VwGH 97/21/0896

VwGH97/21/089611.9.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 28. November 1973 geborenen A (ehemals: S) in Mürzzuschlag, vertreten durch Dr. Johannes Sammer, Rechtsanwalt in 8680 Mürzzuschlag, Königsbrunngasse 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 13. Oktober 1997, Zl. FR 120/97, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde), mit dem diese den Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 1 iVm § 19 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen hat.

Der Beschwerdeführer sei am 18. Juli 1992 erstmals nach Österreich eingereist. Er habe einen Wiedereinreisesichtvermerk beantragt und diesen auch erteilt bekommen, seine Identität habe er durch Vorlage eines jugoslawischen Reisepasses, gültig bis 6. März 1997, nachweisen können. Die Buchstabenkombination im Reisepass lasse einen Rückschluss auf die mazedonische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zu. Trotz dieser Tatsache sei ihm von der BH Mürzzuschlag am 4. August 1993 eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung (gemeint: ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht) gemäß der Verordnung zu § 12 AufG "erteilt" und diese in weiterer Folge letztlich bis 30. Juli 1996 verlängert worden. Einer Ladung seitens der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur für den 7. Jänner 1996 habe der Beschwerdeführer Folge geleistet, er habe lediglich seinen jugoslawischen bzw. mazedonischen Reisepass vorlegen können und angegeben, es wäre ihm vielleicht möglich, die bosnische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

In weiterer Folge sei dem Beschwerdeführer ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gemäß der Verordnung zu § 12 AufG von der erstinstanzlichen Behörde "nicht erteilt" worden, da er die Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen nicht erbracht habe. Dies vor allem deshalb, da auf Grund der zum damaligen Zeitpunkt in Kraft befindlichen Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina nur diesen und deren Ehegatten und minderjährigen Kindern, die auf Grund des bewaffneten Konflikts in ihrer Heimat diese verlassen mussten und anderweitig keinen Schutz gefunden hätten, ein solches Aufenthaltsrecht in Österreich zukäme. Da der Beschwerdeführer nicht bosnischer Staatsangehöriger sei, habe ihm dieses vorübergehende Aufenthaltsrecht nicht verliehen bzw. verlängert werden können.

Der Beschwerdeführer habe zu Protokoll gegeben, dass er niemals das Aufenthaltsrecht gemäß der Verordnung zu § 12 AufG beantragt habe. Weiters werde er in seinem Heimatstaat gesucht, weil er desertiert sei. Bei seiner Rückkehr müsste er mit einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe rechnen und vorher noch vier Monate Militärdienst leisten. Er habe die mazedonische Staatsbürgerschaft besessen, jetzt verfüge er über keinerlei Staatsangehörigkeit, bemühe sich aber um die bosnische.

Auf Grund der Sachlage sei der Aufenthalt des Beschwerdeführers bis 30. Juli 1996 rechtmäßig gewesen, doch wäre ihm ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht bereits vor dem 4. August 1993 nicht zugestanden. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer Mazedonier sei. Zudem sei er nachweislich nicht direkt aus einem Kriegsgebiet in das Bundesgebiet eingereist. Er habe sich auch um die Ausstellung eines neuen mazedonischen Reisepasses bemüht, doch sei dies auf Grund der fehlenden Militärdienstzeiten mit Schwierigkeiten verbunden.

Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar, ein geordnetes Fremdenwesen sei von eminentem Interesse für die österreichische Rechtsordnung. Dies umso mehr, als der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunehme. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eine sehr hoher Stellenwert zu. Es müsse auf die zwingende Regelung des § 17 Abs. 1 FrG verwiesen werden, wonach Fremde, welche sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, auszuweisen seien.

Ergänzend werde von der belangten Behörde hinsichtlich des § 19 FrG festgestellt, dass es durch die gegen den Beschwerdeführer erlassene Ausweisung zu keinem relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben komme. In Österreich hielten sich weder Familienangehörige noch Verwandte des Beschwerdeführers auf. Wegen nicht vorhandener familiärer bzw. verwandtschaftlicher Beziehungen in Österreich sei ein massiver Eingriff in das Privat- und Familienleben durch die fremdenpolizeiliche Maßnahme nicht zu erkennen. Auch wenn er angebe, im Bundesgebiet eine Freundin zu haben, so sei ersichtlich, dass diese nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Des Weiteren stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei während des gesamten Aufenthaltes im Bundesgebiet nie einer Beschäftigung nachgegangen, und verfüge über keinerlei Vermögen und Einkünfte im Bundesgebiet. Somit könne weder von einer sozialen noch von einer wirtschaftlichen Integration des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Die Tatsache, dass er am 17. Juni 1997 lediglich S 1.000,-- besessen habe, führe dazu, dass das Überwiegen des öffentlichen Interesses an der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegenüber den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers verstärkt werde.

Wenn kein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben erfolge, so erübrige sich die Prüfung, ob die Ausweisung dringend geboten sei.

Das maßgebliche öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei verletzt worden, da der Beschwerdeführer trotz der Abweisung des von ihm zuletzt gestellten Verlängerungsantrages in Bezug auf die "Erteilung" eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts nach § 12 AufG dennoch weiterhin im Inland verblieben sei. Im Vergleich zu dieser Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses seien die persönlichen Interessen trotz des bereits mehrjährigen Aufenthalts wegen mangelnder sozialer und wirtschaftlicher Integration nicht so stark ausgeprägt, weshalb die Maßnahme auch dringend geboten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Verfahrensmängel geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

Die belangte Behörde legte unter Verzicht auf die Abfassung einer Gegenschrift die Verwaltungsakten mit dem Antrag vor, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Vorschrift ist eine Ausweisung, mit der in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 12 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992 i. d.F. BGBl. Nr. 351/1995, kann die Bundesregierung für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren. Mit solchen Verordnungen wurden näher bestimmten Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährigen Kindern bzw. auch näher bestimmten Fremden aus Grenzstädten zur ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht eingeräumt (vgl. die Verordnungen BGBl. Nr. 389/1995, 299/1996 und BGBl. II Nr. 215/1997).

Der Beschwerdeführer behauptet das Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthaltes iSd § 15 Abs. 1 Z. 1 FrG, da er unter Einhaltung der Bestimmungen des zweiten Teiles und ohne Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sei und keines Sichtvermerkes bedürfe. Dieses Vorbringen ist schon deswegen nicht berechtigt, weil das im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien vorliegend relevante Abkommen zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 365/1965 i. d.F. BGBl. Nr. 117/1983, nur zu einem einer sichtvermerksfreien Einreise folgenden Aufenthalt von nicht mehr als drei Monaten berechtigt.

Der Beschwerdeführer bringt zwar in der Beschwerde vor, er sei Ehegatte einer in Österreich gemäß § 12 AufG zum Aufenthalt berechtigten Fremden. Soweit damit ein Aufenthaltsrecht im Grunde des § 2 der gemäß § 12 des Aufenthaltsgesetzes erlassenen Verordnung der Bundesregierung BGBl. II Nr. 215/1997 dargetan werden soll, handelt es sich hiebei jedoch um eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung. Im Verwaltungsverfahren hat er dies nämlich nicht vorgebracht und musste der belangten Behörde bloß bekannt sein, dass der Beschwerdeführer geheiratet und seinen Wohnsitz von Bruck an der Mur in den Bereich der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag gewechselt hatte. Auch hat der Beschwerdeführer, der unbestritten nicht die Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina besitzt, nicht behauptet, auf Grund eines anderen Tatbestandes der angeführten Verordnung zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt zu sein. Auch konnte ihm sein Antrag auf Ausstellung einer weiteren Bescheinigung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts gemäß § 12 AufG kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verschaffen, eine solche Wirkung eines derartigen Antrages sieht das Aufenthaltsgesetz nicht vor. Der belangten Behörde ist daher kein Vorwurf zu machen, wenn sie den Aufenthalt des Beschwerdeführers als rechtswidrig ansah.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid aber auch deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde die in § 19 FrG gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen habe, weil sie den öffentlichen die privaten Interessen des Beschwerdeführers nicht gegenübergestellt habe. Der Beschwerdeführer befinde sich seit über fünf Jahren in Österreich und sei mit einer Frau verheiratet, die De-facto-Flüchtling i.S.d. § 12 AufG sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, und zwar auch dann, wenn man die Begründung des angefochtenen Bescheides dahingehend deutet, dass die Behörde im Ergebnis doch vom Vorliegen eines durch die Ausweisung bewirkten relevanten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausging. Zwar ist es nämlich Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften darstellt. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 19 FrG zurückzutreten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Anwendung des § 19 FrG das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes stets höher zu bewerten wäre als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 19 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden kann. Wenn gemäß § 19 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, dass die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. November 2000, Zl. 96/21/1060, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall geht die belangte Behörde in ihrer Annahme fehl, durch den angefochtenen Bescheid werde nicht auf relevante Weise in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Dies kann nämlich bei einem Fremden, der mehr als fünf Jahre im Bundesgebiet gelebt hat, und dessen Aufenthalt jedenfalls teilweise rechtmäßig und zum Großteil von den Behörden geduldet war, nicht gesagt werden (vgl. auch dazu das angeführte Erkenntnis vom 8. November 2000). Die belangte Behörde hat gewissermaßen als Eventualbegründung ausgeführt, die Ausweisung sei gemäß § 19 FrG dringend geboten. Der belangten Behörde musste aber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides bekannt sein, dass der Beschwerdeführer mit seiner in Österreich lebenden Ehegattin in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Dies hat sie im angefochtenen Bescheid, in dem sie entgegen ihrem eigenen Wissensstand noch davon ausgeht, der Beschwerdeführer lebe mit seiner Freundin (die er während des Verwaltungsverfahrens geheiratet hat) nicht in einem gemeinsamen Haushalt, nicht berücksichtigt und damit auch, auf relevante Weise - weil sie andernfalls im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes und die familiäre Beziehung des Beschwerdeführers zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können - Verfahrensvorschriften verletzt.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher - weil der Aufhebungsgrund des § 42 Abs. 2 Z. 1 jenem des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG vorgeht - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 11. September 2001

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