VwGH 98/02/0287

VwGH98/02/028723.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr (nunmehr: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. April 1998, Zl. UVS-03/P/48/01372/98, betreffend Einstellung eines Verfahrens wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (mitbeteiligte Partei: AS in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
StPO §90;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
StPO §90;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. März 1998 wurde die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, sie habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem näher umschriebenen Ort einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt und es unterlassen, stets einen solchen Abstand zu dem vor ihr fahrenden Fahrzeug einzuhalten, sodass ihr jederzeit das rechtzeitigen Anhalten möglich sei, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst werde. Die Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs. 1 StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. April 1998 Folge, behob dieses Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG ein.

In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 11. März 1998, G 262/97, G 328/97, zum Ausdruck gebracht, dass die unabhängigen Verwaltungssenate im Wege der verfassungskonformen Auslegung Verwaltungsstrafen dann aufzuheben hätten, "wenn der von der Verwaltungsbehörde als strafbar angenommene Sachverhalt Aspekte beinhaltet, die Teil eines von den Gerichten zu ahndenden Straftatbestandes sind". Nun sei im gegenständlichen Fall durch die Staatsanwaltschaft Wien die gegen die Mitbeteiligte erstattete Anzeige wegen § 88 StGB gemäß § 90 StPO am 22. Jänner 1998 zurückgelegt worden. Damit sei das in der Folge weitergeführte Verfahren durch die Verwaltungsstrafbehörde als grundrechtswidrig zu betrachten. Nur jene Behörde, die in den Worten des 7. Zusatzprotokolls zur MRK (im Folgenden: ZPEMRK) zuerst "verurteile" oder "freispreche", tue dies im Einklang mit dieser Vorschrift. Die andere Behörde, die danach noch ein Verfahren führe oder bestrafe, tue dies eben regelmäßig in grundrechtswidriger Weise.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der beschwerdeführende Bundesminister bringt im Wesentlichen vor, die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht sei bei einer Verfügung des Staatsanwaltes nach § 90 StPO mit der Rechtslage nicht im Einklang. Der Beschwerdeführer ist damit im Recht:

Auszugehen ist davon, dass die belangte Behörde offenbar Art. 4 des 7. ZPEMRK im Auge hatte, dessen Abs. 1 den Grundsatz "ne bis in idem" normiert (vgl. dazu Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kurzkommentar, 2. Auflage, S. 609).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 29. Mai 2001 im Fall Franz Fischer gegen Österreich (deutsche Übersetzung publiziert in ÖJZ 2001, S. 657 ff) zum Ausdruck gebracht, Art. 4 des 7. ZPEMRK beschränke sich nicht auf das Recht, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern beziehe sich auch auf das Recht, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden.

Die Verletzung dieses Rechtes ist allerdings nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bei einer Verfügung des Staatsanwaltes nach § 90 StPO, die an ihn gelangte Anzeige zurückzulegen (wie es im vorliegenden Beschwerdefall zutrifft), auszuschließen, kommt es doch dazu dann, wenn der Staatsanwalt - von vornherein oder nach Durchführung von Vorerhebungen - erkennt, dass die Anzeige haltlos, die angezeigte Tat nicht strafbar oder nicht verfolgbar ist (vgl. Bertel - Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts, 6. Auflage, Rz 558).

Der Hinweis der belangten Behörde auf das oben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, G 262/97, G 328/97, ist schon vom Ansatzpunkt her verfehlt, weil sich dieses Erkenntnis mit einer Verfügung gemäß § 90 StPO nicht auseinander gesetzt hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 23. November 2001

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