Normen
AVG §68 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
VwRallg;
AVG §68 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführerin war auf Grund ihres Antrages vom 17. Dezember 1999 von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten am 15. Februar 2000 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "jeglicher Aufenthaltszweck" erteilt worden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. Februar 2001 wurde diese Niederlassungsbewilligung gemäß § 68 Abs. 4 AVG für nichtig erklärt. Nach Wiedergabe des Wortlautes des § 68 Abs. 4 AVG wird dies wie folgt begründet:
"In ihrem konkreten Fall steht fest, dass Sie am 22. Februar 2000 in G (Adresse), Unterkunft genommen haben und laut Meldezettel direkt von der Türkei zugezogen sind. Ihnen wurde am 15. Februar 2000 von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "jeglicher Aufenthaltszweck" erteilt, obwohl sie niemals in diesem örtlichen Wirkungsbereich wohnhaft waren. Ihnen wurde somit von einer (örtlich) unzuständigen Behörde eine Niederlassungsbewilligung erteilt, wobei diese Erteilung ohne erforderlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung erfolgte und auch als strafrechtswidrig zu sehen ist.
Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt war von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde, das Bundesministerium für Inneres (sic!), von Amts wegen ein Verfahren gemäß § 68 Abs. 4 AVG durchzuführen und die unbefristete Niederlassungsbewilligung vom 15. Februar 2000 der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten als nichtig zu erklären."
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Aus der Gegenschrift ergibt sich, dass auf Grund eines strafrechtswidrigen Verhaltens eines Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, der gegen Bezahlung ca. 70 Aufenthaltstitel über einen Mittelsmann an Drittstaatsangehörige unrechtmäßig erteilt habe, der Beschwerdeführerin diese unbefristete Niederlassungsbewilligung ausgestellt worden sei. Der Antrag der Beschwerdeführerin vom 17. Dezember 1999 sei dieser Behörde bzw. dem Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten gar nicht bekannt gewesen. Für die Beschwerdeführerin sei durch diesen Bediensteten ein Wohnsitz in H im EDV-System vorgetäuscht worden, um diese Bewilligung erlassen zu können. Ein entsprechendes Geständnis des Bediensteten sei im strafrechtlichen Verfahren abgegeben worden. Weiters sei auch aus diesem Verwaltungsakt eindeutig zu erkennen, dass außer dieser Scheinadresse keinerlei Informationen bzw. Unterlagen zur Erteilung des Aufenthaltstitels geführt hätten.
Die Beschwerdeführerin replizierte und brachte vor, eine Vortäuschung ihrerseits sei im konkreten Fall jedenfalls nicht vorgelegen, sie habe von den Malversationen des Beamten überhaupt nichts gewusst.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 68 Abs. 4 AVG können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammen gesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde (Z 1) oder einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde (Z. 2).
Die Beschwerdeführerin wendet ein, entgegen den Feststellungen der belangten Behörde habe über ihren Antrag eine zuständige Behörde, nämlich eine vom Landeshauptmann von Niederösterreich nach § 89 Abs. 1 letzter Satz FrG 1997 ermächtigte Bezirkshauptmannschaft, somit eine sachlich zuständige Behörde, entschieden. Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die sachliche Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft gar nicht in Zweifel zog, sondern ihrer Nichtigerklärung die örtliche Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten zu Grunde legte. Die Beschwerdeführerin beabsichtigte nach den Angaben im Antrag ihren Aufenthalt in G zu nehmen und hat dies in weiterer Folge auch getan. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sich die örtliche Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten nicht auf den beabsichtigten Wohnsitz der Beschwerdeführerin (als den nach § 91 Abs. 1 FrG 1997 für die Zuständigkeit der Niederlassungsbehörde erster Instanz relevanten Anknüpfungspunkt), nämlich G, erstreckt. Der durch den angefochtenen Bescheid für nichtig erklärte Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten (ob dieser Bescheid gemäß § 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich, LGBl. 4020/01, im Namen des Landeshauptmannes ergangen ist, lässt sich der Aktenlage nicht entnehmen) stammte demnach - wie die belangte Behörde zutreffend feststellte - von einer (örtlich) unzuständigen Behörde.
Über die Feststellung hinaus, dass der Bescheid von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen wurde bzw. dass die Erteilung als "strafrechtswidrig" anzusehen sei, finden sich keine weiteren Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde ging offenbar davon aus, dass bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 68 Abs. 4 Z. 1 bzw. 2 AVG - wobei dem Bescheid hinsichtlich des Vorliegens strafgesetzwidrigen Erfolges (vgl. die bei Walter/Thienel, Die österreichischen VerwaltungsverfahrensgesetzeI2, Anmerkung 30 zu § 68 Abs. 4 Z. 2 AVG erstatteten Ausführungen) nicht einmal Feststellungen zu entnehmen sind - im Sinne einer gebundenen Entscheidung mit einer Nichtigerklärung eines solchen Bescheides vorzugehen sei ("in Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt war
..... von Amts wegen ein Verfahren durchzuführen und die
unbefristete Niederlassungsbewilligung ... als nichtig zu
erklären"). Damit verkennt sie allerdings die Rechtslage.
Eine Nichtigerklärung nach § 68 Abs. 4 AVG stellt eine Ermessensentscheidung dar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 1998, Zl. 98/05/0042, und vom 17. November 1992, Zl. 91/08/0043 mwN), die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde auch ausreichend zu begründen ist. Es ist zwar so, dass sich die Nichtausübung dieser Kompetenzen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzieht; übt die Behörde ihr Aufsichtsrecht aber aus, so unterliegt diese Ausübung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle im Rahmen des Art. 130 Abs. 2 B-VG.
Bei einer solchen Ermessensübung ist darauf zu achten, dass die Aufsichtsmittel unter möglichster Schonung erworbener Rechte Dritter zu handhaben sind und dass das der Aufsichtsbehörde dabei zustehende Ermessen nicht in einer solchen Weise geübt werden darf, dass wegen jeder auch noch so geringfügigen Rechtswidrigkeit in rechtskräftige Bescheide eingegriffen wird (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 27. November 1990, Zl. 90/05/0065, 0066, sowie vom 11. Juni 1992, Zl. 92/06/0044). Der Grundsatz der möglichsten Schonung erworbener Rechte statuiert ein Gebot der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes in erworbene Rechte. So sind im Zuge der Ermessensübung die nachteiligen Wirkungen des Bescheides in Bezug auf das durch die verletzte Norm geschützte öffentliche Interesse gegen jene Nachteile abzuwägen, welche die Aufhebung des Bescheides in Bezug auf die durch das (im Institut der Rechtskraft verkörperte) Prinzip der Rechtssicherheit geschützten Interessen des Dritten nach den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles mit sich brächte. Es sind auch Fälle einer zwar vorliegenden Rechtswidrigkeit denkbar, die jedoch keine oder nur unbedeutende Auswirkungen auf das geschützte öffentliche Interesse nach sich zieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 1992, Zl. 91/06/0166, VwSlg. Nr. 13.569/A).
Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage keine Ermessensentscheidung sondern eine gebundene Entscheidung getroffen hat, hat sie Rechte der Beschwerdeführerin verletzt und ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den geltend gemachten Ersatz der Umsatzsteuer, der im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.
Wien, am 22. Oktober 2001
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