VwGH 2000/19/0107

VwGH2000/19/01072.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerden 1.) des 1971 geborenen BA, 2.) der 1972 geborenen DA,

3.) der 1995 geborenen MA und 4.) des 1997 geborenen HA, sämtliche in L, alle vertreten durch Mag. G, Rechtsanwalt in F, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 27. Oktober 1999, Zlen. 1.) 125.226/2-III/11/99, 2.) 125.226/3-III/11/99,

3.) 125.226/4-III/11/99 und 4.) 125.226/5-III/11/99, sämtliche betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §10 Abs2 Z1;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs3;
FrG 1997 §10 Abs2 Z1;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 141,25 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen erst- und zweitangefochtenen Bescheid vom 27. Oktober 1999 wurden die Anträge des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vom 27. Juli 1998 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung - unter anderem - gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung des genannten Versagungsgrundes aus, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten sich in der Zeit zwischen 1992 bis 1998 in Deutschland aufgehalten. Ihr dort gestellter Asylantrag sei rechtskräftig abgewiesen worden. Da dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin in Deutschland die Abschiebung in ihre Heimat gedroht habe, hätten sie auf dem Postweg die gegenständlichen Anträge eingebracht. Ohne den Ausgang des Niederlassungsverfahrens abzuwarten seien sie im September 1998 ohne Einreisetitel nach Österreich eingereist, wo sie sich seither unrechtmäßig aufhielten.

Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 könne die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen insbesondere versagt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt hätten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gezeigt, dass sie nicht gewillt seien, die österreichische Rechtsordnung einzuhalten. Dies rechtfertige insbesondere auch wegen der negativen Beispielswirkung auf andere Fremde die Annahme, durch den weiteren Aufenthalt werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG liege vor. Die öffentlichen Interessen überwögen die privaten Interessen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen dritt- und viertangefochtenen Bescheid vom 27. Oktober 1999 wurden die Anträge der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers vom 27. Juli 1998 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung - unter anderem - gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung dieses Versagungsgrundes aus, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer hätten zwar einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz nachgewiesen, es mangle ihnen jedoch an eigenen Mitteln. Ihr Lebensunterhalt in Österreich solle einzig und allein durch ihren Onkel und dessen Ehegattin bestritten werden, welche für diese Beschwerdeführer eine Verpflichtungserklärung abgegeben hätten. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung sei jedoch aus dem Grunde des § 10 Abs. 3 FrG 1997 ausgeschlossen. Gemäß § 8 FrG 1997 habe eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen zu erfolgen. Diese Abwägung habe ergeben, dass die öffentlichen Interessen die privaten Interessen dieser Beschwerdeführer überwögen. Insbesondere sei zu befürchten, dass die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer den Sozialhilfeträgern zur Last fallen würden.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung dieser Beschwerden mit Beschluss vom 13. Juni 2000, B 2019-2022/99-12, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 10 Abs. 2 Z. 1 und 3 sowie Abs. 3 FrG 1997 lauten:

"§ 10. ...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn

  1. 1. der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt oder nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder - bei der Erteilung eines Einreise- oder befristeten Aufenthaltstitels - für die Wiederausreise verfügt;

    ...

  1. 3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

    ...

(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 2 Z 1 oder 2 ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn auf Grund einer im öffentlichen Interesse eingegangenen Verpflichtung ... einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten gesichert erscheint, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grundlage einer Verpflichtungserklärung ist unzulässig."

Art. 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Türkei, des Heimatstaates der Beschwerdeführer, vom 17. Februar 1926 lautet:

"Art. 315. Jeder ist seinen Verwandten in auf- und absteigender Linie sowie seinen Brüdern und Schwestern unterhaltspflichtig, wenn sie ohne diese Unterstützung in Not geraten würden."

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vertreten die Auffassung, sie seien Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Ihr Asylantrag sei in Deutschland zu Unrecht abgewiesen worden. Im Hinblick auf ihre Flüchtlingseigenschaft und weil sie ihre Anträge vor ihrer Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt hätten, hielten sie sich rechtmäßig in Österreich auf.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass weder die Antragstellung auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung noch die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention per se dem Fremden ein Aufenthaltsrecht in Österreich verschafft.

Auch Flüchtlingen im Sinne der Genfer Konvention kommt in Österreich nur dann ein Aufenthaltsrecht zu, wenn ihnen entweder Asyl zuerkannt wurde oder sie während der Anhängigkeit eines Asylverfahrens in Österreich über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz verfügen. Dafür, dass dies beim Erstbeschwerdeführer oder bei der Zweitbeschwerdeführerin der Fall gewesen wäre, bestehen keine Anhaltspunkte.

Hielten sich diese Beschwerdeführer aber im Anschluss an eine unrechtmäßige Einreise unrechtmäßig in Österreich auf, so kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie vom Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 in Ansehung dieser Beschwerdeführer ausging (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zl. 98/19/0271).

Die belangte Behörde ging aber auch zu Recht davon aus, dass in Ansehung der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 vorlag.

Unzutreffend ist die Auffassung der Beschwerdeführer, die Anwendung des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 komme schon deshalb nicht in Frage, weil diese Beschwerdeführer über einen Krankenversicherungsschutz verfügt hätten. Nach dem unzweideutigen Wortlaut dieser Bestimmung liegt der in Rede stehende Versagungsgrund sowohl dann vor, wenn es dem Fremden an einer alle Risken abdeckenden Krankenversicherung fehlt, als auch dann, wenn er nicht über ausreichende Mittel zu seinem Unterhalt verfügt.

Die letztgenannte Voraussetzung hat die belangte Behörde angenommen. Zwar wäre sie auf Grund der vorgelegten Verpflichtungserklärungen gehalten gewesen, von Amts wegen zu prüfen, ob zwischen diesen Beschwerdeführern und ihren Verwandten ein Unterhaltsvertrag abgeschlossen wurde. Freilich unterlassen es diese Beschwerdeführer vorliegendenfalls die Relevanz dieses Ermittlungsfehlers darzulegen, weil auch in der Beschwerde nicht behauptet wird, dass ein derartiger Vertrag abgeschlossen worden wäre (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 98/19/0303).

Auch für das Vorliegen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruches der Drittbeschwerdeführerin oder des Viertbeschwerdeführers gegen ihre Verwandten bestehen keine Anhaltspunkte, zumal Art. 315 des Türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches eine Unterhaltsverpflichtung lediglich in Ansehung von Verwandten in gerader Linie und von Geschwistern, nicht jedoch gegenüber Neffen oder Nichten vorsieht.

Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, vermag gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz FrG 1997 eine Verpflichtungserklärung, welcher keine vertragliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung zu Grunde liegt, die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung trotz Vorliegens des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 nicht zu rechtfertigen.

Gemäß § 10 Abs. 2 FrG 1997 konnte daher sämtlichen Beschwerdeführern die Erteilung der Bewilligung versagt werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0651, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Ausdruck "kann" in § 10 Abs. 2 FrG 1997 dahingehend zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist. Art. 8 MRK normiert - wie in dem zitierten Erkenntnis ebenfalls ausgeführt wird - keine allgemeine Verpflichtung des Staates, einem Fremden einen Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung zur Niederlassung zum Zweck des Familiennachzuges zu gewähren. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass im Falle der Beschwerdeführer ein durch Art. 8 MRK geschützter Anspruch auf Aufnahme einer Familiengemeinschaft mit ihren Verwandten nicht besteht. Damit erübrigt sich im vorliegenden Fall eine Erforderlichkeitsprüfung gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK.

Dieser Beurteilung steht, anders als die Beschwerdeführer meinen, weder die Entscheidung der EKMR vom 29. Juni 1994, abgedruckt in ÖJZ 1995, 153, noch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1993, Slg. Nr. 13.490, entgegen. Die erstgenannte Entscheidung betrifft die Vereinbarkeit einer Ausweisung mit Art. 8 MRK und ist vorliegendenfalls schon deshalb nicht einschlägig, weil mit den hier angefochtenen Bescheiden keine Ausweisungen verfügt wurden. Überdies wurde die dort verhängte Ausweisung in dem der Entscheidung vom 29. Juni 1994 zu Grunde liegenden Fall für mit Art. 8 MRK vereinbar angesehen. Das von den Beschwerdeführern weiters ins Treffen geführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1993 betrifft die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und ist schon deshalb für die hier in Rede stehende Frage, ob Art. 8 MRK den Familiennachzug zu anderen Verwandten schützt, ohne Bedeutung. Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof auch die Behandlung der hier gegenständlichen Beschwerden abgelehnt.

Sind aber solcherart die von der belangten Behörde festgestellten Versagungsgründe wirksam geworden, kam nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Anwendung des § 8 FrG 1997 nicht in Betracht.

Aus diesen Erwägungen waren diese Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 2. Oktober 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte