recht besteht in der Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers (§ 55 Abs. 1 dAuslG) und lässt seine Ausreisepflicht unberührt (§ 56 Abs. 1 dAuslG). Sie ist befristet und wird widerrufen, "wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen" (§ 56 Abs. 2 und 5 dAuslG). Renner führt dazu aus, dieses Rechtsinstitut sei unter einer früheren Rechtslage zur Ermöglichung humanitär motivierter und politisch erwünschter Daueraufenthalte zu einem Aufenthaltsrecht "zweiter Klasse" zweckentfremdet worden, nunmehr aber wieder auf seine "eigentliche vollstreckungsrechtliche Funktion zurückgeführt und nach Voraussetzungen und Wirkungen gegenüber Aufenthaltsgenehmigungen abgegrenzt" (Ausländerrecht7, 1999, Rz 2 zu § 55 dAuslG). Die Duldung sei zwar "mehr als die durch tatsächliches Verwaltungshandeln zum Ausdruck gebrachte Billigung eines rechtswidrigen Zustands ..., nämlich die förmliche Aussetzung der Vollziehung der Ausreiseverpflichtung im Einzelfall durch einen schriftlichen Bescheid" (a.a.O., Rz 3) und bewirke u. a., dass der geduldete Aufenthalt nicht strafbar sei und keinen Ausweisungsgrund darstelle und eine Arbeitserlaubnis erteilt werden könne; im Übrigen sei die Rechtsstellung des geduldeten Ausländers aber unsicher (a.a.O., Rz 4). Die Duldung sei "kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 5" dAuslG ("Arten der Aufenthaltsgenehmigung") und "auch sonst nicht geeignet, einen rechtmäßigen Aufenthalt zu begründen"; nur in der Vergangenheit habe sie ausnahmsweise zur Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes führen können, wenn sie "als Ersatz für ein Aufenthaltsrecht" gedient habe; obwohl sie "den Aufenthalt nicht legalisiert", könne sie die Grundlage arbeits- und sozialrechtlicher Vergünstigungen oder Ansprüche bilden (a.a.O., Rz 2 zu § 56 dAuslG; zum Ganzen der Sache nach ähnlich - wenngleich unter Verwendung des Ausdrucks "Legalisierung" - Hailbronner, Ausländerrecht, 27.
Ergänzungslieferung Dezember 2000, Rz 1 bis 8 zu § 55 dAuslG; zum Verständnis der Duldung als solcher in der deutschen Rechtsprechung auch die von Hailbronner, a.a.O., Rz 39 bis 41, referierte Judikatur).
Ein Rechtsinstitut, das "nicht geeignet" ist, "einen rechtmäßigen Aufenthalt zu begründen", kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht - oder zumindest nicht allgemein - als "Erlaubnis" (Art. 1 Abs. 1 lit. e und Art. 5 Abs. 1 DÜ) bzw. "Genehmigung" des Aufenthaltes (Art. 5 Abs. 4 DÜ; im englischen Text an allen drei Stellen einheitlich als "residence permit" bezeichnet) verstanden werden (vgl. auch die Nachweise bei Hailbronner, a.a.O., Rz 8 zu § 55 dAuslG sowie Rz 2 zu § 56 dAuslG, zum Fehlen eines rechtmäßigen Aufenthaltes im Sinne internationaler Vereinbarungen wie des Staatenlosenübereinkommens oder der Flüchtlingskonvention bei bloßer Duldung). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das "Zurechenbarkeitsprinzip des DÜ" eine Auslegung erfordere, nach der es ausschlaggebend sei, dass es in den Fällen, in denen eine deutsche Ausländerbehörde eine Duldung erteile, "Deutschland zuzurechnen" sei, "dass sich der Asylbewerber im gemeinsamen Hoheitsgebiet aufhält". Diese Art von "Verantwortung" unterscheidet sich - zumindest im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der für eine "Duldung" nach deutschem Recht in Betracht kommenden Fälle - nicht maßgeblich von derjenigen, die sich schon aus dem faktischen Unterbleiben der Abschiebung ergibt.
Die Ansicht der belangten Behörde, der "Besitz einer deutschen Duldung, die weniger als zwei Jahre abgelaufen ist", reiche aus, um den Asylantrag gemäß § 5 AsylG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 DÜ als unzulässig zurückzuweisen, entspricht daher nicht dem Gesetz.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. September 2002
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