VwGH 2000/11/0260

VwGH2000/11/026020.2.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Gerald Hausar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerring 2/10-11, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. August 2000, Zl. MA 65-8/302/2000, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von zehn Monaten, gerechnet ab der am 9. Juni 2000 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, entzogen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Mai 2000 wegen einer strafbaren Handlung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Dies habe der Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt. Die Begehung einer strafbaren Handlung nach § 84 StGB stelle eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG dar. Tathandlungen wie die vorliegende seien als verwerflich und gefährlich zu werten. Die Begehung einer solchen Tat weise auf eine gewalttätige Einstellung des Täters hin, "der sich aus nichtigem Anlass zu tätlichen Angriffen gegen Leib und Leben hinreißen und sich auch von Realinjurien gegenüber Bekannten bzw. Arbeitskollegen nicht abhalten lässt". Gerade vom Lenker eines Kraftfahrzeuges müsse jedoch im Hinblick auf die häufig auftretenden Konfliktsituationen im Straßenverkehr mit anderen Straßenbenützern und mit Organen der öffentlichen Sicherheit eine gegenteilige Sinnesart als jene des Beschwerdeführers verlangt werden. Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers müsse der Schluss auf eine gefährliche Sinnesart zur Begehung von Gewaltdelikten gezogen werden. Es ergäben sich auch erleichternde Umstände zur Begehung solcher Delikte, wäre der Beschwerdeführer weiter im Besitz einer Lenkberechtigung.

Da seit der strafbaren Handlung noch keine so lange Zeit verstrichen sei, könne nicht auf eine Änderung der Sinnesart des Beschwerdeführers geschlossen und dieser als verkehrszuverlässig angesehen werden. Erst nach einem Wohlverhalten während der festgesetzten Entziehungsdauer könne eine Überwindung der vom Beschwerdeführer gezeigten Sinnesart angenommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass die Zuordnung der in § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG genannten strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben zu jenen bestimmten Tatsachen, aufgrund welcher gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. auf eine Sinnesart des Betreffenden geschlossen werden kann, deretwegen er sich weiterer schwerer strafbaren Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, offensichtlich verfehlt ist. Die Begehung der in § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG genannten strafbaren Handlungen weist vielmehr auf eine Sinnesart hin, aufgrund der anzunehmen ist, dass der Betreffende im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden werde, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit. Die belangte Behörde hat daher zutreffend den Standpunkt vertreten, dass von Kraftfahrzeuglenkern wegen der im Straßenverkehr häufig auftretenden Konfliktfälle eine nicht zu Gewalttätigkeiten neigende Sinnesart verlangt werden müsse (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 27. Mai 1999, Zlen. 98/11/0136 und 98/11/0198).

Der Beschwerdeführer macht im Rahmen der Verfahrensrüge mit Recht geltend, dass die belangte Behörde keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen habe, die eine Wertung der bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 5 FSG und damit eine Prognose über die Dauer der Verkehrszuverlässigkeit ermöglichen würde. Die belangte Behörde hat sich auf die Feststellung der oben bezeichneten Urteilsdaten beschränkt. Im Verwaltungsakt befindet sich weder die Anklage bzw. der Strafantrag noch eine Urteilsausfertigung, weshalb weder Feststellungen über die dem Beschwerdeführer konkret angelastete Tat noch über den genauen Tathergang getroffen wurden. Feststellungen über den Tathergang sowie über das Vorleben des Beschwerdeführers wären aber erforderlich gewesen, um den Schluss auf die von der belangten Behörde im Rahmen der Wertung zum Nachteil des Beschwerdeführers ins Treffen geführte gewalttätige Einstellung bzw. "gefährliche Sinnesart zur Begehung von Gewaltdelikten" rechtfertigen zu können. Nach den im Akt befindlichen, von der Bundespolizeidirektion Wien aufgenommenen Niederschriften mit dem Verletzten (vom 1. März 2000) und dem Beschwerdeführer (vom 30. März 2000) hat der Verletzte mit den Tätlichkeiten begonnen. Sollte dies zutreffen und der Beschwerdeführer, wie er behauptet, unbescholten sein, wäre die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Auffassung, der Beschwerdeführer sei bis 9. April 2001, also mehr als 13 Monate nach der Tat, als verkehrsunzuverlässig anzusehen, rechtswidrig.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Februar 2001

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