VwGH 2000/11/0198

VwGH2000/11/019824.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des D in F, vertreten durch Winkler - Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 18. Juli 2000, Zl. Ib-277-62/2000, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs2;
FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 Führerscheingesetz (FSG) die Lenkberechtigung für die Klassen AL und B für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung entzogen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde holte vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ein Gutachten einer Amtsärztin vom 15. Juni 2000 ein; darin wurden zwei Gutachten von Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie verwertet, und zwar das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten vom 29. Februar 2000 sowie das vom Beschwerdeführer mit seiner Berufung gegen den Erstbescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 7. April 2000 vorgelegte Gutachten eines anderen Facharztes vom 30. März 2000. Das Gutachten vom 29. Februar 2000 lautete auf "nicht geeignet" und floss in das amtsärztliche Gutachten vom 4. März 2000, welches wiederum dem Mandatsbescheid vom 13. März 2000 und dem Vorstellungs-(Erst-)bescheid vom 7. April 2000 zu Grunde lag, ein. Die im amtsärztlichen Gutachten vom 4. März 2000 verwertete Aussage des fachärztlichen Gutachtens vom 29. Februar 2000 lautete:

"Herr B. wurde im Jahr 1999 2x an der Grenze mit Cannabis erwischt. ... Er habe lediglich 1x in seinem Leben im Juli 1999 Cannabis konsumiert. Diese Angaben sind letztlich nicht glaubhaft. Es ist äusserst unwahrscheinlich, dass der U. an seinen 2 einzigen Schmuggelarten" (richtig wohl: -fahrten) "jeweils an der Grenze gleich erwischt wurde. Derzeit ist der Harnbefund positiv auf Cannabis. Dies ist nur auf 2 Arten erklärbar: Entweder liegt ein in den letzten Monaten chronischer Cannabiskonsum vor. Dann könnte der Harn noch Wochen lang nach Verzicht auf die Droge positiv sein. Oder aber der U. hat kurze Zeit vor der jetzigen Untersuchung Cannabis zu sich genommen, was Hinweis auf eine Abhängigkeit sein könnte, da Herr B. damit rechnen musste, bei der jetzigen Untersuchung auf Cannabis untersucht zu werden. Jedenfalls ist von einem mehr oder weniger regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen und deswegen die Lenkeignung nicht gegeben. Vor einer neuerlichen Untersuchung müssten über mehrere Monate monatliche Harnkontrollen auf Cannabis erfolgen."

Dem Sachverständigen war bekannt, dass zwei Untersuchungen des Harnes des Beschwerdeführers im September 1999 und am 31. Jänner 2000 auf Cannabis negativ waren. Auch der das fachärztliche Gutachten verwertenden Amtsärztin waren diese Fakten bekannt. Es ist daher nicht schlüssig, das positive Ergebnis der Harnuntersuchung vom 29. Februar 2000 entweder mit einem monatelangem chronischen Konsum oder mit einer bestehenden Abhängigkeit zu erklären. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht nur zwei Mal Suchtgift zu schmuggeln versucht habe, ist eine reine Vermutung und für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen unerheblich.

In dem vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren beigebrachten fachärztlichen Gutachten vom 15. April 2000 kommt der Sachverständige - nachdem eine Untersuchung des Harnes vom 11. April 2000 ein negatives Ergebnis erbracht hat - zu folgendem Schluss:

"In der Vorgeschichte findet sich ein kurzfristiger und in der Konsummenge als sehr gering anzusetzender Cannabiskonsum ... Neben der geringen Konsummenge scheint auch eine sehr niedrige Konsumfrequenz vorzuliegen. Allerdings ist wohl andererseits eine erhöhte Risikobereitschaft bzw. Unbekümmertheit anzunehmen, wenn der U. unmittelbar nach einer amtsärztlichen Untersuchung und einer bevorstehenden fachärztlichen Untersuchung neuerlich Cannabis konsumiert. In der aktuellen Untersuchung findet sich sowohl laborchemisch wie auch klinisch kein Hinweis auf einen neuerlichen Drogenkonsum. Auch eine tiefergreifende Persönlichkeitsstörung oder anderweitige psychiatrische Auffälligkeit ist auszuschließen. Es scheint daher von seiten des Suchtmittelkonsums derzeit lediglich ein sporadischer Konsum von Cannabinoiden ohne Gewöhnung oder Abhängigkeit vorzuliegen. Seit Jänner 2000 ist der U. lt. subjektiver Angaben drogenabstinent. Aufgrund der heutigen Untersuchungsergebnisse erscheint dies auch glaubwürdig. Andererseits besteht aber aufgrund des vorliegenden Verhaltens doch eine Gefährdung hinsichtlich eines weiteren Konsums vorzuliegen. Insofern ergeben sich aus fachärztlicher Sicht zwar derzeit keine gravierenden Einwände gegen die Erteilung einer Lenkberechtigung. Die Fahrerlaubnis sollte aber weiterhin an Abstinenzkontrollen geknüpft sein."

Die von der belangten Behörde als Berufungsbehörde mit den beiden fachärztlichen Gutachten befasste ärztliche Amtssachverständige schloss sich in ihrem Gutachten vom 15. Juni 2000 im Ergebnis dem Gutachten vom 29. Februar 2000 an, weil sie neben der "Risikobereitschaft bzw. Unbekümmertheit" auch eine "gewisse Drogenabhängigkeit" (in Hinblick auf den Konsum knapp vor der (ersten) fachärztlichen Untersuchung) als gegeben ansah.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf das amtsärztliche Gutachten vom 15. Juni 2000 nicht ein. Sie stützte vielmehr ihre Annahme, der Beschwerdeführer sei zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich nicht geeignet, auf Aussagen in der Literatur, wonach bereits ein geringfügiger Cannnabiskonsum die in Rede stehende gesundheitliche Eignung ausschließe. Im Lichte dieser Ausführungen sei das (zweite) fachärztliche Gutachten vom 15. April 2000 nicht schlüssig.

Abgesehen davon, dass die belangte Behörde nach der Aktenlage den Beschwerdeführer nicht darüber informiert hat, dass sie sich nicht auf das Gutachten ihrer Amtssachverständigen, welches sie dem Beschwerdeführer in Gewährung des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt hat, zu stützen beabsichtigt, und auf diese Weise das Recht auf Parteiengehör verletzt hat, hat sie keine dem Gesetz entsprechende Beweiswürdigung vorgenommen. Sie hat vielmehr den in der Literatur vertretenen Ansichten höheren Beweiswert zugemessen als sämtlichen im Verfahren bisher geäusserten sachverständigen Meinungen, denen offenbar zu Grunde lag, dass ein lediglich sporadischer und geringfügiger Konsum von Cannabis noch nicht den Verlust der gesundheitlichen Eignung nach sich ziehe, und hiefür keine Begründung gegeben.

Die belangte Behörde hat in mehrfacher Weise Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die in der Beschwerde geltend gemachten Umstände, dass die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers nicht vollständig erledigt habe, indem sie über den Antrag, der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht abgesprochen hat, und dass zwei gegenüber dem Beschwerdeführer ergangene (und von ihm befolgte) Aufforderungsbescheide rechtswidrig gewesen seien, haben keine Auswirkung auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da neben der Entrichtung der Eingabengebühr in Höhe von S 2.500.- keine weiteren Gebühren zu entrichten sind.

Wien, am 24. Oktober 2000

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