VwGH 2000/18/0032

VwGH2000/18/00323.8.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der am 24. Oktober 1957 geborenen G M, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. Jänner 2000, Zl. SD 1099/99, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen einen Aufenthaltsverbotsbescheid, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. Jänner 2000 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach der Aktenlage: gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Oktober 1999) gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe anlässlich des bei der Erstbehörde anhängigen Verwaltungsverfahrens einen Rechtsanwalt zu ihrer Vertretung bevollmächtigt. Am 13. Oktober 1999 sei der Aufenthaltsverbotsbescheid durch einen Angestellten des rechtsfreundlichen Vertreters in dessen Kanzlei übernommen worden.

In ihrem Wiedereinsetzungsantrag habe die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass ihr ausgewiesener Vertreter irrtümlich die Rechtsmittelfrist nicht mit 27. Oktober, sondern mit 27. November 1999 vorgemerkt und sich somit im Monat geirrt hätte. Ein solches Versehen wäre ihm noch nie unterlaufen. Erst als die Beschwerdeführerin am 11. November 1999 in die Kanzlei ihres Rechtsanwaltes gekommen wäre, wäre dieses Versäumnis entdeckt worden. In der Berufung habe die Beschwerdeführerin darauf verwiesen, dass es ständige Judikatur diverser Gerichte sei, dass ein Versehen des ausgewiesenen Vertreters "selbstverständlich" einen Wiedereinsetzungsgrund darstelle, da es sich um geringes Verschulden und das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens handle.

Diese Rechtsauffassung sei jedoch unzutreffend. So habe der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals festgestellt, dass das Verschulden des Rechtsanwaltes der Partei an der Versäumung eine Wiedereinsetzung nach § 71 AVG ausschließe (vgl. das Erkenntnis vom 20. Mai 1981, Zl. 81/03/0066). Darüber hinaus müsse einer rechtskundigen Person die Bedeutung einer Terminvormerkung bei nicht ausgeschlossener Dispositionsfähigkeit bewusst sein, weshalb von einem minderen Grad des Versehens nicht die Rede sein könne (vgl. Erkenntnis vom 25. September 1987, Zl. 87/02/0072). Daher könne im konkreten Fall nicht davon gesprochen werden, dass dem rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführerin nur ein minderer Grad des Versehens anzulasten sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Unstrittig ist, dass der in Rede stehende Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Oktober 1999 der Beschwerdeführerin zu Handen des Beschwerdevertreters am 13. Oktober 1999 (Übernahme durch einen Kanzleiangestellten) zugestellt wurde. Die Rechtsmittelfrist wurde auf Grund eines Irrtums des Beschwerdevertreters "im Monat" von diesem nicht für den 27. Oktober, sondern für den 27. November 1999 vorgemerkt.

2. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrendes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa den hg. Beschluss vom 30. Jänner 1997, Zl. 97/18/0003, mwH).

3.1. Die Beschwerdeführerin geht selbst davon aus, dass die Versäumung der Berufungsfrist bei der gegebenen Sachlage auf ein Verschulden ihres Rechtsanwaltes zurückzuführen ist. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde handle es sich jedoch um ein "geringes Verschulden und einen minderen Grad des Versehens".

3.2. Auf dem Boden der dargestellten Rechtslage ist dieses Vorbringen nicht geeignet, der vorliegenden Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

Von einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden kann dann keine Rede sein, wenn die zur Einhaltung von Fristen erforderliche Sorgfalt gröblich verletzt wird (vgl. den hg. Beschluss vom 28. Juli 1995, Zl. 95/02/0168, mwH). Es kann dahinstehen, ob der dem Beschwerdevertreter unterlaufene Irrtum "im Monat" auf eine unrichtige Berechnung dieser Frist oder auf einen Fehler im rein manipulativen Vorgang des Eintragens beruhte. Die bei Anlegung des bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern gebotenen strengeren Maßstabes erforderliche und zumutbare Sorgfalt hätte es notwendig gemacht, das berechnete Fristende und/oder die erfolgte Eintragung jedenfalls einer Überprüfung zu unterziehen. Dass eine derartige Überprüfung vorgenommen worden sei, behauptet die Beschwerdeführerin nicht einmal, sodass im vorliegenden Fall nicht davon gesprochen werden kann, dass auf Seiten des Rechtsanwaltes nur ein minderer Grad des Versehens vorgelegen wäre.

4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 3. August 2000

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