VwGH 98/21/0059

VwGH98/21/00595.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde der G D, geboren am 10. Oktober 1977, vertreten durch Dr. Michael Zerobin, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog Leopoldstraße 2, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 12. Dezember 1997, Zl. 11 F-97-00844, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Normen

31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art10;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art11;
61975CJ0048 Royer VORAB;
EURallg;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §29 Abs2;
FrG 1993 §29 Abs3;
FrG 1993 §31 Abs2;
VwRallg;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art10;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art4;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art11;
61975CJ0048 Royer VORAB;
EURallg;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §29 Abs2;
FrG 1993 §29 Abs3;
FrG 1993 §31 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 921,08 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, reiste nach der insoweit unstrittigen Aktenlage, ohne im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes oder einer gültigen Aufenthaltsbewilligung zu sein, am 14. Februar 1995 mit dem Flugzeug in Wien - Schwechat in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Mit Antrag vom 6. Februar 1996 begehrte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz und verwies auf ihre am 24. November 1995 in Österreich geschlossene Ehe. In der Folge legte die Beschwerdeführerin den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16. Juni 1997 vor, mit dem ihrem Ehegatten die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 23. Juli 1997 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (wegen der im Inland erfolgten Antragstellung) als unzulässig zurückgewiesen. In ihrer dagegen erhobenen Berufung verwies die Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, B 592/96, und vertrat die Auffassung, dass auf Fremde, die mit Österreichern verheiratet seien, nicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes, sondern die §§ 28 ff des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, anzuwenden seien. Der Beschwerdeführerin als begünstigten Drittstaatsangehörigen gemäß § 29 FrG sei daher ein Sichtvermerk auszustellen, wenn, was im Falle der Beschwerdeführerin zutreffe, die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch ihren Aufenthalt nicht gefährdet werde. Gleichzeitig beantragte die Beschwerdeführerin in der genannten Berufung die ersatzlose Behebung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 23. Juli 1997 und ersuchte, ihr "einen Sichtvermerk zu erteilen".

Mit Berufungsbescheid vom 4. November 1997 hob der Bundesminister für Inneres den genannten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 23. Juli 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos auf, wies in der Begründung dieses Bescheides darauf hin, dass die Beschwerdeführerin begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des § 29 Abs. 3 FrG sei und leitete den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber "an die Behörde gemäß § 65 FrG" weiter.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. Dezember 1997 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin "vom 6.2.1996 auf Erteilung eines Sichtvermerkes" gemäß § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 7 FrG ab. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, einem Fremden könne "im Sinne des § 7 Abs. 1 Fremdengesetz" ein Sichtvermerk (nur) erteilt werden, wenn kein Sichtvermerkversagungsgrund gemäß § 10 FrG gegeben sei. Die Beschwerdeführerin, die nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger geschlossen habe, sei jedoch am 14. Februar 1995 illegal mit einem Schlepper über Wien - Schwechat in das Bundesgebiet eingereist und sei zu diesem Zeitpunkt weder im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes noch einer gültigen Aufenthaltsbewilligung gewesen. Da gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 FrG die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen sei, wenn sich der Sichtvermerkswerber nach Umgehung der Grenzkontrolle im Bundesgebiet aufhalte, sei der Antrag der Beschwerdeführerin abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes ist gemäß § 70 Abs. 2 FrG eine Berufung nicht zulässig. Im Beschwerdefall ist der Instanzenzug im Sinne des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG daher erschöpft.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides Ehegattin eines österreichischen Staatsangehörigen war. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Sichtvermerkes ist daher entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht nach den (im 2. Teil des FrG befindlichen) §§ 7 ff leg. cit. zu beurteilen, sondern (vgl. den 4. Teil des FrG: "Sonderbestimmungen für Einreise und Aufenthalt von EWR-Bürgern") nach § 29 FrG. Als Ehegattin eines österreichischen Staatsangehörigen ist die Beschwerdeführerin nämlich, wie sie unter Verweis auf das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, B 592/96, zutreffend vorbringt, als begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des § 29 Abs. 2 und 3 FrG anzusehen. Aus dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs ergibt sich, dass zur Vermeidung einer Diskriminierung von (Drittstaatsangehörigen von) Österreichern gegenüber (Drittstaatsangehörigen von) EWR-Bürgern auch Angehörigen österreichischer Staatsbürger, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 FrG vorliegen, ein Anspruch auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 29 Abs. 2 FrG zusteht, wenn durch ihren Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 5. Juni 1998, Zl. 97/19/1563, und vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012).

Im angefochtenen Bescheid hielt die belangte Behörde die Versagung des Sichtvermerkes für gerechtfertigt, weil die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet nicht im Besitz eines gültigen Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsbewilligung gewesen sei und sich nach Umgehung der Grenzkontrolle im Bundesgebiet aufgehalten habe. Entgegen der Beschwerdemeinung kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde aus dem unstrittigen Fehlen einer Berechtigung zur Einreise und zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich den Schluss ziehen durfte, diese habe sich nach Umgehung der Grenzkontrolle im Bundesgebiet aufgehalten. Vor dem Hintergrund, dass § 29 Abs. 2 FrG der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts dient und daher im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen ist, ist mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes davon auszugehen, dass die bloße Nichterfüllung der für Einreise, Ortswechsel und Aufenthalt von Ausländern geltenden Formalitäten als solche kein die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdendes Verhalten eines Ehegatten eines Gemeinschaftsbürgers (und damit nach der zitierten Judikatur auch eines Ehegatten eines österreichischen Staatsangehörigen) im Sinn des dem § 29 Abs. 2 FrG zugrundeliegenden Gemeinschaftsrechts darstellt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012, mit Verweis auf die Judikatur des EuGH; siehe zuletzt auch das Urteil des EuGH vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-459/99 , MRAX). Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 29 Abs. 2 FrG lässt sich somit selbst aus dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Verhalten der Beschwerdeführerin nicht ableiten.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Demnach war der Beschwerdeführerin der Schriftsatzaufwand und der - zum Teil begehrte - Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG zuzuerkennen.

Wien, am 5. September 2002

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