VwGH 99/18/0260

VwGH99/18/026024.7.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der B (geb. 1974), vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef-Straße 42/Hauptstraße 35, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 9. April 1999, Zl. III-31/99, betreffend Entziehung eines Reisepasses und eines Personalausweises, zu Recht erkannt:

Normen

11992E008A EGV Art8a Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs1;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art2 Abs2;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z4;
PaßG 1992 §15 Abs1;
PaßG 1992 §19 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §16 Abs1;
11992E008A EGV Art8a Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs1;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art2 Abs2;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z4;
PaßG 1992 §15 Abs1;
PaßG 1992 §19 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §16 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 9. April 1999 wurden der Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f und Z. 4 sowie §§ 15 Abs. 1 und 19 Abs. 2 des Passgesetzes 1992, BGBl. Nr. 839, idF des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 507/1995 (PassG), ihr Reisepass (nach dem Erstbescheid: mit der Nr. A 0875984, ausgestellt am 15. Oktober 1996, mit der Gültigkeitsdauer bis 14. Oktober 2006) und ihr Personalausweis (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten: mit der Nr. 5338571, ausgestellt am 17. Oktober 1996) entzogen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. März 1997 (richtig: 5. März 1997) sei die Beschwerdeführerin nach §§ 12 Abs. 1 und 16 Abs. 1 SGG sowie § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden. Mit diesem Urteil sei sie schuldig erkannt worden, sie hätte in Wien und an anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt sowie ausgeführt und einzuführen versucht, indem sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer (näher genannten) Mittäterin am 8. Juni 1995 20 g Heroin aus der Slowakei ausgeführt und nach Österreich einzuführen versucht habe. Weiters sei sie für schuldig erkannt worden, sie hätte im Zeitraum vom 6. Jänner 1994 bis Anfang Juli 1996 Heroin erworben und besessen sowie im Zeitraum 6. Jänner 1994 bis Ende Februar/Anfang März 1994 wiederholt Suchtgift überlassen, indem sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter an zwei andere Personen (alle näher genannt) insgesamt 4 g Heroin überlassen habe. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Mai 1997 sei die Beschwerdeführerin gemäß §§ 12 Abs. 1 und 16 Abs. 1 SGG sowie § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden. Anlass für diese Verurteilung sei gewesen, dass sie in der Zeit von August 1996 bis März 1997 Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt bzw. in Verkehr zu setzen versucht habe. Ebenso habe sie während dieses Zeitraumes Suchtgift auch wiederholt erworben. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Juli 1997 sei die Beschwerdeführerin gemäß § 12 Abs. 1 SGG zu einer Zusatzstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Anlass für diese Verurteilung sei gewesen, dass sie in Wien und Baden den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge an eine Reihe (näher genannter) Personen in Verkehr gesetzt habe, nämlich in der Zeit von August 1996 bis Jänner 1997 rund 150 g Heroin an eine Person, im Sommer 1996 insgesamt 10 g Heroin an zwei Personen, im Sommer 1996 mindestens 12 g Heroin an eine Person, und vom November 1996 bis Februar 1997 25 g Heroin wiederum an eine Person.

In ihrer Berufung gegen den Erstbescheid habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass die strafrechtliche Verurteilung schon deshalb die Annahme nicht rechtfertigen könne, dass die Beschwerdeführerin den Reisepass für Verstöße gegen das Suchtgiftgesetz missbrauchen werde, weil sie bis zum März 2000 in Schwarzau in Strafhaft sei. Jedenfalls bis dahin sei die Vermutung ausgeschlossen, sie könnte Suchtgift ein- oder ausführen. Dort würde auch eine Entwöhnungsbehandlung durchgeführt. Mit deren erfolgreichem Abschluss und Entlassung aus der Strafhaft sei kein Grund für den Entzug des Reisepasses erkennbar. Sonst würde die Absicht des Gesetzgebers zur Resozialisierung unterlaufen werden. Aus den Strafakten würde sich ergeben, dass die Beschwerdeführerin die Straftaten nur wegen ihrer Sucht begangen hätte. Sie wäre aber davon geheilt, was durch die ärztliche Dokumentation über die Entwöhnungsbehandlung und Begutachtung durch den Amtsachverständigen bewiesen werden könnte. Es bestünde daher kein Grund mehr für die Annahme, die Beschwerdeführerin würde ihren Reisepass für Suchtgiftdelikte missbrauchen können.

Bedenke man aber, dass es sich beim Handel mit Suchtgift um eine besonders verwerfliche Form der organisierten Kriminalität handle und die Beschwerdeführerin durch ihr Verhalten eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 16 des Sicherheitspolizeigesetzes hervorgerufen habe, sei es wohl naheliegend, dass ihr der Reisepass von der Behörde entzogen werde. Bedenke man, dass Drogenhandel sich nicht in einmaligen Tathandlungen erschöpfe, sondern dass geradezu typischerweise laufend Straftaten gesetzt würden, so sei die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, sie könnte ihr kriminelles Verhalten nach Entlassung aus der Strafhaft fortsetzen. In diesem Zusammenhang sei es nicht von entscheidender Bedeutung, ob die Beschwerdeführerin selbst süchtig sei. Die Ausführung in ihrer Stellungnahme vom 26. Februar 1999, wonach in der Haftanstalt eine Entziehungsbehandlung durchgeführt würde, wodurch bewiesen werden könnte, dass bei erfolgreicher Therapie weitere Straftaten nach dem Suchtgiftgesetz ausgeschlossen, zumindest aber höchst unwahrscheinlich wären, seien daher nicht geeignet, die Entziehung der Personaldokumente zu verhindern.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 15 Abs. 1 PassG ist ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

Gemäß § 14 Abs. 1 leg. cit. ist die Ausstellung des Reisepasses (u.a.) zu versagen, wenn (Z. 3) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um (lit. f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, oder (Z. 4) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

Nach § 19 Abs. 2 leg. cit. sind auf die Entziehung von Personalausweisen die diesbezüglichen, die gewöhnlichen Reisepässe betreffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes einschließlich der §§ 9 Abs. 7 und 15 Abs. 5 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Entziehungsverfahren auf gültige Personalausweise beschränkt sind.

2. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht ihre im angefochtenen Bescheid festgestellten rechtskräftigen Verurteilungen nach dem Suchtgiftgesetz zu den dort genannten Freiheitsstrafen und insbesondere nicht die Feststellungen betreffend die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Handlungen. Danach hat die Beschwerdeführerin wiederholt über längere Zeiträume hinweg Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt bzw. in Verkehr zu setzen versucht, erworben und besessen. Weiters hat die Beschwerdeführerin auch versucht, Suchtgift aus dem im angefochtenen Bescheid genannten Staat auszuführen und nach Österreich einzuführen. Nach § 12 Abs. 1 SGG ist eine Suchtgiftmenge dann als "große Menge" anzusehen, wenn die Weitergabe einer solchen Menge geeignet wäre, im großen Ausmaß die Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen (vgl. das die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes betreffende, aber diesbezüglich auch hier einschlägige hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/18/0115). Wenn die belangte Behörde in Anbetracht der unbestrittenen Vielzahl der der Beschwerdeführerin zur Last liegenden Suchtgiftdelikte, insbesondere des Inverkehrbringens von Suchtgift in einer großen Menge, unter Berücksichtigung des Erfahrungswissens, dass gerade bei solchen Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr besonders groß ist (vgl. zu § 12 SGG etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 99/18/0025, mwH), im Sinn des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG zum Ergebnis gekommen ist, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Beschwerdeführerin den Reisepass bzw. den Personalausweis benützen will, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, so kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden, zumal die Beschwerdeführerin unbestritten auch bereits versucht hat, Suchtgift nach Österreich einzuführen.

Entgegen der Beschwerde ist angesichts des besagten gravierenden Fehlverhaltens nicht zu erkennen, dass eine auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft abgestellte Gefährlichkeitsprognose und Zulässigkeitsbeurteilung zu einem anderen Ergebnis führen würde. Mit ihrem weiteren Vorbringen, sie habe sich erfolgreich während der gesamten Dauer der jahrelangen Strafhaft einer Entwöhnungsbehandlung unterzogen und sei nunmehr von ihrer Sucht befreit, weshalb kein Grund mehr für die Annahme bestünde, dass die Beschwerdeführerin - die ihre Straftaten nur wegen ihrer Sucht begangen habe - den Reisepass bzw. den Personalausweis für Suchtgiftdelikte missbrauchen könnte, ist entgegenzuhalten, dass aus diesen Umständen angesichts des noch nicht langen Zeitraums von ihrem letzten Fehlverhalten im Februar 1997 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides mit seiner Zustellung am 26. Mai 1999 nicht gefolgert werden kann, dass ein Wegfall oder auch nur eine maßgebliche Minderung der Gefahr der besagten missbräuchlichen Verwendung des Reisepasses bzw. des Personalausweises durch die Beschwerdeführerin gegeben sei, zumal ein - auf eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung zurückzuführendes - Wohlverhalten während ihrer Anhaltung im Strafvollzug bei der Beurteilung des Gerechtfertigtseins der Annahme nach § 14 Abs. 1 Z. 3 PassG außer Betracht zu bleiben hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. Juni 1999, Zl. 96/18/0473, mwH). Von daher erweist sich die Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte den Beweisanträgen der Beschwerdeführerin auf Beischaffung der ärztlichen Dokumentation über die Entwöhnungsbehandlung, ein fachärztliches Sachverständigengutachten und auf Begutachtung durch den Amtsachverständigen entsprechen müssen, weil sie nicht über das Wissen und die Erfahrung von Fachärzten und Psychologen für die erforderliche Prognose nach § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG verfüge, als nicht zielführend. Ferner vermag die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen, der angefochtene Bescheid verletze auch "die EU-Grundfreiheiten" ("Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit u.a."), zu deren beabsichtigter Ausübung die Beschwerdeführerin Reisepass und Personalausweis benötige, weil nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-348/96 , Calfa, Slg. 1999, I-00011, Ausnahmen der öffentlichen Ordnung wie alle Ausnahmen von diesem "Grundprinzip des EU-Vertrages" eng auszulegen seien, sodass strafrechtliche Verurteilungen allein eine Einschränkung der "EU-Grundfreiheiten" nicht rechtfertigen könnten, schon deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil die belangte Behörde nicht allein auf die strafgerichtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführerin abgestellt, sondern (wie die Wiedergabe des angefochtenen Bescheides oben I. zeigt) ihrer Beurteilung gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG das konkrete Fehlverhalten der Beschwerdeführerin zu Grunde gelegt hat. (Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. März 1998, Zl. 97/18/0424, dargestellt, dass sich aus den dort näher genannten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ergibt, dass die Entziehung des für einen Inländer ausgestellten Reisepasses und die damit verbundene Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union jedenfalls dann zulässig wäre, wenn es sich hiebei um eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit handelte, wobei bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein dürfe. Die Beschwerdeführerin hat durch ihre gegen das SGG gerichteten Straftaten das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gravierend verletzt. Da dieses Verhalten den Schluss rechtfertigt, sie werde als Inhaberin eines Reisepasses bzw. eines Personalausweises auch in Zukunft gegen dieses einen hohen Stellenwert aufweisende öffentliche Interesse verstoßen, wäre die Passentziehung als Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gerechtfertigt.)

Schließlich begegnet auf dem Boden des Gesagten auch die lediglich im Spruch des bekämpften Bescheides zum Ausdruck kommende weitere, nicht ausdrücklich bekämpfte Annahme der belangten Behörde, dass durch einen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Ausland die innere Sicherheit der Republik Österreich, insbesondere die Volksgesundheit, im Sinn des § 14 Abs. 1 Z. 4 PassG gefährdet sein könnte, keinen Bedenken (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2001, Zl. 2000/18/0018, mwH).

3. Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 24. Juli 2002

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