VwGH 2000/01/0185

VwGH2000/01/018519.6.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des FP in E, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Bräuergasse 3, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 17. April 2000, Zl. Sich20-6-7-2000, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 1999/I/146;
SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §65 Abs5 idF 1999/I/146;
B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 1999/I/146;
SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §65 Abs5 idF 1999/I/146;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Anzeige des Gendarmeriepostens Garsten vom 14. Februar 2000 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe am 1. September 1999 in Kleinraming von einem neben der Straße aufgestapelten Holzstoß fünf Stück "einmetrige Buchenscheiter" gestohlen und sie im Kofferraum seines PKW verladen; dabei sei er von den Eltern des Besitzers auf frischer Tat betreten worden. In der Folge habe er sich mit dem Geschädigten in Verbindung gesetzt und den Schaden von ca. S 100,--

am 20. September 1999 gutgemacht.

Unbestritten ist, dass der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Steyr diese Anzeige am 21. Februar 2000 gemäß § 90 StPO zurückgelegt hat.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. April 2000 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, an den zu seiner erkennungsdienstlichen Behandlung erforderlichen Handlungen mitzuwirken (Spruchpunkt 1.) und auf Grund dieser Verpflichtung aufgefordert, bei sonstiger zwangsweiser Vorführung zu einem näher genannten Termin am Gendarmerieposten Enns als Beteiligter zur Durchführung dieser erkennungsdienstlichen Behandlung zu erscheinen (Spruchpunkt 2.).

Als Rechtsgrundlage führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt 1. § 77 iVm § 65 Abs. 1 und 4 Sicherheitspolizeigesetz-SPG, BGBl. Nr. 566/1991, "i.d.F. BGBl. I Nr. 112/1997" und zu Spruchpunkt 2. § 19 AVG an. Im Übrigen begründete sie ihre Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer laut - eingangs wiedergegebener - Anzeige des Gendarmeriepostens Garsten dringend verdächtig sei, am 1. September 1999 das Vergehen des Diebstahls begangen zu haben. "Aufgrund der von Ihnen begangenen strafbaren Handlung", welche einen Tatbestand nach dem Strafgesetzbuch verwirkliche, sei zu befürchten, dass der Beschwerdeführer weitere gefährliche Angriffe begehen könnte, zumal in einem statistisch nicht unerheblichen Maß einmal straffällig gewordene Personen neuerlich, wenn auch in anderen Sparten der Kriminalität, auffällig werden würden. Somit seien die Sicherheitsbehörden ermächtigt, den Beschwerdeführer erkennungsdienstlich zu behandeln. Einer entsprechenden formlosen Aufforderung von Beamten des Gendarmeriepostens Garsten sei nicht Folge geleistet worden, weshalb gemäß § 77 Abs. 2 SPG die Verpflichtung zur Mitwirkung an den zur erkennungsdienstlichen Behandlung erforderlichen Handlungen bescheidmäßig aufzuerlegen gewesen sei. Dieser Bescheid könne "gemäß § 77 Abs. 4" SPG mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden, wenn er - wie vorliegend - auf Grund einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft erlassen worden sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 65 Abs. 1 SPG hatte ursprünglich folgenden Wortlaut:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann so lange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen."

Mit der SPG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 146, wurde diese Bestimmung wie folgt geändert:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen bandenmäßiger oder organisierter Kriminalität tätig wurde oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint."

In der eben erwähnten Fassung stand § 65 Abs. 1 SPG vom 1. September 1999 (§ 94 Abs. 10 leg. cit.) bis zum 10. August 2000 (neuerliche Novellierung durch BGBl. I Nr. 85/2000) in Geltung. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides (2. Mai 2000) hätte die belangte Behörde daher diese Fassung ihrer Entscheidung zu Grunde legen müssen. Rechtsirrig stützte sie sich jedoch (ua.) auf § 65 Abs. 1 SPG "i.d.F. BGBl. I Nr. 112/1997" und gab demgemäß in der Folge in der Begründung ihrer Entscheidung Satz 1 der genannten Bestimmung in der eingangs erwähnten Stammfassung wieder.

Bei § 65 Abs. 1 SPG in der Stammfassung handelte es sich nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes um eine Ermessensbestimmung; für eine Ermessensübung im Sinn des Gesetzes kam es insbesondere darauf an, ob (in welchem Ausmaß) Rückfallsgefahr bestand (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1998, Zl. 97/01/0793). Die Regierungsvorlage zur SPG-Novelle 1999 (1479 BlgNR 20. GP) hatte noch keine Änderung des § 65 Abs. 1 SPG vorgeschlagen. Erst der Ausschussbericht (2023 BlgNR 20. GP) sah eine entsprechende Änderung dieser Gesetzesbestimmung vor, ohne allerdings die dafür maßgeblichen Erwägungen offen zu legen. Ungeachtet dessen kann es nicht zweifelhaft sein, dass die ehemalige Ermessensdeterminante "Rückfallsgefahr" mit der Neufassung dergestalt Tatbestandselement des § 65 Abs. 1 SPG geworden ist, dass die erkennungsdienstliche Behandlung eines Menschen neben dem Verdacht der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung (bis zur SPG-Novelle 1999 kam es auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffs im Sinn des § 16 Abs. 2 und 3 SPG an) ergänzend voraussetzt, dass der Betroffene im Rahmen bandenmäßiger oder organisierter Kriminalität tätig wurde oder dass die erkennungsdienstliche Behandlung sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.

Ausgehend von diesem, sich klar aus dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 SPG ergebenden Verständnis kann es im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer - wie von der Beschwerde bestritten - im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben. Die belangte Behörde hat jedenfalls das zweite Tatbestandsmerkmal des § 65 Abs. 1 SPG verkannt und die Frage, ob eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe durch ihn erforderlich sei (die Alternative, er sei im Rahmen bandenmäßiger oder organisierter Kriminalität tätig geworden, steht hier nicht zur Debatte) falsch beurteilt. Im bekämpften Bescheid wird diesbezüglich nämlich ausschließlich damit argumentiert, dass auf Grund der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlung die Begehung weiterer gefährlicher Angriffe zu befürchten sei, weil in einem statistisch nicht unerheblichen Maße einmal straffällig gewordene Personen neuerlich, wenn auch in anderen Sparten der Kriminalität, auffällig werden würden. Die belangte Behörde hat damit ausschließlich allgemein abstrakte Überlegungen angestellt, ohne auf die konkreten Umstände des Einzelfalles und auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers einzugehen. Das wäre indes bei rechtsrichtiger Auslegung des § 65 Abs. 1 SPG geboten gewesen, weil das erwähnte zweite Tatbestandsmerkmal ausdrücklich auf weitere gefährliche Angriffe "des Betroffenen" abstellt - denen durch eine erkennungsdienstliche Behandlung entgegen gewirkt werden soll - und weil es andernfalls jegliche eigenständige Bedeutung verlöre. (Wären tatsächlich schon generelle statistische Erwägungen über die Wiederholungsgefahr seitens einmal straffällig gewordener Personen ausreichend, käme es im Ergebnis allein auf den Verdacht der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung an.) Auch die in § 65 Abs. 5 zweiter Satz normierte und mit der SPG-Novelle 1999 konstituierte Hinweispflicht ("In den Fällen des Abs. 1 ist der Betroffene außerdem darauf hinzuweisen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken.") zeigt klar auf, dass es um die ganz konkrete Beurteilung des Betroffenen geht. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass allgemeine Betrachtungen nicht die Frage beantworten können, ob eine bestimmte Person durch die erkennungsdienstliche Behandlung von der Begehung gefährlicher Angriffe abgehalten wird.

Feststellungen zu der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tat, zu den konkreten Umständen ihrer (präsumtiven) Begehung und zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde ausgehend von ihrer irrigen Rechtsansicht nicht getroffen. Im Hinblick auf die eingangs wiedergegebene und allein dem bekämpften Bescheid zugrunde liegende Anzeige des Gendarmeriepostens Garsten vom 14. Februar 2000 ist im Übrigen nicht zu sehen, warum im vorliegenden Fall eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers geboten sein sollte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch ihn entgegenzuwirken.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Einen Ersatz für die mit der Verfassung der Stellungnahme des Beschwerdeführers zur Gegenschrift der belangten Behörde verbundenen Kosten sieht das Gesetz nicht vor.

Wien, am 19. Juni 2001

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