VwGH 2000/20/0037

VwGH2000/20/003721.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des ZE in S, geboren am 8. Juli 1969, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Domgasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Dezember 1998, Zl. 204.459/0-IX/25/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 1. März 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. März und 18. März 1996 gab er an, er habe schon seit März 1995 den Irak verlassen wollen, um sich anderswo eine Zukunft aufzubauen. Im Oktober 1995 habe er sich u.a. zu diesem Zweck eine Geburtsurkunde ausstellen lassen, Anfang November 1995 habe er geheiratet. Zehn Tage nach der Hochzeit seien seine Gattin und er bei der Heimfahrt in einem Taxi von bewaffneten Männern angehalten worden. Die Männer hätten versucht, die Gattin des Beschwerdeführers aus dem Taxi zu zerren, aber losgelassen, als der Beschwerdeführer und seine Gattin geschrieen hätten. Anfang Dezember 1995 habe der Beschwerdeführer einen Anruf von Verwandten seiner Gattin in Amerika bekommen. Es sei über die schlechte wirtschaftliche Situation im Irak gesprochen worden. Plötzlich sei das Telefon unterbrochen worden und zehn Minuten später seien Sicherheitsbeamte erschienen, die den Beschwerdeführer festgenommen hätten. Er sei in ein Gebäude zum Verhör gebracht und befragt worden, warum es ihm im Irak schlecht gehen solle. Der Beschwerdeführer habe geleugnet, dies gesagt zu haben, habe daraufhin zwei Ohrfeigen bekommen und zehn Tage lang dort bleiben müssen. In dieser Zeit habe er immer wieder Schläge bekommen, dann sei er entlassen worden. Ende Jänner 1996 sei er gemeinsam mit seiner Gattin über Mosul nach Zacho gereist und von einem Schlepper über die Grenze in die Türkei gebracht worden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 18. März 1996 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab, weil der Beschwerdeführer im Irak "keine Verfolgung zu befürchten" habe.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung präzisierte der Beschwerdeführer die Darstellung in Bezug auf den Vorfall nach seiner Hochzeit, von dem er nun angab, er habe sich einen Tag nach der Hochzeit ereignet, dahingehend, "Personen, die für das Sicherheitsamt tätig" gewesen seien, hätten ihn und seine Gattin observiert und das Auto angehalten, um die Gattin des Beschwerdeführers zu vergewaltigen und zu entführen. Der Beschwerdeführer und seine Gattin hätten sich verteidigt. Als ihnen "ein Auto zu Hilfe" gekommen sei, seien die Angreifer geflüchtet. Weiters wiederholte der Beschwerdeführer die Darstellung seiner Inhaftierung im Anschluss an das Telefonat mit den Verwandten seiner Gattin in Amerika. Später seien ihm und seiner Gattin "das Lebensmittelcoupon" und das Telefon weggenommen worden und für einige Stunden sei auch der Strom unterbrochen worden. Die Gattin des Beschwerdeführers sei mehr als er selbst unterdrückt, weil die irakische Regierung einen ihrer Brüder umgebracht habe, der zweite Bruder sei verschwunden. Ihr Vater habe nach Amman flüchten können. Das Haus sei zwei Mal nach ihm durchsucht worden. Beim dritten Mal hätten der Beschwerdeführer und seine Gattin gesagt, deren Vater sei abgereist. Daraufhin sei ihnen erklärt worden, er sei vor der Regierung geflüchtet und sie kämen jetzt dran. Der Zustand der Gattin des Beschwerdeführers sei sehr schlecht, was auch bei der erstinstanzlichen Einvernahme bemerkt worden sei. Sie habe große Angst. Sollten der Beschwerdeführer und seine Gattin in den Irak abgeschoben werden, so würden sie umgebracht werden.

Die mit 1. Jänner 1998 für die Erledigung dieser Berufung zuständig gewordene belangte Behörde nahm von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung Abstand, weil der Sachverhalt "aus der Aktenlage geklärt" erscheine, und wies die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab. Sie gründete ihre Entscheidung darauf, dass die erstinstanzlichen Angaben keine asylrelevante Verfolgungsgefahr erkennen ließen und dem gesteigerten Berufungsvorbringen "die gänzliche Glaubwürdigkeit abgesprochen" werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer rügt ausdrücklich und mit Recht, dass die belangte Behörde dadurch, dass sie seinem Berufungsvorbringen ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die Glaubwürdigkeit absprach, ihre gesetzliche Verhandlungspflicht verletzt habe, und er erwähnt in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308. Nach den Maßstäben dieses Erkenntnisses, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hätte die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen, wobei auch dann, wenn der Beschwerdeführer den Irak zunächst nur aus wirtschaftlichen Gründen verlassen wollte, nicht auszuschließen ist, dass sich bei Berücksichtigung seiner Festnahme wegen eines Telefonates über die schlechte Wirtschaftslage, seiner Behauptungen über eine politische Verfolgung der Brüder und des Vaters seiner Gattin und seiner in die Erwägungen einzubeziehenden unerlaubten Ausreise aus dem Irak ergeben hätte, dass ihm bei einer Rückkehr dorthin die Gefahr einer auf der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhenden Verfolgung drohen würde (vgl. zur möglichen Asylrelevanz der Sanktionen für die unerlaubte Ausreise aus dem Irak die im Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, zusammengefasste hg. Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. November 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte