VwGH 98/08/0051

VwGH98/08/005115.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Martin Schuppich, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Falkestraße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Dezember 1997, Zl. MA 15-II-K 50/97 (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Rossauer Lände 3), betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Zuerkennung einer Witwenpension, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §101;
AVG §68 Abs1;
ASVG §101;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von EUR 908,-

- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den Bescheiden vom 23. Jänner 1975 hat die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt die Anträge der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Witwenpension und von Waisenpensionen nach ihrem verstorbenen Ehegatten mit der Begründung abgewiesen, die im Zeitraum vom 1. Juni bis 14. Dezember 1966 gelegenen sieben Versicherungsmonate seien nicht anrechenbar, weil sie nicht in den Anrechnungszeitraum der zur Hälfte durch Versicherungsmonate gedeckten Zeit vom 1. Juni 1966 bis 1. Juli 1972 fielen; in diesem Zeitraum lägen nur 21 Versicherungsmonate vor.

Mit Bescheid vom 6. Juli 1979 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung u.a. einer Witwenpension von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt abgewiesen. Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin vor dem 1. Juli 1972 (dem Stichtag) nur 21 anrechenbare Beitragsmonate in der Pensionsversicherung erworben habe. Eine Aufstellung über die damaligen Deckungsvoraussetzungen zeigen, dass insgesamt 28 österreichische und 33 jugoslawische Versicherungszeiten berücksichtigt wurden, von denen jedoch nur 21 Versicherungsmonate in einem Zeitraum vor dem Stichtag lagen, der zur Hälfte mit Versicherungszeiten gedeckt war.

Mit Bescheid vom 14. April 1986 hat die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt einen neuerlichen Antrag der Beschwerdeführerin auf "Zuerkennung einer österreichischen Pension nach dem verstorbenen Versicherten" mangels Erfüllung der Wartezeit abgewiesen. Nach der Begründung dieses Bescheides wäre die Wartezeit erfüllt, wenn der Verstorbene bis zum Stichtag 60 bzw. 96 anrechenbare Versicherungsmonate erworben hätte. Es seien aber nur 45 Beitragsmonate einer Pflichtversicherung insgesamt nachgewiesen.

Nach den in Ablichtung reproduzierten Berechnungsunterlagen der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt, die sich in den vorgelegten Verwaltungsakten befinden, lagen in der Pensionsversicherung des Verstorbenen im Jahr 1966 sieben Versicherungsmonate, im Jahr 1968 neun Versicherungsmonate, im Jahr 1969 neun Versicherungsmonate, im Jahr 1970 acht Versicherungsmonate, im Jahr 1971 neun Versicherungsmonate und im Jahr 1972 drei Versicherungsmonate vor. Mit Bescheid vom 18. März 1987 wurde der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Abfindung der Witwenpension anerkannt und eine Abfindung von insgesamt S 20.046,-- ausbezahlt.

Mit Bescheid vom 15. Februar 1995 hat die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. September 1994 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 14. April 1986 erledigten Pensionsfeststellungsverfahrens "gemäß § 69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG)" zurückgewiesen. Die absolute Wiederaufnahmsfrist des § 69 Abs. 2 AVG sei bei weitem überschritten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit einer am 7. März 1995 bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt eingelangten Eingabe "Widerspruch" mit der Begründung, der Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. September 1994 habe keine "Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Bescheid vom 14. April 1986" begehrt, sondern sie habe nur beantragt, ihr eine Witwenpension aus Österreich zuzuerkennen. Es handle sich um eine "Ergänzung und Wiederbelebung des ursprünglichen Antrages aus 1973 bzw. aus 1974". Die gesetzlichen Bedingungen für die Zuerkennung der Witwenpension seien schon am Stichtag 1. Juli 1972 erfüllt gewesen. Der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin habe am Tag seines Ablebens in Österreich eine Versicherungszeit von 45 Monaten und in Jugoslawien 144 Monate, insgesamt 189 Versicherungsmonate, erworben. Der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin sei sehr lange als Arbeiter in Jugoslawien mit "allen Elementen des Beschäftigungsverhältnisses und mit bezahlten Beiträgen für die Pensions- und Invalidenversicherung beschäftigt" gewesen. Diese jugoslawische Versicherungszeit sei früher "nicht vollständig angesammelt" gewesen. Nun sei es der Beschwerdeführerin gelungen, noch "39 Monate Versicherungszeit zu beschaffen", in welchen der Ehegatte bei einem näher bezeichneten Unternehmen in Sarajevo gearbeitet habe. Auch sei er an näher bezeichneten Baustellen beschäftigt gewesen. Darüber übersende die Beschwerdeführerin eine Bestätigung der Sozialversicherung aus Tomislavgrad sowie die Versicherungskarte. Ferner seien mit Bescheid der Filiale der Pensions- und Invalidenversicherung in Mostar Versicherungszeiten in der Dauer von zehn Jahren, zwei Monaten und neun Tagen zuerkannt worden. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1995 bestätigte der Landeshauptmann von Wien den Zurückweisungsbescheid vom 15. Februar 1995.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und Einholung einer Auskunft des bosnischen Versicherungsträgers, wonach in der Pensionsversicherung des verstorbenen Versicherten in der Zeit bis 8. April 1963 insgesamt 144 Monate und 18 Tage an Versicherungszeiten erworben seien, wies die Pensionsversicherungsanstalt mit Bescheid vom 29. April 1996 den Antrag vom 27. September 1994 auf Zuerkennung einer Witwenpension "wegen entschiedener Sache zurück". Nach der Begründung sei mit Bescheid vom 14. April 1986 der Antrag auf Zuerkennung einer Witwenpension unter Zugrundelegung der zum Stichtag maßgebenden Sach- und Rechtsgrundlage abgewiesen worden. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Der Antrag auf Wiederaufnahme des 1986 abgeschlossenen Verfahrens sei mit Bescheid vom 15. Februar 1999 zurückgewiesen und diese Entscheidung im Einspruchsverfahren vor dem Landeshauptmann von Wien bestätigt worden. Da somit die Voraussetzungen für eine Änderung des rechtskräftigen, den Anspruch auf Witwenpension abweisenden Bescheides vom 14. April 1986 nicht mehr gegeben seien, sei der neuerliche Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch.

Die belangte Behörde richtete im Einspruchsverfahren an die Beschwerdeführerin zunächst eine Rückfrage, ob die im Antrag vom 27. September 1994 genannten Versicherungszeiten nachgekauft worden seien, und ersuchte, die entsprechenden Bescheide des zuständigen Versicherungsträgers vorzulegen. In einem Schreiben vom 15. September 1997 legte die Beschwerdeführerin "die mit dem o. g. Schreiben geforderte und von der Gemeinde Tomislavgrad beglaubigte Dokumentation hins. der von meinem verst. Ehemann ... erworbenen Versicherungszeit" vor. Diesem Schreiben lag eine Reihe augenscheinlich beglaubigter Fotokopien von Schriftstücken in serbokroatischer Sprache bei. In einer dazu eingeholten Stellungnahme beharrte die Pensionsversicherungsanstalt auf ihrem bisherigen Standpunkt. Daraufhin wies die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid den Einspruch der Beschwerdeführerin als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Dem neuerlichen Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. September 1994 stehe die Rechtskraft des Bescheides vom 14. April 1986 entgegen, da sich der wesentliche Sachverhalt und die Rechtsgrundlage nicht geändert habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt legt in ihrer Gegenschrift (nach Darstellung des Sachverhaltes, des Verwaltungsgeschehens und unter Hinweis auf die ihrer Meinung nach anzuwendenden Rechtsvorschriften) dar, dass auch die Richtigkeit der Versicherungsmonate des bosnischen Versicherungsträgers bestritten werde. Die Beschwerdeführerin habe noch in einem Schreiben im Jahr 1985 angegeben, ihr verstorbener Ehegatte sei von 1953 bis 1966 keiner Beschäftigung nachgegangen. Bei den nun bekannt gegebenen 39 Versicherungsmonaten dürfte es sich "um nach dortigem Recht mögliche nachgekaufte Versicherungszeiten" handeln, wobei ausdrücklich bestritten werde, dass diese Zeiten rückwirkend zum Stichtag 1. Juni 1972 wirksam werden könnten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der neuerliche Witwenpensionsantrag der Beschwerdeführerin wurde von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt im erstinstanzlichen Bescheid vom 29. April 1996 ausschließlich mit der Begründung zurückgewiesen, dass der seinerzeitige Abweisungsbescheid "in Rechtskraft erwachsen sei". Weitere Überlegungen, insbesondere dahin, ob unter Zugrundelegung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten jugoslawischen Versicherungszeiten im Gesamtausmaß von 144 Monaten und 18 Tagen zum Stichtag 1. Juni 1972 der Anspruch auf Witwenpension vorläge, hat die mitbeteiligte Partei ebenso wenig angestellt, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid.

Nun erwächst aber ein Bescheid, mit dem eine Geldleistung infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, nicht iS des § 68 Abs. 1 AVG in Rechtskraft: Ergibt sich ein solcher Sachverhalt nachträglich, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Wenn dem österreichischen Sozialversicherungsträger bei Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Pensionsleistung ausländische Versicherungszeiten aus welchen Gründen immer nicht bekannt gewesen sind, so liegt objektiv gesehen ein Irrtum über einen Sachverhalt vor, der Gegenstand eines Antrages gemäß § 101 ASVG sein kann. Nach den aktenkundigen, offenbar vom zuständigen Versicherungsträger in Mostar bestätigten "Bescheinigungen über den Versicherungsverlauf in Jugoslawien" verfügte der verstorbene Versicherte im Zeitraum von Februar 1927 bis April 1963 über insgesamt 144 Monate und 18 Tagen an Versicherungszeiten. Aus welchen Gründen die Pensionsversicherungsanstalt der Auffassung war, dass diese Versicherungszeiten von ihr nicht zu berücksichtigen seien, wird weder im erstinstanzlichen Bescheid noch in den folgenden Schriftsätzen der mitbeteiligten Partei (auch nicht in ihrer Gegenschrift vor dem Verwaltungsgerichtshof) näher erläutert. Ebenso geht die Pensionsversicherungsanstalt hinsichtlich der Frage, wann die jugoslawischen Versicherungszeiten erworben wurden, augenscheinlich von der bloßen Vermutung aus, es könnte sich um nach dortigem Recht nachgekaufte Versicherungszeiten handeln. Aus welchen Umständen die Pensionsversicherungsanstalt diese Vermutung geschöpft hat, wird nicht näher begründet. Auf die bei Einleitung des Vorverfahrens gestellte Frage des Verwaltungsgerichtshofes, ob unter Heranziehung dieser Versicherungszeiten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pensionsleistung zum 1. Juli 1972 gegeben wären, ging die Pensionsversicherungsanstalt in ihrer Gegenschrift nicht ein.

Aufgrund ihres Rechtsirrtums über den Umfang der Rechtskraft eines Leistungsbescheides aus der gesetzlichen Pensionsversicherung hat die mitbeteiligte Partei den neuerlichen Antrag der Beschwerdeführerin nicht nach § 101 ASVG geprüft, was aber ihre Aufgabe gewesen wäre. Die Zurückweisung des Antrages unter Berufung auf die Rechtskraft früherer Bescheide erweist sich somit als rechtswidrig. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 15. Mai 2002

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