Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von D, gelangte am 17. März 1999 in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. März 1999 gab er zu seinen Fluchtgründen an:
"Einige meiner Verwandten waren höhere Mitglieder der demokrat. Partei. Wie Sie sicherlich wissen, gibt es Probleme. Eine Nichte von mir ist persönliche Beraterin von Ex-Präsident C in wirtschaftl. Belangen. Sie heißt FM. Eine weitere Verwandte, NM, ist die erste Journalistin des Rundfunks und Fernsehens sowie die erste Sprecherin der demokrat. Partei.
Als die Sozialisten in der Macht auftraten, war unsere dem Terror und den Malträtierungen der sozial. Partei ausgesetzt. Es war sogar Kopfgeld ausgeschrieben. Deswegen ist N schon seit Oktober des Jahres 1997 in Italien.
...
N ist im Mai 1998 aus Italien zurückgekommen. Sie hat ihre Arbeit beim Rundfunk der demokrat. Partei fortgesetzt. Dann hat die sozial. Partei einen Haftbefehl für sie herbeigeführt, mit der Begründung, dass sie im Radio und Fernsehen gegen die sozial. Partei gesprochen hat. Von diesem Haftbefehl erfuhren wir durch das Fernsehen. Daraufhin hat ihr Vater sofort die neuerliche Flucht organisiert. Sie fuhr im Juni 1998 wieder nach Italien.
Wir wurden unter Druck gesetzt und malträtiert. Wir wurden seitens unbekannter Leute anonym telefon. belästigt. So haben seit der ersten Flucht meiner Nichte nach Italien etwa vier- bis fünfmal pro Woche abends meist verschiedene Leute bei uns angerufen und uns bedroht. Oft riefen auch dieselben Leute mehrmals an. Sie verlangten, dass wir das Land verlassen sollten oder sterben würden. Auch ich selbst war oft am 'Gemeinschaftstelefon', diese Leute waren aber gar nicht auf irgendeine Antwort eingestellt.
Am 29. Dezember 1998 um 20.00 Uhr am Abend war in unserem Bezirk kein Strom - das kommt öfter vor. Ich war mit meiner Familie und meinem Bruder, sowie seiner Frau und seinem Sohn zu Hause als es klingelte. Mein Neffe hat die Tür aufgemacht, woraufhin er sofort geschlagen wurde und wir ihn schreien hörten. Kurz darauf - wir hatten nicht einmal Zeit, aufzustehen - kamen 7 bis 8 maskierte bewaffnete Männer herein. Sie schlugen uns kommentarlos nieder, indem sie auf jeden von uns mit dem Gewehrkolben eingeschlagen haben. Dann schlugen sie auch unsere Möbel kurz und klein und zerbrachen Gläser und zerrissen jedes Papier und schlugen das Geschirr auf den Boden. Das alles hat etwa eine Viertelstunde gedauert. Sie schimpften nur zwischendurch, unterhielten sich aber nicht direkt mit uns. Ich erkannte keinen an der Stimme oder an seinem Aussehen. Ich habe vermutet, dass sie annahmen, dass wir N im Haus versteckt hielten, weil sie alles durchsuchten.
Sie haben uns überall geschlagen, so dass wir danach überall, auch auf dem Bauch blaue Flecken hatten. Mein Neffe blutete sogar
von der Kopfhaut. ... Es herrscht eine hohe Kriminalität in D. Ich
selbst habe nur 'blaue Flecken' davongetragen. Da meine Familie zu den Intellektuellen zählt, haben wir nicht daran gedacht, uns vorsichtshalber eine Waffe zuzulegen. Außerdem ist es für die Sozialisten normal, wenn sie illegale Waffen tragen, aber wir werden deswegen verfolgt. Hätte die Polizei bei uns eine Hausdurchsuchung durchgeführt, hätte sie uns belangt. Diese Behauptung stütze ich darauf, dass es bei uns ein Gesetz gibt, das es den Leuten verbietet, eine Waffe zu besitzen. Nur Leute, die ein großes Vermögen haben, dürfen einen Antrag auf einen Waffenbesitz stellen.
...
Unmittelbar nachdem die Täter weg waren, erhielten wir einen Anruf, demzufolge wir D in den nächsten Tagen zu verlassen hätten, weil wir sonst umgebracht würden.
Meine beiden Brüder sind tatsächlich am 3. oder 4. Jänner ausgewandert.
Alle Nachbarn haben den Vorfall am 29.12. bemerkt, aber niemand wagte sich hinaus. Niemand alarmierte die Polizei. Jeder hat zu große Angst vor solchen Banditen.
Wir waren am nächsten Tag bei der Polizei um Anzeige zu erstatten.
Dort wurde ein Protokoll aufgenommen. Auf unsere Frage, wie
die Polizisten vorgehen werden, um die Täter zu erwischen, haben
sie uns gesagt, dass das ihre Sache sei. ... Die Polizisten sind
bei uns zwei- oder dreimal wöchentlich auf dem Spaziergang durch
die Stadt zu hören, ... Sonst machen sie nichts."
Mit Bescheid vom 23. März 1999 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach D zulässig sei. Begründend führte die Erstbehörde nach detaillierter Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers zusammengefasst aus, die Behauptungen des Beschwerdeführers, aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe von Verfolgung bedroht zu sein, hätten nicht als glaubwürdig qualifiziert werden können. Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers bestünde auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den genannten Gründen. Damit entfielen die Voraussetzungen nach § 57 Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) für eine Feststellung nach § 8 AsylG. Betreffend das Vorliegen einer drohenden Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG verwies die Erstbehörde darauf, dass D am 18. August 1992 die Genfer Flüchtlingskonvention und am 2. Oktober 1996 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert und eine Erklärung nach Art. 25 EMRK abgegeben habe und 1995 sogar in den Europarat aufgenommen worden sei. Auch aus der allgemeinen Lage in D ergebe sich eine solche Gefährdung nicht.
In seiner dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer unter anderem auf die "Unfähigkeit" der d Polizisten, auf die nur theoretische Existenz des Staates und das mangelhafte Rechtssystem in D hin.
Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach D zulässig sei. Nach Darstellung des Verfahrensganges traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:
"Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie sowie jener seines Bruders, inklusive seiner Nichten N und N, in seinem Elternhaus wohnte. Seine Nichte N war von Oktober des Jahres 1997 bis Mai 1998 auf Grund der damaligen Spannungen zwischen der Sozialistischen und der Demokratischen Partei, welcher sie angehörte und für welche sie beim Rundfunk arbeitete, in Italien aufhältig. Nach ihrer Rückkehr nach D nahm sie ihre Arbeit beim Rundfunk der Demokratischen Partei wieder auf bis ein Haftbefehl gegen sie erlassen wurde, da sie im Radio und Fernsehen gegen die Sozialistische Partei gesprochen hatte, und sie im Juni 1998 erneut nach Italien fuhr. In der Folge wurde der Beschwerdeführer unter Druck gesetzt. Er wurde seitens unbekannter Personen anonym telefonisch belästigt. So hatten etwa bereits seit der ersten Flucht seiner Nichte nach Italien etwa vier bis fünfmal pro Woche abends meist verschiedene Personen beim Beschwerdeführer und seiner Familie angerufen und diese bedroht sowie verlangt, dass sie das Land verlassen sollten oder sterben würden. Am 29.12.1998 um 20.00 Uhr wurde der Beschwerdeführer und seine Familie von sieben bis acht maskierten bewaffneten Männern überfallen und kommentarlos niedergeschlagen. In der Folge zerstörten diese Männer die Möbel und verwüsteten die Wohnung, wobei der Beschwerdeführer vermutete, dass diese Männer seine Nichte N suchen würden, da sie alles durchsuchten. Unmittelbar nachdem die Täter weg waren, erhielt die Familie des Beschwerdeführers einen Anruf, demzufolge sie D in den nächsten Tagen zu verlassen hätten, da sie sonst umgebracht werden würden. Der Beschwerdeführer war am nächsten Tag gemeinsam mit seiner Familie bei der Polizei um Anzeige zu erstatten. Bei der Polizei wurde ein Protokoll aufgenommen.
Weiters wird festgestellt, dass auf Grund verbesserter Ausbildung der Polizeibeamten unter Schaffung von Sondereinheiten von einer etwas besseren Leistung der Polizei gesprochen werden kann als etwa in den Jahren vor 1999. Es ist der Polizei z. B. gelungen, 32 kriminelle Gruppierungen (sowohl demokratischer als auch sozialistischer Gesinnung) zu zerschlagen. Polizeibehörden sind zwar auch heute noch in D teilweise und regional unterschiedlich in Politik und Korruption verwickelt, doch stellt sich die Situation nicht so dar, dass überhaupt keine staatliche Ordnungsmacht vorhanden ist. Die d Regierung ist bemüht, Korruption bei den Polizeibehörden zurückzudrängen, die Ausbildung der Polizisten zu verbessern und die Effizienz der Polizeiarbeit zu erhöhen, was etwa durch ein neues Polizeigesetz sowie durch neu geschaffene Sondereinheiten immer mehr umgesetzt wird."
Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, die vom Beschwerdeführer individuell vorgebrachten Umstände ergäben sich aus seinem Vorbringen anlässlich seiner Einvernahme vom 18. März 1999 in Verbindung mit seiner Berufung. Die allgemeinen Ausführungen betreffend die Polizeibehörden in D ergäben sich aus einem aktuellen Bericht des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge vom 13. April 2000. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst könne nicht erkannt werden, dass in D etwa jegliche polizeiliche Ordnungsmacht fehlen würde. Der Beschwerdeführer habe bei der Polizei Anzeige betreffend den Überfall durch sieben maskierte Männer erstatten können, worüber ein Protokoll angefertigt worden sei. Daraus sei ersichtlich, dass jedenfalls staatliche Ordnungskräfte im Heimatland des Beschwerdeführers vorhanden seien und diese jedenfalls in einem Mindestmaß tätig würden. Der Behauptung in seiner Berufung, sein Heimatstaat existiere nur theoretisch, könne sohin nicht gefolgt werden, weil, wie oben dargelegt, sehr wohl staatliche Strukturen vorhanden seien.
Rechtlich folge - in Ansehung des § 7 AsylG - aus dem festgestellten Sachverhalt, dass sich die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Furcht vor Bedrohung durch anonyme, maskierte Männer als Furcht vor Verfolgung durch Private darstelle. Vor dem Hintergrund des dargestellten Sachverhaltes, wonach in D sehr wohl eine polizeiliche Ordnungsmacht existiere, könne die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Furcht vor Verfolgung durch Private nicht dem Heimatstaat zugerechnet werden. Dass der vom Heimatstaat des Beschwerdeführers zu erwartende Schutz nicht lückenlos sei bzw. in anderen Staaten polizeilicher Schutz regelmäßig einen höheren Standard aufweise als in D, ändere letztlich nichts an dem Umstand, dass dennoch ein Mindestmaß an staatlicher Ordnungsmacht vorhanden sei, die sowohl gegen Gruppierungen sozialistischer als auch demokratischer Gesinnung vorgehe. Nach dem vorliegenden Bericht des Schweizer Flüchtlingsamtes könne sohin keineswegs gesagt werden, dass etwa jegliche Staatsgewalt in D fehle.
Betreffend die Feststellung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 57 Abs. 2 FrG sei bereits unter dem Abspruch nach § 7 AsylG geprüft und verneint worden. In concreto könne nicht erkannt werden, dass der Heimatstaat des Beschwerdeführers die von ihm geltend gemachte Bedrohung durch anonyme Private billige. Vielmehr sei seitens der Polizeibehörden eine Anzeige entgegengenommen und ein entsprechendes Protokoll angefertigt worden. Im Übrigen werde auf die "obigen Ausführungen" zur Effizienz der Polizeiarbeit in D verwiesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
§ 7 AsylG lautet:
"Die Behörde hat Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, und vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0205, mwN).
Die belangte Behörde gelangte - unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 18. März 1999 sowie des Vorbringens in seiner Berufung - zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer und seine Familie am 29. Dezember 1998 in offenbarem Zusammenhang mit der politischen Betätigung naher Angehöriger für die Demokratische Partei von einer Gruppe maskierter und bewaffneter Männer - unter Devastierung der Wohnung - überfallen und niedergeschlagen und unmittelbar darauf unter Todesdrohung zum Verlassen des Landes aufgefordert worden sei. Sie stützt den angefochtenen Bescheid darauf, dass auf Grund verbesserter Ausbildung der Polizeibeamten "von einer etwas besseren Leistung der Polizei gesprochen werden" könne, ohne jedoch nähere Feststellungen zu treffen, inwiefern die relative Leistungssteigerung sich in einem effektiven staatlichen Schutz manifestiert. Auch die weitere Feststellung, der Polizei sei es gelungen, kriminelle Gruppierungen zu zerschlagen, verschafft keinen Anhaltspunkt dafür, in welchem Ausmaß nunmehr - bezogen auf den Beschwerdeführer (und seine Familie) - von staatlicher Schutzgewährung ausgegangen werden kann. Die Feststellung, die Situation stelle sich nicht so dar, dass überhaupt keine staatliche Ordnungsmacht vorhanden sei, stellt mit ihrer doppelten Negation wiederum nur eine undeutliche Abgrenzung dar, ohne jedoch eine Aussage über das Ausmaß staatlicher Ordnungsmacht im positiven Sinn zu treffen. Die letztliche Feststellung über das Bemühen der d Regierung (in der Zurückdrängung von Korruption, der Verbesserung der Ausbildung und Erhöhung der Effizienz der Polizei) mag allenfalls den Willen des d Staates indizieren, Verfolgungshandlungen privater Gruppierungen hintanzuhalten, sie verschafft jedoch ebenfalls keinen Anhaltspunkt für eine abschließende Beurteilung, dass D auch in der Lage ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden.
Die dargestellten Feststellungsmängel beruhen erkennbar auf der Ansicht der belangten Behörde, die Asylrelevanz einer von Privaten ausgehenden Verfolgungsgefahr sei unter dem Gesichtspunkt mangelnder Schutzfähigkeit des Herkunftsstaates nur gegeben, wenn dort "jegliche Staatsgewalt" fehle, es kein "Mindestmaß an staatlicher Ordnungsmacht" gebe und eine polizeiliche Ordnungsmacht nicht "existiere". Dem ist entgegen zu halten, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf ankommt, ob der Schutz ausreicht, um im konkreten Fall den Eintritt eines asylrelevante Intensität erreichenden Nachteils nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwarten zu lassen (vgl. dazu im Einzelnen die Nachweise in dem zitierten Erkenntnis vom 26. Februar 2002).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. September 2002
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)